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INTERNATIONAL/021: Ägypten - Kredite für die Unterdrücker, Vorhang auf für den zweiten Akt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Januar 2012

Ägypten: Kredite für die Unterdrücker - Vorhang auf für den zweiten Akt

von Cam McGrath


Kairo, 19. Januar (IPS) - Ganze drei Jahrzehnte lang hatten in Ägypten westliche Regierungen und internationale Finanzorganisationen mit ihren Krediten ein korruptes, undemokratisches und menschenrechtsverachtendes Regime am Leben erhalten. Kaum ist ein Jahr seit Beginn der Revolution gegen das ungeliebte Mubarak-Regime vergangen, wollen es die internationalen Geldgeber wieder tun, wie Kritiker des Militärrats warnen, der seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 an der Macht ist.

"Ausländische Hilfe sollte nicht der Unterstützung eines repressiven Regimes dienen", meint Amr Adly, Politik- und Wirtschaftsexperte der Menschenrechtsorganisation Ägyptische Initiative für persönliche Rechte (EIPR). "Keiner hat ein Interesse daran, dass Ägyptens Wirtschaft noch tiefer in die Krise rutscht, doch internationale Gläubiger sollten in der Frage der Transparenz strenge Kriterien anlegen."

Westliche Regierungen und Entwicklungsbanken hatten dem 30-jährigen Mubarak-Regime Kredite und Beihilfen in Milliarden-Höhe bereitgestellt, Korruption und Menschenrechtsverletzungen im Land jedoch geflissentlich ignoriert. Kritikern zufolge ist ein Teil dieser Hilfe politischen Freunden zugeflossen oder aber wurde für Wirtschafts- und Entwicklungsprogramme ausgegeben, die die Bevölkerung immer tiefer in die Armut stießen.


Wirtschaft am Boden

Der Volksaufstand, der Mubarak im Februar aus dem Amt kickte, hat der ägyptischen Wirtschaft erheblich zugesetzt. So sind die Devisenreserven des arabischen Landes im vergangenen Jahr um die Hälfte auf 18 Milliarden US-Dollar zusammengeschmolzen. Die Tourismusindustrie und andere wichtige Wirtschaftssektoren leiden immer noch unter den Folgen der politischen Instabilität und Arbeiterproteste. Die Übergangsregierung geht von einem Haushaltsdefizit in Höhe von elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, sollte es ihr nicht gelingen, die Austeritätsmaßnahmen durchzusetzen, die Einsparungen in Höhe von drei Milliarden Dollar ermöglichen sollen.

Der Westen war schnell dabei, den angeschlagenen Volkswirtschaften der Staaten des Arabischen Frühlings den Rettungsring zuzuwerfen. Die Finanzchefs der Gruppe der acht reichsten Industriestaaten (G8) erklärten bereits im Mai letzten Jahres, dass die internationalen Banken den post-revolutionären Ländern Tunesien und Ägypten mit bis zu 20 Milliarden Dollar beispringen könnten. Die Gelder sollten für Programme verwendet werden, die das Risiko des Missbrauchs und der Zweckentfremdung von Hilfsgeldern minimieren.

"Ausländische Gläubiger müssen Diskretion walten lassen", findet hingegen Adly. Einer nicht gewählten Regierung mit einem Wirtschaftsteam die Stange zu halten, das in Mubarak-Zeiten für den Haushalt und die Kreditverhandlungen im Namen des ägyptischen Volkes zuständig war, ist seiner Meinung nach äußerst problematisch.

Der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF), der aus sieben, bereits unter Mubarak amtierenden Militäroffizieren besteht, hat zwar versprochen, spätestens bis Juli freie Wahlen abzuhalten. Doch Beobachtern zufolge werden die Generäle versuchen, sich einige Privilegien und Rechte zu reservieren. Andere wiederum befürchten, dass es den Militärs im Grunde darum geht, an der Macht zu bleiben und im Stil der Mubarak-Regierung weiterzumachen.

Ägyptens Streitkräfte sind in die Schusslinie geraten, seitdem sie gewaltsam gegen friedliche Demonstranten vorgingen und weibliche Gefangene entwürdigenden 'Jungfräulichkeitstests' unterzogen. Menschenrechtsaktivisten kritisieren den SCAF zudem dafür, tausenden Zivilisten auf der Grundlage von Notstandsgesetzen den Prozess vor Militärgerichten gemacht und damit gegen die bürgerlichen Rechte wie die Redefreiheit verstoßen zu haben.

"Mubarak mag zwar weg sein, doch werden wir nach wie vor von seinem Regime regiert", betont der Menschenrechtsaktivist Negad El-Borai. "Wie können die Europäische Union und die USA Ägypten weiterhin Kredite und Beihilfen gewähren, wenn ihre Unterstützung zur Unterdrückung der Demokratie und der Inhaftierung der Zivilgesellschaft dient?"

Im Dezember hatten die ägyptischen Sicherheitskräfte die Büros von mindestens sechs in- und ausländischen Organisationen durchsucht. Zur Begründung hieß es, die Vereinigungen einschließlich der Konrad-Adenauer-Stiftung hätten unerlaubt Gelder aus dem Ausland angenommen. Lokale Bürgerrechtler verurteilten den Vorstoß, der sich offenbar gegen Menschenrechts- und Pro-Demokratiegruppen richtete, die die kommenden Parlamentswahlen beobachten sollen. Einige US-Experten riefen daraufhin Washington auf, ihre Militärhilfe für Ägypten in Höhe von jährlich 1,3 Milliarden Dollar solange zurückzuhalten, bis die Militärführung ein echtes Demokratie- und Menschenrechtsverständnis erkennen lasse.


Neuverschuldung unerwünscht

Vielen Ägyptern würde das Einfrieren der US-Militärhilfe durchaus behagen. Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die US-Hilfe ohnehin ablehnt und der Meinung ist, dass die Finanzspritzen von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank (EIB) der reichen Elite nutzen und zu Lasten der Armen gehen.

In der Vergangenheit hatten IWF und Weltbank Ägypten einen neoliberalen Wirtschaftskurs verordnet, der zwar der Fiskal- und Währungspolitik zugutekam, jedoch nichts gegen Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne ausrichtete. Viele Ägypter machen die an die Hilfe geknüpften Strukturanpassungsprogramme für die wirtschaftlichen Ungleichheiten verantwortlich, die letztendlich der Revolution den Weg bereiteten.

Bisher hat die ägyptische Militärführung kein Interesse an dem IWF-Wirtschaftsmodell gezeigt. Im Juni 2011 wies der SCAF unter Berufung auf nicht näher genannte Bedingungen einen Kredit der Finanzorganisation in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar zurück. Stattdessen wandte er sich an die arabischen Golfstaaten, die dem Land ein Hilfspaket im Wert von acht Milliarden Dollar schnüren wollten, das an keinerlei wirtschaftliche Bedingungen geknüpft war.

Von den versprochenen Zuwendungen ist jedoch gerade einmal eine Milliarde Dollar eingetroffen. Der weitere Niedergang der Wirtschaft und die schwindenden Devisenreserven haben den Druck auf die Übergangsregierung jedoch erhöht, doch noch um westliche Hilfe anzusuchen. Ein hoher Ministerausschuss gab im Dezember bekannt, dass Ägypten bis zu zwölf Milliarden Dollar benötigen könnte, um wirtschaftlich stabil zu bleiben.

Die Generäle haben Fayza Aboul Naga, die von Mubarak ernannte Planungs- und Entwicklungsministerin, beauftragt, die Verhandlungen mit den IWF über eine 43,2 Milliarden Dollar hohe Kreditfazilität aufzunehmen. Eine IWF-Delegation hielt sich vor kurzem in Kairo auf, um über die Bedingungen zu sprechen.

Viele Ägypter sind zutiefst besorgt über die möglichen Auswirkungen einer Neuverschuldung. Nach Angaben der Zentralbank muss das nordafrikanische Land schon jetzt jedes Jahr rund 3,4 Milliarden Dollar Zinsen für den unter Mubarak angehäuften Schuldenberg in Höhe von 35 Milliarden Dollar zahlen.

Nach Ansicht der Aktivisten der ägyptischen Schuldenerlasskampagne PCDED sollte der Westen den Menschen und nicht den Diktatoren helfen. Das sei durch einen Schuldenerlass problemlos machbar. Die Ägypter dürften nicht für die Schulden haftbar gemacht werden, die ohne ihre Zustimmung und zu ihren Lasten aufgenommen worden seien, hieß es. "Das alte Regime erhielt Kredite und missbrauchte sie", sagte der Ökonom Ahmed El-Naggar auf einem PCDED-Forum. "Die internationale Gemeinschaft sollte diese abscheulichen Schulden abschreiben, wenn ihr an einem Erfolg der Revolution gelegen ist." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2012