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FRIEDEN/1023: Schattenseiten ... Merkels Außenpolitik am Beispiel Israel (SB)



Die geringe Aufmerksamkeit, die außenpolitischen Themen im Bundestagswahlkampf zukommt, entlastet die Regierungsparteien davon, die Schattenseite ihres angeblich demokratischen und humanitären Selbstverständnisses zu erkennen zu geben. Während sich das Thema des Afghanistankriegs aufgrund des verheerenden Luftangriff am 4. September nicht mehr unter der Decke halten ließ und nun mit wachsweichen Ankündigungen zu einem in ferner Zukunft möglichen Abzug wieder unter derselben versteckt wird, bleibt die Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik durch die Bundesregierung ohne jede Auswirkung auf die anstehende Wahl.

Dabei lassen sich anhand des kritischen Blicks auf außenpolitische Fragen durchaus Rückschlüsse auf andere Politikfelder ziehen. Die Rolle der Bundesrepublik als weltpolitischer Akteur von Rang ist unmittelbar mit der starken Ausrichtung ihrer Wirtschaft auf die Erschließung neuer Absatzmärkte wie Rohstoffquellen verknüpft. Den eigenen Einfluß über internationale Beziehungen und supranationale Agenturen zu mehren beinhaltet nicht nur Zugeständnisse an andere Regierungen, sondern auch die Übernahme administrativer Verfügungsstrukturen, die die eigene Bevölkerung betreffen. Das gilt insbesondere für die EU, die zwar von der Bundesrepublik dominiert wird, als Transmissionsriemen übergeordneter Interessen aber auch auf die Belange ihrer Bevölkerung Einfluß nimmt.

Besonders schwerwiegende Folgen für die Bundesbürger hat die Militarisierung der Außenpolitik, wie die Nutzung terroristischer Bedrohungen zum Ausbau autoritärer und repressiver Handlungsmöglichkeiten der Exekutive oder die fortschreitende Loslösung kriegsrelevanter Entscheidungen von demokratischen Prozessen belegt. Die Zustimmung der Bevölkerung zu bündnispolitischen und geostrategischen Entscheidungen, die andere Menschen in Mitleidenschaft ziehen, wird - am liebsten stillschweigend - über die Prämisse organisiert, daß das Überleben des hochproduktiven Industriestandorts Deutschland von seiner ressourcentechnischen und handelspolitischen Bemittelung abhängt. Besonders deutlich wird die Einbindung der Bundesbürger in die Erwirtschaftung nationaler Interessen an der Maximierung militärischer Zerstörungsgewalt im Rüstungssektor, dessen Arbeitsplätze gegen die Interessen der Menschen verteidigt werden, die an seinen Produkten vergehen.

Aber auch die geostrategische Plazierung der EU und Bundesrepublik auf internationalen Konfliktfeldern wie dem Nahen und Mittleren Osten ist von einem Gewaltverhältnis bestimmt, das in der Verstetigung und Erweiterung des ökonomischen Mißverhältnisses zwischen den Ländern des Südens und des Nordens manifest wird. Zwar werden die Interessen der Bundesrepublik weitgehend über die Hegemonialpolitik der USA vermittelt, die Bundesregierung kann sich dennoch nicht davon freisprechen, aktiv an der Verschärfung mörderischer Entwicklungen beteiligt zu sein. So haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Frank Walter Steinmeier die Bombardierung des Libanon 2006 und den Überfall auf Gaza 2008/2009 dadurch begünstigt, daß sie keinen Versuch unternommen haben, Israel in die Schranken zu weisen.

Die Akzeptanz einer aggressiven Kriegführung, die in keiner Weise durch die unterstellte Bedrohung Israels zu rechtfertigen war, durch diese Bundesregierung schlägt sich hierzulande in der weitgehenden Ausblendung der rechtlichen und politischen Forderungen nieder, die an Israel zu erheben wären, wenn die beanspruchte Legalität staatlichen Handelns auch in der Außenpolitik eingelöst würde. Daß dieses Thema ein blinder Fleck von beachtlicher Größe im Wahlkampf geblieben ist, markiert die Disposition für das Begehen entsprechende Aggressionen im Namen der Bundesregierung. Man findet sich im Klub der gewaltsamen Weltordner desto besser zurecht, je weniger Widerspruch man in der eigenen Bevölkerung erntet.

Die besondere Verbindung zwischen der Geschichte Israels und Deutschlands wird denn auch dazu genutzt, die gegenteilige Konsequenz aus der Vernichtung der europäischen Juden durch das NS-Regime zu ziehen. Das streitbare Eintreten gegen Rassismus und Nationalchauvinismus verkehrt sich zur Legitimation rassistischer und nationalistischer Dispositionen, indem Israel als potentielles Opfer dargestellt wird, selbst wenn andere Menschen seit langem, trotz des expliziten Widerspruchs zahlreicher Juden in aller Welt, unter seinen kolonialistischen Praktiken leiden.

Bundeskanzlerin Merkel hält, wie einer Stellungnahme auf einer Pressekonferenz in London am 19. September zu entnehmen ist, unbeirrt daran fest, Israel von politischen und rechtlichen Bewertungen freizuhalten, deren Relevanz durch ihre Anwendung auf andere Staaten erwiesen ist. So antwortete sie auf die Frage, ob sich die den Palästinensern abverlangte Anerkennung Israels als Staat der Juden nachteilig auf die dort lebenden Araber auswirkte, daß man "in Deutschland auch über einen deutschen Staat redet, während man davon Abstand nimmt, irgend jemanden von anderer Herkunft zu diskriminieren. Das Ziel besteht darin, die Mehrheit zu definieren, ohne die 1,5 Millionen Menschen arabischer Herkunft mit einem Fragezeichen zu versehen" (Haaretz, 20.09.2009 via www.SteinbergRecherche.com).

Mit diesem Vergleich hat die Bundeskanzlerin vermieden, auf den mit säkularen Demokratien westlichen Zuschnitts unvereinbaren Status des jüdischen Charakters Israels einzugehen. Die Bundesrepublik ist der Staat aller seiner Bürger und nicht von Deutschen, die sich aus ethnischen, religiösen oder kulturellen Gründen gegen andere Bürger abgrenzen. Israels arabische Bürger werden schon benachteiligt, und eine Verfassung, die die Privilegierung seiner jüdischen Bürger festschriebe, würde diesen Zustand zementieren. Vor allem jedoch wird mit diesem Anspruch das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge ausgehebelt, das, wenn es schon nicht faktisch realisiert werden wird, zumindest ein wichtiger Verhandlungspunkt wäre, mit Hilfe dessen die Palästinenser die Durchsetzung anderer Ansprüche befördern könnten.

Nimmt man die Bundeskanzlerin beim Wort, dann geht es auch in Deutschland darum, "die Mehrheit zu definieren", sprich Minderheiten aller Art zu benachteiligen. Dies ist ein probates Mittel, den sozialen Konflikt, der die Gesellschaft der Bundesrepublik bestimmt, auf eine Weise zu befrieden, die mit dem fortschrittlichen Anspruch, das unheilvolle Vermächtnis des NS-Staats zu überwinden, bricht.

Fast überflüssig zu erwähnen ist denn auch die Stellungnahme der Bundeskanzlerin zum Untersuchungsbericht der Goldstone-Kommission, der den israelischen Streitkräften nachweist, beim Überfall auf Gaza Kriegsverbrechen begangen zu haben. Sinngemäß erklärte sie auf der Pressekonferenz in London, daß man sich damit nicht weiter befassen sollte. Nun gehe es darum, nach vorne zu schauen und zu verhindern, daß sich derartige Auseinandersetzungen wiederholten.

Diese Position steht in krassem Widerspruch zu der von Merkel gutgeheißenen strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen, die während der jugoslawischen Sezessionskriege begangen wurden und von der insbesondere Serben betroffen sind. Sie steht im Widerspruch zur Beteiligung der Bundesrepublik an der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) und der Unterstützung seiner Arbeit etwa im Fall des sudanesischen Präsident Omar al Bashir, gegen den das ICC Anklage erhoben hat und der bei Einreise nach Deutschland zweifellos festgenommen würde. Vor allem bricht das Veto der Bundeskanzlerin gegen die Anwendung internationalen Rechts auf die israelische Regierung mit der von ihr selbst geäußerten Absicht, solchen Entwicklungen vorzubeugen, wurde doch die Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher zu eben diesem Zweck in das internationale Recht integriert.

Kein Wunder also, daß über diese Aussagen Merkels in der Bundesrepublik kaum berichtet wird. Außenpolitische Fragen haben die Bürger nicht etwa deshalb nicht zu interessieren, weil sie angeblich nichts davon verstünden. Sie sollen schlicht in Unkenntnis darüber gelassen werden, daß das freundliche Gesicht der Regierungschefin, ihr leutseliges Auftreten und ihre wohlmeinende Einstellung Seiten haben, die Aufschluß über den Blutzoll geben, der anderen Menschen zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele der Bundesrepublik abverlangt wird.

22. September 2009