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REDE/012: Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat, 8./9.12.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2011 in Berlin:


Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

In meiner Regierungserklärung am 2. Dezember habe ich unter anderem ausgeführt, dass derjenige, der vor wenigen Monaten gesagt hätte, dass wir Ende des Jahres 2011 sehr ernsthafte und sehr konkrete Schritte für eine europäische Fiskalunion, für Durchgriffsrechte in Europa einleiten, für verrückt erklärt worden wäre. Heute können wir feststellen: Wir reden nicht mehr nur über eine Fiskalunion, sondern wir haben angefangen, sie zu schaffen. Das war das Ziel der Bundesregierung für den Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Woche. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das ist in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Die übergroße Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat sich entschlossen, diese wichtige Weichenstellung auf dem Wege eines zwischenstaatlichen Vertrages vorzunehmen. Wir haben uns entschlossen, mit dieser Weichenstellung die Konstruktionsfehler zu korrigieren, die bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion begangen wurden. Der Weg zu einer Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion ist damit natürlich noch lange nicht abgeschlossen, aber er wurde eingeschlagen, und ich glaube: unwiderruflich.

Großbritannien wollte den Weg zu einer neuen vertraglichen Grundlage über eine Änderung der europäischen Verträge aller 27 Mitgliedstaaten nicht mitgehen, jedenfalls nicht zu Bedingungen, die die anderen 26 akzeptieren konnten. Die Antwort in dieser Situation konnte nicht Nichtstun und Abwarten sein. Sie konnte auch nicht eine bloße Reparatur mithilfe vorhandener Instrumente sein. Das wäre in dieser Krise nur halbherzig und aus meiner Sicht deshalb unverantwortlich gewesen. Die Antwort musste anders aussehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen neuen zwischenstaatlichen Vertrag zu erarbeiten, an dem sich die große Mehrheit aller 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in jedem Fall aber die 17 Staaten der Euro-Zone beteiligen.

Auf den Tag genau 20 Jahre nach der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht nehmen wir also erneut eine zentrale politische Weichenstellung vor. Wir werden die Wirtschafts- und Währungsunion auf eine gestärkte vertragliche Grundlage stellen. Diese vertragliche Grundlage soll bis März fertig sein und dann so schnell wie möglich durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden und in Kraft treten.

Eine starke Rolle der Institutionen der Europäischen Union, insbesondere der Kommission und des Europäischen Gerichtshofes, soll für eine enge Verknüpfung mit den 27, mit dem Beitritt Kroatiens bald 28 EU-Mitgliedstaaten sorgen. Auch das Europäische Parlament soll und wird von Anfang an einbezogen werden, zum Beispiel durch Beobachter in dem Erarbeitungsprozess für den Vertrag.

Jeder EU-Mitgliedstaat, der dies möchte, kann sich dem neuen Vertrag anschließen. Wir wollen uns auf das Ziel verpflichten, den neuen Vertrag in den EU-Rahmen zu überführen, sobald dies möglich ist. Dieser Weg wird Europa die Tür zur Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion weit öffnen.

Ich sage hier ausdrücklich: Sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich nicht mit uns gemeinsam auf diesen Weg gemacht hat, sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich schon vor 20 Jahren gegen den Euro entschieden hat, so sehr steht für mich außer Zweifel, dass Großbritannien auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der Europäischen Union sein wird.

Großbritannien ist dieser Partner auch in vielen anderen Fragen: bei der Wettbewerbsfähigkeit, im Binnenmarkt, für den Handel, für den Klimaschutz. Gerade Letzteres haben wir bei den Klimaverhandlungen in Durban noch einmal ganz deutlich erleben können. Großbritannien hat im Übrigen ein eigenes vitales Interesse daran, dass die Euro-Zone ihre Schuldenkrise überwindet. Das geschieht jedoch nicht über Nacht. Die Bundesregierung hat stets deutlich gemacht, dass die europäische Schuldenkrise nicht mit dem einen Befreiungsschlag zu lösen ist. Es gibt einen solchen Befreiungsschlag nicht; es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen.

Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise ist - ich kann es gar nicht oft genug sagen - ein Prozess. Dieser Prozess dauert nicht Wochen, er dauert nicht Monate; er wird Jahre dauern. Dieser Prozess wird auch in Zukunft von Rückschlägen begleitet werden. Entscheidend aber ist nicht die Dauer des Prozesses; entscheidend ist vielmehr, ob wir uns von Rückschlägen entmutigen und verunsichern lassen oder ob wir genau das nicht tun.

Ich bin überzeugt: Wenn wir die nötige Geduld und Ausdauer haben, wenn wir uns von Rückschlägen nicht entmutigen lassen, wenn wir konsequent den Weg in Richtung Fiskal- und Stabilitätsunion gehen, wenn wir tatsächlich die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden und so den Gründungsfehler des Euro beheben, dann wird sich das bewahrheiten, was ich seit Beginn der Krise als das Ziel unseres Handelns formuliert habe: Dann wird Europa diese Krise nicht nur bestehen, sondern dann wird Europa aus dieser Krise stärker hervorgehen, als es in sie hineingegangen ist.

Wir haben in den letzten Wochen die Weichen für dieses neue Europa gestellt, für ein Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens. Daran hat die Bundesregierung entscheidend mitgewirkt, indem sie seit Beginn der Krise bei allen Maßnahmen zur akuten Krisenbewältigung ein ausgewogenes Verhältnis von nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität eingefordert hat.

Solange die Mitgliedstaaten weitgehend selbst für ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik verantwortlich sind - das ist in den heutigen Verträgen so -, so lange wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass zunächst einmal jeder selbst seine Hausaufgaben macht. Eigenverantwortung ist die erste Säule unserer Stabilitäts- und Fiskalunion. Dass dabei zum Teil schon wichtige Fortschritte gemacht worden sind, das erkennen wir an, und das würdigen wir.

Irland arbeitet entschlossen daran, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Wichtige Strukturreformen, insbesondere im Bankensektor, werden durchgesetzt; die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit hilft Exporten und Wachstum. Portugal kann sich auf einen breiten Konsens stützen, um die notwendigen Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen weiter konsequent anzugehen. Die letzten Daten, die wir aus Portugal bekommen haben, sind, was die Defizitstruktur anbelangt, sehr ermutigend.

Griechenland arbeitet inzwischen parteiübergreifend daran, seine Verpflichtungen für die Konsolidierungs- und Reformziele umzusetzen. Italien hat vor wenigen Tagen weitreichende Sparmaßnahmen und Reformen verabschiedet und das Ziel noch einmal bekräftigt, bis 2013 den Haushaltsausgleich zu schaffen und wichtige Strukturreformen durchzuführen. In Gesprächen hat mir der zukünftige spanische Ministerpräsident noch einmal versichert, dass auch Spanien den Reformkurs nach dem Regierungswechsel fortsetzen wird.

Auch EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, haben ihrerseits zum Teil erhebliche Anstrengungen unternommen, oder sie sind dabei, dies zu tun. Wir dürfen eines nicht vergessen: Den Menschen in den betroffenen Ländern wird viel abverlangt; das stimmt. Sie leisten einen Beitrag dazu, dass ihre Länder und die Euro-Zone insgesamt auf einen dauerhaft stabilen Kurs kommen, und dafür verdienen sie unsere Anerkennung.

Wir haben immer gesagt: Wer Eigenverantwortung übernimmt, der kann mit der Solidarität der europäischen Partner rechnen. Solidarität ist die zweite Säule der neuen Stabilitäts- und Fiskalunion.

Fünf Elemente sind dabei wichtig:

Erstens. Mit den Ende November verabschiedeten Leitlinien soll die Wirksamkeit der EFSF deutlich erhöht und sollen Ansteckungsgefahren besser eingedämmt werden. Wichtiger Beschluss bei dem Rat letzte Woche war, dass sich die Europäische Zentralbank bereit erklärt hat, die EFSF mit ihrer Expertise und ihren technischen Möglichkeiten zu unterstützen. Ich glaube, das wird einen sehr positiven Effekt haben.

Zweitens. Die Einrichtung des dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus ESM, der die EFSF ablösen soll, wird auf 2012 vorgezogen werden. Wenn es so kommt, werden alle Mitgliedstaaten und damit auch wir schon 2012 Kapital einzahlen müssen. Ich betone aber auch: Dann werden alle Mitgliedstaaten und nicht nur die Triple-A-Länder ihren Beitrag, und zwar einen wirksamen Beitrag, zu dem Solidaritätsmechanismus leisten. Dies sind der wesentliche Unterschied zur EFSF und ein wesentlicher Faktor, nämlich die Tatsache, dass dann Kapital zur Verfügung steht, auch für die zusätzliche Glaubwürdigkeit des ESM. Die konsolidierte Obergrenze von EFSF plus ESM wird bei 500 Milliarden Euro liegen.

Drittens. Der IWF soll über eine angemessene finanzielle Ausstattung verfügen. Dazu prüfen die Euro-Länder und weitere EU-Mitgliedstaaten, dem IWF zusätzliche Ressourcen in Form von bilateralen Krediten in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Auch andere Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft sind eingeladen, sich parallel an der Aufstockung der IWF-Ressourcen zu beteiligen. Die Mittel sollen dem allgemeinen Konto des IWF zur Verfügung stehen und im Rahmen der regulären IWF-Geschäftspolitik verwendet werden. Sie unterliegen also strikter Konditionalität. Die Bundesregierung und die Bundesbank haben hierzu die Modalitäten festgelegt; diese sind dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gestern zugeleitet worden.

Viertens. Hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors im Rahmen des ESM werden wir uns an der Praxis des IWF orientieren. Zudem sollen alle neuen Staatsanleihen von Euro-Ländern künftig standardisierte Umschuldungsklauseln, also die sogenannten CACs, enthalten. Damit wird einerseits noch einmal unterstrichen, dass die freiwillige Umschuldung Griechenlands ein besonderer Fall ist, und andererseits größtmögliche Klarheit und Berechenbarkeit für Investoren in europäische Staatsanleihen geschaffen.

Fünftens. In Situationen, in denen die Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes bedroht ist, können dringende Entscheidungen über die Gewährung von Hilfen durch den ESM mit hoher qualifizierter Mehrheit, nämlich 85 Prozent gemäß des Kapitalschlüssels, getroffen werden. Bei Grundsatzentscheidungen, etwa Schaffung neuer Instrumente oder Veränderung des Volumens des ESM, bleibt es selbstverständlich beim Einstimmigkeitsprinzip. Das gilt auch für Hilfsmaßnahmen. Sie werden als letztes Mittel und wiederum nur gegen strenge Auflagen gewährt.

Die gegenwärtige Krise im Euro-Raum ist von der Ursache her eine Staatsschuldenkrise. Sie ist aber inzwischen auch eine Vertrauenskrise. Sie ist eine Vertrauenskrise, die die Politik - niemand sonst - zu verantworten hat. Das begann bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion selbst, als Konstruktionsfehler zugelassen wurden, die die Euro-Gruppe inzwischen mit voller Wucht treffen. Das hat sich fortgesetzt, als die Politik nach Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion schon die Prinzipien, die im alten Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehen waren, nicht oder nicht vollständig angewandt oder gar aufgeweicht hat.

Es ist deshalb in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass sich die Politik in den vergangenen Monaten bis hin zum Rat am letzten Freitag endlich der Aufgabe gestellt hat, genau diese Vertrauenskrise schonungslos beim Namen zu nennen und die notwendigen Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen. Nur so schaffen wir es, neben der akuten Krisenbewältigung auch Vorsorge für die Zukunft zu treffen, damit dieser Krise nicht die nächste - die dann noch schlimmere - folgt. Die Vorsorge für die Zukunft durch neues Vertrauen ist die dritte Säule der neuen Fiskal- und Stabilitätsunion.

Wir wollen den Weg in eine dauerhafte Stabilitätsunion einschlagen, in der in Zukunft Regeln eingehalten werden, ihre Einhaltung kontrolliert wird und ihre Nichteinhaltung Konsequenzen hat. Dazu sollen Schuldenregeln im nationalen Recht, möglichst in den Verfassungen, verankert werden. Verbindliche Schuldenregeln sollen früh greifen und daher ein wichtiger Beitrag zur Prävention sein.

Dazu werden wir auf europäischer Ebene detaillierte und ehrgeizige Vorgaben festschreiben. Ziel ist ein ohne Sondereinflüsse ausgeglichener Haushalt in jedem Mitgliedstaat. Die Umsetzung dieser europäischen Vorgaben in nationales Recht kann in Zukunft - auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaates - der Europäische Gerichtshof prüfen. Dies ist umso bedeutsamer, als die Gerichte neben den Notenbanken - der Europäische Gerichtshof neben der Europäischen Zentralbank - im Gegensatz zur Politik die beiden Institutionen sind, deren Glaubwürdigkeit bis jetzt unangetastet und somit unverändert hoch ist.

Hinzu kommt eine weitere deutliche Verschärfung des Defizitverfahrens selbst. Wenn die Drei-Prozent-Defizitobergrenze verletzt wird, soll das Defizitverfahren künftig automatisch ausgelöst werden; es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten entscheidet dagegen. Das ist genau die umgekehrte qualifizierte Mehrheit, die heute im Lissabon-Vertrag verankert ist. Dieses Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit soll auch bei der Durchführung des Defizitverfahrens gelten. Das heißt, auch die Einleitung der nächsten Schritte soll in der Regel automatisch erfolgen.

Mitgliedstaaten im Defizitverfahren sollen sich künftig in sogenannten Reformpartnerschaften verbindlich auf detaillierte Konsolidierungs- und Reformschritte verpflichten. Es gibt also nicht mehr die Sanktion, die vor allem im Zahlen von Geld besteht, welches man gemeinhin nicht hat, wenn man schon ein hohes Defizit aufweist, sondern es geht in Zukunft um verbindliche Schritte, die mit der Kommission und dem Mitgliedstaat vereinbart werden. Das ist sozusagen eine Konditionalität, wie wir sie heute von den Rettungsschirmen kennen. Die Einhaltung dieser Vereinbarungen soll von Kommission und Rat überwacht werden. Außerdem haben wir vereinbart, auch das Verfahren zum Schuldenabbau - die sogenannte Ein-Zwanzigstel-Regel - vertraglich zu verankern.

Wir alle spüren: Die Krise hat schon heute die Europäische Union verändert. Die Krise hat uns schonungslos die Rechnung für die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit präsentiert. Der Europäische Rat am letzten Freitag hat darauf nicht mit einem weiteren Fehler geantwortet. Ein solcher Fehler wäre zum Beispiel die Einführung von Euro-Bonds gewesen, eine schnelle vermeintliche Lösung, aber nicht an der Wurzel ansetzend. Sie sind als Rettungsmaßnahme nicht geeignet. Bei näherer Nachfrage wird das im Übrigen auch von der Kommission bestätigt.

Die Krise hat die enorme Bedeutung der gemeinsamen Währung für das europäische Projekt insgesamt deutlich werden lassen. Der Euro hat sich bewährt. Er ist wertbeständiger, als es die D-Mark je war. Als Exportnation profitiert Deutschland in besonderem Maße vom Euro. Das gilt nicht nur für die großen Unternehmen, sondern gerade auch für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland. Das muss immer wieder betont werden.

Aber der Euro ist eben auch weit mehr als eine Währung. Er steht symbolhaft für die Tiefe der europäischen Einigung. Die Krise hat die Europäer deshalb auch viel enger, als das jemals der Fall war, zusammenrücken lassen. Dies gilt insbesondere für die deutsch-französische Zusammenarbeit, die sich in dieser Krise in besonderer Weise bewährt hat. Dies gilt aber auch weit darüber hinaus.

Wir wollen die Wende zum Guten schaffen. Genau das ist die Chance, die in dieser Krise steckt. Der Europäische Rat in der letzten Woche hat deutlich gemacht, dass die Euro-Staaten und fast alle Nicht-Euro-Staaten an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die Chancen der Krise zu nutzen und die Grundlagen für eine bessere europäische Zukunft zu legen.

Diese gemeinsame Entschlossenheit habe ich in meinen Gesprächen mit meinen Kollegen und Kolleginnen deutlich gespürt. Ich bin ganz sicher: Dieses neue Gemeinschaftsgefühl, diese gemeinschaftliche Verantwortung, wird uns weit über die Krise hinaus erhalten bleiben. Das heißt nichts anderes, als dass die Vision einer wirklichen politischen Union beginnt, Konturen anzunehmen.

Ich sage ausdrücklich: Zu einer politischen Union gehört mehr, als nur Stabilitätsmechanismen zu schaffen. Zu einer politischen Union gehört auch, gemeinsam Wachstum zu generieren, und zwar nachhaltiges Wachstum, Wachstum, das sich nicht auf Pump gründet, Wachstum, das in die Zukunft gerichtet ist und das mit Wohlstand und mehr Arbeitsplätzen in Europa verbunden ist. Deshalb wird eine Verabredung, wie wir sie vor einem Jahr im Euro-Plus-Pakt getroffen haben, zusätzlich an Bedeutung gewinnen.

Aber ich sage auch: Auf uns alle wird die Aufgabe zukommen, unsere Gesetze enger miteinander abzustimmen, auch wenn das vertraglich noch nicht zwingend notwendig ist. Das ist sicherlich für jedes nationale Parlament ein Moment, in dem man umdenken und sich in die Situation des anderen hineinversetzen muss. Aber ich denke, wir sollten in allen Bereichen von den Besten lernen.

Deshalb sage ich: Ja, es ist wahr; wir erleben eine der schwersten Krisen Europas. Aber wahr ist auch: Gemeinsam haben wir schon unendlich viel erreicht. Wir sind uns über die Ursachen der Krise einig. Wir sind uns einig, diese Ursachen bekämpfen zu müssen, um die Krise zu überwinden. Wir sind uns einig, den Weg hin zu einer Fiskalunion zu gehen. Dies wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Die Chancen dieser Krise sind - das ist meine Überzeugung - um ein Vielfaches größer als ihre Risiken. Diese Chancen zu ergreifen, das ist der historische Auftrag unserer politischen Generation.

Der Weg zur Überwindung der Krise ist lang, er ist beschwerlich; aber am Ende dieses Weges werden eine nachhaltig gestärkte Euro-Zone und eine nachhaltig gestärkte Europäische Union stehen. Das ist das Ziel. Es ist die beste Voraussetzung für eine gute Zukunft, eine gute Zukunft Europas und eine gute Zukunft Deutschlands. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Ich lade Sie alle in diesem Parlament ein, daran mitzuwirken.


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Quelle:
Bulletin Nr. 135-1 vom 14.12.2011
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zu den
Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel
vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011