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FRIEDEN/1125: Sterben für die Ukraine? Den Kriegstreibern das Handwerk legen ... (SB)




Sterben für die Ukraine? Die Stellungnahmen einiger Politikerinnen und Politiker erwecken den Anschein, als müsse unter allen Umständen an der Eskalationsschraube gedreht werden. So fordert die EU-Abgeordnete Rebecca Harms, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl, dem militärischen Drohpotential Rußlands "eine Entsprechung in erster Linie meiner Meinung nach in der Europäischen Union" [1] entgegenzusetzen. Ihr Kollege Werner Schulz versteigt sich zu einem besonders abenteuerlichen Vergleich. Den von ihm in Rußland ausgemachten "aggressiven Nationalismus" und "Hurra-Patriotismus" macht er daran fest, daß es "zur Annexion der Krim" nur eine Gegenstimme in der Duma gegeben habe. Das wiederum sei "wie 1914, als Karl Liebknecht der einzige war, der gegen die Kriegskredite des Kaisers gestimmt hat." [2]

Ausgerechnet die Opposition des antimilitaristischen Revolutionärs des deutschen, damals unter anderem gegen Rußland gerichteten Imperialismus in Anspruch zu nehmen, um einen aus den Trümmern der Sowjetunion entstandenen und durch die Hegemonialpolitik der EU angeheizten Konflikt als "neoimperialen Gebietsanspruch" Putins in eine Reihe mit den aggressiven Ambitionen des deutschen Kaiserreichs zu stellen, stellt nicht nur eine Vereinnahmung Liebknechts für olivgrüne Zwecke dar, gegen die sich der Mitbegründer der KPD zweifellos verwahrt hätte. Schulz vollzieht zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs auch jene auf breiter Ebene staatsaffinen Gedenkens betriebene Exkulpation deutscher Interessenpolitik, die ihrer Restauration im Gewand des demokratischen Imperialismus Flügel verleihen soll.

Selbst wenn Rußland sich so neoimperial gebärdete, wie Schulz behauptet, wäre die Konsequenz, dies mit einer militärischen Drohung seitens der bis an die Grenzen des Landes expandierenden NATO zu quittieren, keineswegs selbstverständlich. Indem Rebecca Harms kaum verhohlen für ein militärisches Quid pro quo votiert, setzt sie die seit dem Ende der Sowjetunion anhaltende Herausforderung der Russischen Föderation durch die NATO mit einem regionalen Nachbarschaftskonflikt gleich, den im Interesse des eigenen Hegemonialstrebens zu internationalisieren keinen anderen Zweck hat, als zum eigenen Griff auf die Ukraine zu ermächtigen.

So gerät das Eigeninteresse der EU und USA in der Debatte um die Frage, wie groß der Einfluß des Kreml auf separatistische Gruppen in der Ostukraine sei oder ob er sie gar direkt lenke, vollends unter die auch nur die letzten fünf Monate betreffende Wahrnehmungsschwelle. Nur durch die Ausklammerung der im Assoziierungsabkommen dokumentierten Absicht der EU, die Ukraine als verlängerte Werkbank eigener Produktivität, als Exportmarkt für in der EU selbst immer schwieriger abzusetzende Waren wie als Lieferantin kostengünstiger Ressourcen dem eigenen Nutzen zuzuführen, läßt sich der einseitig gegen Rußland gerichtete Vorwurf der Aggression aufrechterhalten. Das gilt auch für die Manöver der US-Regierung, die das Land als eine geopolitische Achse im Kampf gegen die Vormachtstellung Rußlands auf der eurasischen Landmasse betrachtet und den Regimewechsel in Kiew dementsprechend unterstützt hat. Daß dort nun einige neofaschistische Politiker in Regierungsämtern sitzen, ist eine Tatsache, die bei der Aussage, Rußland fühle sich zum Schutz der ethnisch russischen Bevölkerung der Ukraine verpflichtet, nach wie vor sorgfältig umschifft wird.

So sind Rebecca Harms, die zusammen mit dem EU-Abgeordneten Elmar Brok zur Speerspitze des Maidan im Europaparlament zählt, und andere deutsche Politikerinnen und Politiker maßgeblich damit beschäftigt, die offenkundige Kollaboration der Bundesrepublik mit Kräften, die sich zum Teil positiv auf den Aggressionskrieg Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion beziehen, zu verharmlosen. Daß sich gerade grüne Politikerinnen und Politiker, deren Partei aus der Neuen Linken der 1960er Jahre hervorgegangen ist und die sich in der Bundesrepublik gerne mit einem antifaschistischen Selbstverständnis schmücken, den deutschen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion nicht zugunsten der in Rußland aufgekommenen Empörung über die Rolle Swobodas und des Rechten Sektors in der Ukraine in Rechnung stellen wollen, ist mehr als nur eine geschichtsvergessene Nachlässigkeit.

Im Überschwang großmächtiger Ambitionen soll Deutschland zu einer europäischen Ordnungsmacht aufgebaut werden, deren Definitionsmacht nationale Interessenpolitik begünstigt et vice versa. Hinter dem auf "Putin" als vermeintlich solitären Urheber des Konflikts eingeschossenen Tenor massenmedialer und politischer Leitkultur ist ein russophobes Ressentiment zu erkennen, das fast nahtlos an die antikommunistische Legitimation der NATO im Kalten Krieg und den antibolschewistischen Feldzug der Nazis anknüpft. Sterben für die Ukraine will tatsächlich niemand, auch nicht der vehementeste Verfechter einer Freiheitslyrik, die vergessen macht, daß ein Maidan gegenüber der Frankfurter EZB gar nicht erst zustande käme, weil die politische Repression in der Bundesrepublik um einiges effizienter ist als in der Ukraine. Dort stürzte Präsident Janukowitsch unter anderem darüber, daß er die Opposition auf dem Maidan mit Verbotsverfügungen ruhigstellen wollte, die hierzulande regelmäßig gegen die linke Opposition angewendet werden.

Nein, gestorben werden soll einmal mehr für deutsche Interessen in der Ukraine und anderswo. Wer heute versucht, den bisher einigermaßen haltbaren Konsens, eine kriegerische Konfrontation zwischen NATO und Rußland schon im Frühstadium ihrer möglichen Entstehung zu verhindern, zu durchbrechen, indem er oder sie die Aufstockung von NATO-Truppen in Osteuropa gutheißt oder die Notwendigkeit einer Machtdemonstration gegenüber Rußland befürwortet, geht sehenden Auges Risiken ein, für die im Ernstfall niemand die Verantwortung übernehmen kann, weil der Tod zahlreicher Menschen noch nie durch persönliche Haftbarkeit rückgängig gemacht werden konnte. Höchste Zeit also, die im Zuge der Remilitarisierung deutscher Außenpolitik viel geschmähte Tugend, aus Prinzip gegen Krieg und Imperialismus zu kämpfen, als solche wiederzuentdecken.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/ukraine-krise-harms-warnt-vor-unregierbarkeit.694.de.html?dram:article_id=283314

[2] http://www.deutschlandfunk.de/ukraine-konflikt-putin-ist-der-verursacher-der-eskalation.694.de.html?dram:article_id=282934

23. April 2014