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FRIEDEN/1101: Nobelpreis stellt Vorherrschaft von Krieg und Frieden nicht in Frage (SB)



Nachdem das Nobelpreiskomitee im Jahr 2009 bei der Verleihung des Friedensnobelpreises mit US-Präsident Barack Obama einen völligen Fehlgriff getan und im vergangenen Jahr mit dem Menschenrechtler Liu Xiaobo im Rahmen des üblichen westlich betriebenen China-Bashings der Regierung in Peking gegen's Schienbein getreten hat, war die diesjährige Wahl der jemenitischen Menschenrechtlerin Tawakkul Karman, Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und der liberianischen Aktivistin Leymah Gbowee vergleichsweise konfliktarm.

Obama hat sich nicht als der Friedensengel erwiesen, den sich viele Menschen erhofften. In seiner Amtszeit werden mehr denn je Menschen und ihre Familien oder auch Freunde und Bekannten weltweit willkürlich mit Hilfe von ferngelenkten Roboterflugzeugen, sogenannten Drohnen, exekutiert. Das schürt die Spannungen in den Nordwestgebieten Pakistans und sorgt auch am Horn von Afrika für Unruhen. Zudem hatte nicht zuletzt die Finanzierung somalischer Wegelagerer und Halsabschneider durch den US-Geheimdienst CIA Mitte des letzten Jahrzehnts maßgeblich zum Erstarken der Islamisten geführt, gegen die jene Warlords mit der US-Waffenhilfe antreten sollten und die nun vom Obama-Militär mit Drohnen hingerichtet werden. Der Frieden, den der US-Präsident bringt, wird mit Blut geschrieben.

Auf der anderen Seite trägt die Verleihung des Friedensnobelpreises an die amtierende Präsidentin eines Landes, in dem in wenigen Tagen gewählt wird, etwas Geschmäckle, auch wenn niemand an Johnson-Sirleafs Wiederwahl gezweifelt hat. Aber bitte, die Leistungen Johnson-Sirleafs sollen nicht geschmälert werden, schließlich versteht sie es seit fünf Jahren, die sozialen Spannungen, die in der Vergangenheit in opferreichen Konflikten mündeten, abzumildern und den westafrikanischen Staat auf den Weg zur Integration in Weltmarkt und Weltordnung zu bringen. Daß auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit noch weit über 50 Prozent beträgt und auf der anderen Menschen auf den Plantagen oder im Bergbau für Löhne schuften, die sie und ihre Familien gerade mal am Leben erhalten, kann man schwerlich an einer Stelle kritisch anmerken, an der die Alternative für die Einwohner dieses westafrikanischen Staats vermutlich darin bestünde, sich gegenseitig mit Messern, Macheten und Kalaschnikows zu Leibe zu rücken.

Die liberianische Aktivistin Leymah Gbowee ist somit eine passende Ergänzung zu Johnson-Sirleaf, steht aber auch für sich, hat sie doch gegen den berüchtigten Warlord und späteren Präsidenten Liberias Charles Taylor protestiert, wohingegen Jahre zuvor Ellen Johnson-Sirleaf für diesen Spenden gesammelt hatte. 2002 gründete Gbowee die Bewegung "Women of Liberia Mass Action for Peace", in der Christinnen und Musliminnen gemeinsam für ein Ende des Bürgerkriegs demonstrierten.

Daß eine Person aus dem "arabischen Frühling" den Friedennobelpreis erhalten würde, galt als sehr wahrscheinlich. Die Journalistin Tawakkul Karman, Mutter dreier Kinder, die zur Zeit in einem Zelt in Jemens Hauptstadt Sanaa Zelt lebt, war sicherlich nicht die einzige Option. Für welchen Frieden sie steht ist unklar, kann doch der Aufstand in Jemen von einem Tag auf den anderen in einer Explosion der Gewalt enden.

Der Frieden, den das Nobelpreiskomitee ehrt, meint Befriedung und steht in einem unverbrüchlich antagonistischen Verhältnis zu Krieg. Frieden führt nicht endgültig von ihm fort, sondern stets auf ihn zu. Folglich wird mit den Nobelpreisen niemand geehrt, der die Klammer von Krieg und Frieden endgültig zunichte machte. Ob das überhaupt eine Person sein kann, die wie Johnson-Sirleaf an der Spitze eines Staates steht oder wie Gbowee für die Verbesserung des Rechts eintritt oder wie Karman einen despotischen Präsidenten stürzen und einen Regime-change auslösen will, bleibt solange eine unbeantwortete Frage, wie die Vorherrschaft von Krieg und Frieden in all ihren gesellschaftlichen gewaltregulierenden Facetten, vom Militäreinsatz bis zur Lohnarbeit, ihre Gültigkeit besitzt.

8. Oktober 2011