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FRIEDEN/1119: Wo bleibt der massenhafte Protest gegen die neuen Kriege? (SB)




Zwar weist die Bevölkerung der Bundesrepublik bei Umfragen mit großer Regelmäßigkeit eine ablehnende Haltung gegenüber der Möglichkeit auf, die Bundeswehr in weitere Kriege zu entsenden; dennoch wirkt sich diese Haltung nicht in Massendemonstrationen oder einer entsprechenden Zahl von Wählerstimmen für die einzige konsequent gegen den Kriegskurs deutscher Regierungen opponierende und im Bundestag vertretene Partei aus. Das letzte Großereignis dieser Art waren die weltweiten Demonstrationen gegen den drohenden Irakkrieg am 15. Februar 2003, die auch in der Bundesrepublik gut besucht wurden, obwohl keine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr im direkten Kampfeinsatz geplant war. Seitdem blieb die Teilnahme auch bei großen Demonstrationen etwa gegen den Afghanistankrieg bestenfalls auf wenige tausend Menschen beschränkt.

Fragt man nach den Gründen für die geringe Mobilisierungsfähigkeit, dann scheinen gleich mehrere Faktoren dazu beizutragen, daß die friedensbewegten und antimilitaristischen Aktivistinnen und Aktivisten auch innerhalb der linken Bewegung, der der Protest gegen den Krieg stets ein Kernanliegen war, eher zu den kleineren Gruppen mit spezifischer Themenstellung zählen. Neben der offensichtlichen Einflußlosigkeit des außerparlamentarischen Protests auf konkrete politische Entscheidungen zu einer Bundeswehr, die selbst beansprucht, die größte Friedensbewegung im Land zu sein, und der immer geringeren Zahl von Bundesbürgern, die das Grauen des Krieges selbst erlebt haben, vernebelt vor allem der Verlust einer linken Kritikfähigkeit die Einsicht in die Unerläßlichkeit dieses Protestes, die in der Analyse materieller Gewaltverhältnisse begründet ist.

So hat die Desavouierung internationalistischer und antiimperialistischer Positionen als in angeblich nationalistischer Verblendung und überkommenem Antiamerikanismus verhafteter Rückständigkeit maßgeblich dazu beigetragen, größere Teile der Linken von Demonstrationen gegen die Kriege in Afghanistan, im Nahen Osten und in Nordafrika fernzuhalten. Man mag sich nicht mehr mit den Anliegen antikolonialistischer Befreiungskämpfe solidarisch zeigen, weil deren Subjekte mit reaktionären Doktrinen islamistischer oder nationalistischer Art identifiziert werden. Das kann so weit gehen, daß der damit eröffnete Anschluß an die kulturalistische Suprematie des Terrorkriegs zumindest insofern in Anspruch genommen wird, als die Kriegführung der NATO, der Türkei oder Israels als kleineres Übel legitimiert wird. Was dies mit der bedrückenden Realität der Afghanen, Pakistaner, Palästinenser oder Kurden zu tun hat, entzieht sich der humanitär modernisierten Linken nicht minder, als sie nicht in der Lage zu sein scheint, die geostrategischen und hegemonialen Implikationen der NATO in Kriegen zu erkennen, die den Sturz mißliebiger Regimes zum Ziel haben. Daß der operative Menschenrechtsuniversalismus den Platz einer qualitativen Analyse in den Expansionszonen der NATO herrschender Gewaltverhältnisse besetzt, ist nicht nur Nebeneffekt seiner doktrinären Durchsetzung, sondern Sinn und Zweck der Umwertung humanistischer Werte.

Die Instrumentalisierung der Arabellion für die Zwecke einer Neuordnung der Machtverhältnisse in der arabischen Welt zugunsten der Interessen imperialistischer Akteure ist offenkundig. So ließ sich etwa der Sturz Gadaffis mit massenmedialer und kulturindustrieller Wucht auch unter Linken als Projekt einer Befreiung propagieren, die die kapitalistischen Grundfreiheiten zu Lasten der sozialen Interessen der betroffenen Bevölkerungen zur Freiheit überhaupt verabsolutiert. Daß die Durchsetzung der neoliberalen Freiheitsdoktrin unter erheblicher Zerstörung von Lebenschancen und Menschenleben erfolgt, ist ihrer ureigenen Dynamik einer kapitalistischen Inwertsetzung geschuldet, die die Zerstörung auch letzter Reste solidarischer und selbstbestimmter Gesellschaftsstrukturen zwecks Durchsetzung höherer Verwertungsraten notwendig voraussetzt. "Sozial ist, was Arbeit schafft", tönen die Herolde neoliberaler Marktlogik und korrumpieren damit auch die Massengewerkschaften, wie die jüngste Annäherung zwischen DGB und Bundeswehr zeigt. Auf dem Spiel steht die Erwirtschaftung einer Kapitalrendite, die in diesem Ausmaß ohne geostrategische Ressourcensicherung, ohne Aufrechterhaltung des Produktivitätsgefälles von Nord nach Süd und ohne Profite der Rüstungsindustrie nicht zu haben ist.

Die Ausblendung materieller Gewaltverhältnisse zu Lasten einer Analyse der Entwicklung von Kriegen, in denen soziale Widersprüche und Klassenantagonismen eine zentrale Stelle einnehmen, verhindert, daß die Frage von Krieg und Frieden mit den sozialen Grausamkeiten zusammengedacht wird, die die neoliberale Austeritätspolitik über die Bevölkerungen der EU gebracht hat. Wo sich Menschen gegen Zwangsräumungen und Gentrifizierung, gegen die Zerstörung ihrer natürlichen und sozialen Umwelt, gegen die Nötigungs- und Ausgrenzungsstrategien des staatlichen Arbeitsregimes zu Tausenden mobilisieren lassen, da treten sie im Kern gegen das Diktat einer Kapitalmacht an, die auch bei der angeblich unerläßlichen Anwendung militärischer Gewalt immer offener bekennt, daß dies zur Sicherung des Reichtums in den westlichen Metropolengesellschaften erfolgt.

Um die Unterstellung, bei den neuen Kriegen handle es sich um eine im Ergebnis menschenfreundliche Form der legalistischen, mit polizeilichen Mitteln exekutierten Weltinnenpolitik, in ihrer kategorischen Menschenfeindlichkeit zu enthüllen, tut Aufklärung grundsätzlicher Art not. Begreifbar zu machen, daß Kapitalismus und Krieg zwei Seiten einer Medaille sind, wäre für eine Friedensbewegung, die nicht vergessen hat, daß der Frieden der Paläste den Krieg der Hütten bedingt, ein möglicher Fortschritt. Die Werbung der Bundeswehr in Schulen, die Militärforschung an Hochschulen, die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, die Aufrüstung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen und der Ausbau der Kapazitäten der militärischen Aufstandsbekämpfung, all dies geht zu Lasten der sozialen Interessen von Menschen, die nicht widerstandslos hinnehmen wollen, daß sie zur allseits einsetzbaren, im Zweifelsfall gewaltsam gezwungenen Verfügungsmasse von Kapitalinteressen werden sollen. Die eigene Beteiligung am weltweit geführten sozialen Krieg zum Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses zu machen, der das indifferente Unbehagen an den neuen Kriegen in aktiven Widerstand gegen sie verwandelt - wenn überhaupt, dann liegt hier das Mobilisierungspotential der Friedensbewegung begraben.

16. Februar 2013