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HEGEMONIE/1600: Über ihre politische Zukunft befinden die Iraner und niemand sonst (SB)



Der Machtkampf im Iran ist nicht nur das Ergebnis innerer Widersprüche zwischen verarmten Massen und gutsituierter Bourgeoisie, zwischen ländlicher Orthodoxie und urbaner Avantgarde. Er resultiert zu einem Gutteil aus dem außenpolitischen Druck, unter dem die Islamische Republik seit dem Sturz des Shahs und, in verstärktem Maße, seit Beginn des sogenannten Atomstreits leidet. Der Regimewechsel in Teheran steht mehr oder weniger offen seit Jahren auf der Agenda der USA und EU, und zwar nicht etwa, weil die schiitische Theokratie so autoritär und repressiv ist. Die Mittelmacht Iran ist ein wichtiger Akteur in einer für die geostrategischen Pläne des Westens zentralen Region und wird als solche mit allen Mitteln machtpolitischer Kunst genötigt, sich den Interessen imperialistischer Mächte zu unterwerfen.

Die Forderung nach Einstellung der Urananreicherung repräsentiert das Maß der Subordination, mit dem der Iran auf den Leisten einer nach Zentralasien und letztlich Rußland wie China ausgreifenden Geopolitik gespannt werden soll. Diese gegen die Regularien des Nichtverbreitungsvertrags verstoßende Forderung steht im Widerspruch zur Akzeptanz und Unterstützung, die die sich keiner internationalen Kontrolle aussetzenden, atomar bewaffneten Staaten Indien, Pakistan und Israel seitens der USA und EU genießen. Es liegt auf der Hand, daß sich nicht nur die Anhänger des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad, sondern auch die seines Herausforderers Mirhossein Mussawis nicht damit einverstanden erklären, auf die vollständige zivile Nutzung der Atomenergie zu verzichten, nur weil die USA und Israel dies verlangen. Allerdings versprechen sich die sogennannten Reformer von einem außenpolitischen Schwenk eine opportunistische Lösung des Problems, während der regierende Präsident eine recht unversöhnliche Haltung in dieser Frage an den Tag legt, so daß er auch in Zukunft ein unbequemerer Verhandlungspartner für den Westen wäre.

Die gegen ihn und seine Unterstützer erhobenen Vorwürfe der Wahlfälschung werden durchaus kontrovers diskutiert, wenn man einmal über den engen Fokus westlicher Medien hinausschaut. Zudem hat sich nicht nur der oberste Geistliche Ayatollah Ali Chamenei der Manipulation verdächtig gemacht, als er Ahmedinejad vorzeitig zum Wahlsieger erklärte, sondern Mussawi erklärte sich noch während des Wahlgangs am Freitag vor seinen Anhängern zum Sieger. Chamenei ist inzwischen zurückgerudert und hat den Wächterrat mit einer genauen Überprüfung der Betrugsvorwürfe Mussawis beauftragt, wozu dieses mächtige Gremium ohnehin verpflichtet ist.

Die im Vorfeld dieser Klärung erfolgten Proteste werden massiv unterdrückt, sind ihrerseits aber auch keineswegs nur friedlicher Natur. So soll der Tod der am Montag laut iranischen Medien sieben erschossenen Demonstranten im Zusammenhang mit dem Versuch der Protestler stehen, ein Gebäude einer Ahmedinejad unterstützenden Miliz anzuzünden und zu erstürmen. Die Appelle iranischer Oppositioneller an Hilfe aus dem Ausland passen so gut ins Konzept dort gehegter Hoffnungen auf einen Regimewechsel in Teheran, daß sie sich schwerlich auf die gleiche Weise unterstützen lassen, wie es Demokratiebewegungen verdienen, die nicht die Unterstützung westlicher Regierungen genießen.

Es ist schließlich kein Zufall, daß die Bundesregierung, die den iranischen Botschafter einbestellte, um ihren Protest gegen die Umstände der iranischen Präsidentschaftswahl zum Ausdruck zu bringen, mit autokratischen arabischen Regimes in Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien und Ägypten auf bestem Fuße steht. Gefoltert wird nicht nur im Iran, sondern auch in diesen Ländern, wobei allerdings der Unterschied besteht, daß letztere ihre dabei erlangten Erkenntnisse durchaus mit westlichen Geheimdiensten teilen.

Das iranische Wahlsystem ist nur bedingt demokratisch, weil es enge Auflagen für die Aufstellung der Kandidaten geltend macht. Es ist jedoch in mancherlei Beziehung transparenter und freier als der Regierungsbildungsprozeß in den genannten arabischen Staaten oder anderen Vasallenstaaten der Neuen Weltordnung. Auch in der Bundesrepublik gibt es, wenn auch erheblich weiter gefaßte, Grenzen demokratischer Zuträglichkeit. Daß es im Iran nach der Diktatur des von der BRD unterstützten Shahs Reza Pahlevi zu einer islamischen Theokratie gekommen ist, wäre vermeidbar gewesen, wenn der Westen nicht seit jeher rücksichtslos seine Interessen zu Lasten der Demokratiebestrebungen der Iraner durchgesetzt hätte. Die Wirkmächtigkeit des politischen Islam schiitischer Prägung ist ein ausgesprochenes Ergebnis kolonialistischer und imperialistischer Praktiken, die bis heute in der großen Zustimmung, die Ahmedinejads konfrontative Position gegenüber dem Westen genießt, fortwirken.

Eine der demokratischsten Wahlen, die je von einer arabischen Bevölkerung abgehalten wurden, fand im Januar 2006 in den von Israel besetzten Palästinensergebieten statt. Leider erfreute sich die Entscheidung der palästinensischen Bevölkerung nicht der Zustimmung der USA und EU, die daraufhin alles taten, um die Regierungspartei Hamas zu boykottieren und zu stürzen. Eine Bundesregierung, die sich über die Zustände im Iran empört, während sie sich selbst an anderer Stelle an der Unterdrückung demokratischer Willensbildungsprozesse beteiligt, macht sich zum Narren. Das gilt auch für die Forderung nach Freiheit der Medien im Iran. Als Israel Gaza überfiel und ausländischen Journalisten die Einreise dorthin untersagte, war man durchaus erleichtert darüber, nicht jeden Abend im Fernsehen die mörderischen Folgen der eigenen Außenpolitik serviert zu bekommen.

Darüber zu entscheiden, wer im Iran künftig die Regierung bildet, ist niemanden anderes Sache als der Iraner selbst. Die Einmischung von Staaten, die den Iran einer erpresserischen Sanktionspolitik aussetzen und die mit einem Land verbündet sind, das Teheran nicht nur einmal die präventive Bombardierung seiner Nuklearanlagen angedroht hat, obwohl es selbst über zahlreiche Atomwaffen verfügt und zudem die nukleare Rückendeckung der USA genießt, dokumentiert deren eigennütziges Interesse. Die Iraner sind ihnen herzlich egal, so lange sie sich nur auf die übliche Weise der ihnen abverlangten bündnis-, handels- und ordnungspolitischen Regeln unterwerfen. Um dies zu erreichen, riskiert man ohne weiteres, einen womöglich blutigen Machtkampf zu schüren, ist doch am Ende immer der andere schuld. Wer sich an den gewaltsamen Regimewechsel im Irak erinnert, den inklusive der Opfer des Wirtschaftsembargos gut anderthalb Millionen Menschen mit ihrem Leben bezahlen mußten, der weiß, daß den USA und der EU die Freiheit ihrer Kapitalinteressen fast jeden Preis wert ist.

16. Juni 2009