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WISSENSCHAFT/978: Vorn dabei, aber (noch) nicht Spitze (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 27 - Oktober 2009 - Forum der Universität Tübingen

Vorn dabei, aber (noch) nicht Spitze

Von Christian Bode


Im Wettbewerb um kluge Köpfe auf dem internationalen Bildungsmarkt liegen die USA und Großbritannien an der Spitze. Deutschland hat aufgeholt, aber weniger als die Hälfte der Studierenden aus dem Ausland schließen ihr Studium hier auch ab.


Um hochqualifizierte Studierende und Wissenschaftler ist inzwischen ein regelrechter "war on talents" entbrannt, der freilich mit friedlichen Mitteln wie Hochglanzbroschüren, schmucken Websites, Messen, "Road Shows", attraktiven Zulassungskonditionen, Stipendien und Gebührenerlassen, Rankingplätzen und erleichterten Arbeits- und Einwanderungsmöglichkeiten geführt wird. Auf diesem schnell wachsenden internationalen Bildungsmarkt geht es den einen um Gebühren und Einnahmen (10 Milliarden US-Dollar in den USA, 2,5 Milliarden Pfund in Großbritannien), den anderen genügt die Internationalisierung ihres Campus und der Reputationsgewinn als internationaler Gastgeber. Wieder anderen ist der Gewinn wissenschaftlicher Nachwuchskräfte für die eigene Forschung wichtig.

Immer mehr Staaten mischen sich mit aktiver Rekrutierungspolitik und entsprechenden Förderprogrammen ein, neuerdings auch frühere Entsendestaaten wie China, Japan, Malaysia und Korea, um ihren Einfluss auf die künftigen Führungseliten zu sichern, den eigenen Fachkräftebedarf zu decken (in Europa fehlen angeblich in den nächsten zehn Jahren 700.000 Ingenieure) oder aber wirtschaftliche Partner für die eigene Exportindustrie zu gewinnen. Im Windschatten dieser utilitaristischen Antriebe gibt es auch noch, eher verschämt, altruistische Motive wie die Aufbauhilfe für Entwicklungsländer, die gemeinsame Lösung globaler Probleme, das Erziehungsideal eines toleranten Weltbürgers und das Bemühen um Völkerverständigung, das neuzeitlich als "Kulturdialog" firmiert.

Marktführer in diesem Wettbewerb sind, in absoluten Zahlen, die USA, die nach dem Rückschlag von 9/11 wieder stark steigenden Zustrom verbuchen. Noch erfolgreicher, in relativen Zahlen, ist Großbritannien und am aggressivsten wohl Australien ("education is our biggest growth industry"), alle mit dem Vorteil der englischen Muttersprache, mit hohen Studiengebühren und daraus (teil-)finanzierten Stipendien für die Besten und genug professionellem Personal für Werbung, Betreuung und Nachbetreuung (Alumni), das sich weitgehend aus den Erträgen refinanziert.

Deutschland - vor hundert Jahren noch eine allererste Adresse - hat in der Wiederaufbau- und Expansionszeit nach dem Krieg diesen 'Markt' lange vernachlässigt und ausländische Studierende eher als belastende Kostgänger empfunden. Das änderte sich Mitte der neunziger Jahre mit den großen geopolitischen Veränderungen (Mauerfall und "asiatische Tiger"), mit dem exponentiellen Wachstum des Welthandels (Globalisierung), dem Aufkommen der neuen Medien und Kommunikationstechniken, der Modernisierungspolitik der Europäischen Union ("most competitive knowledge based economy") - alles Entwicklungen, die schließlich (auch) in eine zunehmend heftigere Debatte um den Studien- und Wissenschaftsstandort Deutschland führten. Der DAAD entwickelte ein professionelles internationales Hochschul-Marketing ("Hi Potentials!" - "Qualified in Germany" - "Land der Ideen") und gründete, gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), dafür ein eigenes Konsortium ("GATE-Germany"), dem inzwischen über 100 Hochschulen angehören. Ein dem amerikanischen TOEFL ähnlicher standardisierter Deutschtest ("TestDaF"), der im In- und Ausland an über 400 Stellen abgelegt werden kann und von allen Hochschulen anerkannt wird, sowie die Gründung einer Anlaufstelle für ausländische Bewerber "uni-assist" in Berlin, die leider bisher nur von gut hundert Hochschulen genutzt wird, haben die Bewerbung an deutschen Hochschulen kundenfreundlicher, kalkulierbarer und verlässlicher gemacht. So stieg die Zahl der ausländischen Studierenden von 1995 bis 2008 um 65 Prozent auf 233.000 (sogenannte "Bildungsinländer" mitgerechnet). Die Zahl der jährlichen Neuzulassungen von Ausländern wuchs auf über 60.000. Damit belegen wir in etwa gleichauf mit den französischen Nachbarn den dritten Platz in der Weltrangliste der Gastgeberländer. Allerdings ist dieser rapide Anstieg in den letzten Jahren abgeflacht und einer Stagnation gewichen, die teils in einem Rückgang der Bewerberzahlen, teils in selektiverer Zulassungspraxis der Hochschulen ihren Grund finden mag.

Vielleicht hat dieser Rückgang aber auch etwas mit der geringen Quote erfolgreicher Studienabschlüsse von Ausländern in Deutschland zu tun, die nach einer Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) unterhalb von 50 Prozent angesetzt werden muss (verlässliche Zahlen gibt es mangels Studienverlaufsdaten nicht). Auch wenn man in Rechnung stellt, dass nicht jeder immatrikulierte Ausländer einen Abschluss anstrebt und nicht hinter jeder vorzeitigen Exmatrikulation ein Misserfolg steht, so ist diese Quote doch alles andere als ein Werbeargument und allemal Grund für unsere Hochschulen, der Situation im eigenen Hause auf den Grund zu gehen. Der DAAD hat dafür gemeinsam mit HIS das nötige Instrumentarium entwickelt. Auch ohne solche vertiefenden Untersuchungen wissen wir um typische Schwachstellen, die überwiegend dem Thema "Betreuungskultur" zuzurechnen sind. Das beginnt bei verständlichen mehrsprachigen Informationen, rechtzeitiger Beantwortung von Anfragen, kundenorientierter Zulassungsprozedur (gelegentlich ein bürokratischer Albtraum!) und transparenter Auswahlentscheidung und geht über Einführungs- und Orientierungsveranstaltungen, soziale, fachliche und sprachliche (studienvorbereitende und -begleitende) Betreuung und Studienberatung bis hin zu besonderen Hilfen in der Abschlussphase des Studiums, bei Praktikums- und Jobsuche ("Career Placement") und zu einem gegebenenfalls lebenslangen Alumni-Kontakt.

Vieles ist hier in den letzten Jahren besser geworden, auch dank der vielen Millionen Euro, die der DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) teils nach vereinbarter Formel verteilt (Stipendien- und Betreuungsprogramm STIBET), teils im Ideen-Wettbewerb auslobt (Preis des Auswärtigen Amts für exzellente Betreuung ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen, BMBF-Programm zur Förderung der Internationalisierung an den deutschen Hochschulen - PROFIS - und Programm zur Förderung der Integration ausländischer Studierender - PROFIN). Auch wird die stärkere Strukturierung der Bachelor-Master-Studiengänge und der Promotionen (Graduiertenschulen et cetera), wenn richtig dosiert, unsere internationale Attraktivität erhöhen. Dennoch bleibt viel zu tun, wenn wir mit der schärfer werdenden internationalen Konkurrenz mithalten wollen. Am Wissen und am Wollen der Beteiligten, insbesondere der "Akademischen Auslandsämter" (besser: "international offices") liegt es sicher nicht, eher schon an fehlenden Mitteln, gelegentlich auch an mangelnder Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Seiten der Hochschulleitungen und Dekanate.

Nicht jede Abhilfe kostet Geld, manches lässt sich gar durch Geld nicht beheben. Unsere DAAD-Stipendiaten, wiewohl durch Auswahl, Betreuung und Finanzierung privilegiert und zu rund 95 Prozent mit ihrem Deutschlandaufenthalt zufrieden oder sehr zufrieden, benennen als größtes Manko regelmäßig von neuem den unzureichenden oder jedenfalls schwierigen Kontakt mit den deutschen Kommilitonen und mit der Gesellschaft außerhalb der Universität, wobei sich das Bild parallel zur Hautfarbe verdunkelt. Keine Frage - und doch immer noch weit unterschätzt: Ein emotionales Klima, in dem sich der internationale Gast willkommen, respektiert und akzeptiert fühlen kann, ist für den langfristigen Ertrag des Ausländerstudiums mindestens ebenso wichtig wie die Qualität der fachlichen Ausbildung. Gerade mit diesen "weichen" Faktoren punkten oftmals unsere amerikanischen und englischen Konkurrenten und verführen viele unserer besten Stipendiaten zum Bleiben. Es gibt für solche Kultur auch an deutschen Hochschulen viele hervorragende Beispiele, wie wir aus unserer jährlichen Preisverleihung wissen. Wenn es gelingt, diese "best practice" auf breiter Front zur Regel zu machen, brauchen wir uns um unseren Platz im Wettbewerb um kluge Köpfe kaum zu sorgen.


Dr. Christian Bode ist seit 1990 Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), davor war der Jurist ab 1982 Generalsekretär der Westdeutschen Rektorenkonferenz (jetzt Hochschulrektorenkonferenz, HRK).


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Quelle:
attempto! 27 - Oktober 2009, Seite 12-13
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen e.V. (Universitätsbund)
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Redaktion: Michael Seifert (verantwortlich)
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2009