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FRIEDEN/1112: Kriegsprojekt legitimieren - Friedensnobelpreis für die EU (SB)




Wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union eindrucksvoll bestätigt, handelt es sich beim Frieden um die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Wenngleich ein Ende von Tod, Zerstörung und Elendsfolgen durch Waffengänge ein unabweisliches Gebot der Humanität bleibt, muß sich jede Friedensbewegung als zahnlos erweisen, die den Krieg abschaffen will, ohne an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen zu rühren. Ausbeutung und Unterdrückung haben viele Gesichter, und wer es an Bereitschaft fehlen läßt, sich allen zu stellen, wird nicht eines aus der Welt schaffen. Menschen sterben an Hunger, Krankheit, Armut, Auspressung ihrer Substanz im Arbeitsprozeß und eben auch im Krieg, was letzteren nicht relativiert, sondern im Gegenteil geeignet sein sollte, der Verklärung des Friedens eine Absage zu erteilen.

Welcher Frieden sollte auch gemeint sein? Etwa jener des kapitalistischen Verwertungsregimes, das weder Arbeitskämpfe noch Hungerrevolten gebrauchen kann? Oder der Schulterschluß früherer Erzfeinde wie Deutschland und Frankreich, die als kerneuropäische Führungsmächte den Rest der EU dominieren? Wollte man den europäischen Zusammenschluß zu Lasten seiner schwächeren Mitglieder allen Ernstes als Friedensbündnis feiern, müßte man Schlimmstes für die nahen und ferneren Nachbarn fürchten. Den Krieg tendentiell auszulagern und ihn in entlegenen Weltregionen zu führen folgt der Logik und Notwendigkeit imperialistischer Expansion, die nur jene als Frieden genießen können, die von ihr in mehr oder minder großem Ausmaß profitieren.

In seiner Begründung formuliert das Osloer Komitee: "Die EU und ihre Vorgänger tragen seit mehr als sechs Jahrzehnten zur Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa bei." Berücksichtigt man, in welchem Umfang diese Behauptung historische Fakten ignoriert, kommt man zu dem Schluß, daß sich der Friedensnobelpreis endgültig in ein Instrument zur Legalisierung westlicher Angriffskriegsoptionen verwandelt hat. Der EU-Vertrag von Lissabon 2007 verpflichtet jedes Mitgliedsland, "seine Verteidigungsfähigkeiten durch Ausbau seiner nationalen Beiträge und gegebenenfalls durch Beteiligung an multinationalen Streitkräften, an den wichtigsten europäischen Ausrüstungsprogrammen und an der Tätigkeit der Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) intensiver zu entwickeln." [1]

Die EU steht für Militarismus in ihrem Inneren, sieht doch das Solidaritätsabkommen die Intervention in Mitgliedsländern vor, sollte die jeweilige Regierung Hilfe zur Bekämpfung der eigenen Bevölkerung im Falle drohender Erhebungen anfordern. Sie steht für Kriegseinsätze in Europa wie den völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien. Und nicht zuletzt repräsentiert dieser Zusammenschluß nach den Maßgaben der europäischen Führungsmächte eine Militärmacht nach außen, die mit eigenen Battlegroups ihre Schlachten schlagen will. Mitgliedsstaaten der EU waren oder sind an Angriffskriegen wie jenen in Libyen und Afghanistan beteiligt. Hinzu kommt eine außerordentlich repressive Flüchtlingsabwehr und Asylpolitik, die man durchaus als Kriegsführung gegen Menschen nichteuropäischer Herkunft bezeichnen kann. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen würdigte denn auch die EU als "einzigartigen und entscheidenden Partner" des Bündnisses und kommentierte deren Auszeichnung mit den Worten, beide hätten gemeinsame Werte und dazu beigetragen, "das neue Europa zu formen". Er hoffe auf eine weitere Vertiefung der strategischen Partnerschaft beider Organisationen. [2]

Europas Politiker überschlugen sich förmlich in ihrem Jubel angesichts dieser ideologischen Rückendeckung in Zeiten der Krise und unterschlugen dabei kurzerhand Ereignisse wie den Jugoslawienkrieg, als rechneten sie den damaligen Balkan noch nicht zu Europa oder spielten den Angriffskrieg zu einem Polizeieinsatz herunter. Kanzlerin Angela Merkel sprach von Ansporn und Verpflichtung, Außenminister Guido Westerwelle vom erfolgreichsten Friedensprojekt der Geschichte. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso schwadronierte von einer "großen Ehre für die 500 Millionen Bürger Europas" und Parlamentspräsident Martin Schulz sprach den Preis den Bürgerinnen und Bürgern der EU zu. Ratspräsident Herman van Rompuy verstieg sich gar zu der absurden Formel, die Gemeinschaft sei der "größte Friedensstifter der Geschichte".

Die naheliegende Frage, von welcher Gemeinschaft eigentlich die Rede ist, droht angesichts der wie selbstverständlichen Gleichsetzung der EU mit Europa und den europäischen Bürgern beinahe unterzugehen. Nur wenigen scheint aufzufallen, daß das Projekt einer überstaatlichen Administration, das von den stärksten Nationalstaaten dominiert und zu Lasten der schwächeren installiert wird, sich unmittelbar gegen die verbliebene Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der letztgenannten Länder richtet. Einzig der tschechische Präsident und EU-Skeptiker Vaclav Klaus hatte die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union in einer ersten Reaktion als "Scherz" abgetan. Der Staatschef könne die Nachricht nicht glauben, sagte sein Sprecher Radim Ochvat der Zeitung "Pravo". Beim Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck am Mittwoch in Tschechien hatte Klaus in einer Tischrede vor einem "neuen europäischen Superstaat" gewarnt. Die Angst vor Schulden und Staatsbankrott werde den Kontinent nicht einen können, warnte der 71jährige.

Was sich als Ermutigung der Europäischen Union in schweren Zeiten larviert, muß als Drohung an die Regierungen und Bevölkerungen aufgefaßt werden. Niemand darf ausscheren und das Projekt gefährden, keiner soll es wagen, seiner Verzweiflung angesichts um sich greifender Verelendung auf der Straße Ausdruck zu verleihen. In Erwartung schwerer sozialer Unruhen in den Ländern Europas hat das Komitee in Oslo Vorsorge getroffen und mit der Verleihung des Nobelpreises gewissermaßen in Stein gemeißelt, daß zwangsläufig ein Friedensbrecher sei, wer sich dieser administrativen Gewalt und ihrem polizeilich-militärischen Arm nicht bedingungslos unterwirft.

Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2012/10-13/056.php

[2] http://www.fr-online.de/politik/friedensnobelpreis-sechs-jahrzehnte-frieden,1472596,20584254.html

13. Oktober 2012