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HEGEMONIE/1572: Britannien nimmt diplomatischen Kontakt mit Hisbollah auf (SB)



Die Entscheidung des britischen Außenministeriums, die diplomatische Boykottierung der libanesischen Partei Hisbollah aufzuheben und "sorgsam ausgesuchte" (The Guardian, 05.03.2009) Kontakte mit dem politischen Flügel der schiitischen Organisation aufzunehmen, ist dem erforderlichen Pragmatismus im politischen Umgang mit allen Akteuren geschuldet, die im Nahen Osten von Belang sind. Die Hisbollah ist mit 14 von 128 Abgeordneten im Beiruter Parlament vertreten, hat einen Minister im Regierungskabinett und erfreut sich insbesondere unter der schiitischen Bevölkerung des Südlibanon großer Unterstützung. Aufgrund des erfolgreichen Widerstands gegen Israel im zweiten Libanonkrieg 2006 werden die Milizionäre der Hisbollah trotz ihres irregulären Charakters von weiten Teilen der Bevölkerung des Landes als legitime Verteidigungsstreitmacht betrachtet.

Das sieht man insbesondere in den USA und Israel, aber auch in Kanada und Britannien anders. In diesen Ländern gilt die Hisbollah offiziell als terroristische Organisation, was einen politischen Umgang mit ihren Vertretern normalerweise ausschließt. Daß man sich in London dennoch dazu entschieden hat, erinnert daran, wie problematisch die Nahostdiplomatie durch die Kriminalisierung einflußreicher Akteure geworden ist. Da die Hisbollah zudem als enger Verbündeter des Irans gilt, kann dieser Schritt als Testballon dafür verstanden werden, wie ernst es die neue US-Administration mit der Initiierung einer neuen Nahostpolitik meint. Er kann allerdings auch als Vorbereitung dafür gelten, die von der israelischen Regierung bei einem Angriff der USA oder der eigenen Streitkräfte auf den Iran gefürchtete Entstehung einer zweiten Front im Norden zu verhindern.

Die bei Bekanntgabe dieser Entscheidung abgegebene Erklärung, daß damit kein Präzedenzfall für den Umgang des britischen Außenministeriums mit der von ihr ebenfalls als terroristische Organisation behandelten palästinensischen Hamas geschaffen werde, verweist auf die Möglichkeit einer Strategie des allmählichen Auseinanderdividierens dieser beiden politisch miteinander verbündeten islamistischen Organisationen. Da die Politik der USA und EU gegenüber der palästinensischen Regierungspartei unverändert von dem Versuch geprägt ist, sie mit Hilfe ihrer Boykottierung bei gleichzeitiger Förderung des politischen Konkurrenten Fatah auszumanövrieren, erscheint die Einbindung der Hisbollah als probates Mittel, die gemeinsame Front gegen Israel aufzuweichen und die Hamas noch mehr zu isolieren als bisher.

Ob Vertreter des politischen Islam überhaupt zu Gesprächspartnern der EU werden können, hängt allemal davon ab, ob man sich zu einer weniger einseitigen Politik gegenüber Israel durchringen kann. Alle bis jetzt solchermaßen zu interpretierende Anzeichen unterliegen dem Vorbehalt, als taktische Winkelzüge von befristeter Dauer zu sein. So lange Israel sich nicht seinerseits um einen verbesserten Kontakt mit seinen Nachbarn bemüht, steht jede Anbahnung einer Zusammenarbeit mit Hisbollah oder Hamas zur Disposition ihrer Beendigung durch plötzliche Eskalationen, so daß man ihnen keine zu große Bedeutung beimessen sollte.

6. März 2009