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HEGEMONIE/1620: Obama umwirbt UNO ... US-Machtpolitik durch die Hintertür (SB)



Die allgemein bejubelte Kursänderung, die US-Präsident Barack Obama im Umgang mit den Vereinten Nationen vorgenommen hat, ist der schlichten Einsicht in die Notwendigkeit geschuldet, seinem in seiner ökonomischen wie globalstrategischen Vormachtstellung angeschlagenen Land mehr internationale Rückendeckung zu verschaffen. Es handelt sich mitnichten um eine Aufwertung der Weltorganisation im Sinne einer Versammlung gleichberechtigter Staaten, das geht nicht nur aus der Stärkung der Stellung der USA im Klub der Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats hervor. Der etwa vom ehemaligen deutschen UN-Botschafter Gunter Pleuger gelobte Wechsel vom Unilateralismus der Bush-Ära hin zu einem neuen Multilateralismus bietet sich als probates Mittel an, die im Rahmen der Bush-Doktrin immer schwieriger gewordene Durchsetzung geopolitischer Ziele Washingtons über eine Institution zu bewerkstelligen, die unter diesem Einfluß noch mehr von ihrer ursprünglichen Aufgabe, ein neutrales Forum zur internationalen Konfliktlösung und zur Bewältigung globaler Krisen zu bilden, abgerückt sein wird.

Im Mittelpunkt dieser Strategie steht die Wiederbelebung der Doktrin des humanitären Interventionismus unter dem Titel "Responsibility to Protect" (R2P). Dieses globaladministrative Instrument ist dazu gedacht, die Souveränität der UN-Mitgliedstaaten unter die Kuratel einer politischen Evaluation zu stellen, die angebliches Staatsversagen mit Mitteln wie Militärinterventionen, Wirtschaftssanktionen, Zwangsdiplomatie oder Strukturanpassungsprogrammen behebt. R2P soll das Konzept staatlicher Souveränität in Richtung auf die erweiterte Zugriffsmöglichkeit der sogenannten internationalen Gemeinschaft, sprich der militärisch und ökonomisch stärksten Staaten, öffnen. Es handelt sich um ein Präventions-, Interventions- und Restitutionsphasen umfassendes Konzept globaler Verfügungsgewalt, dessen inhärente Werte und Normen den Regierungen und Bevölkerungen anderer Staaten letztlich vorschreiben, welche konstitutionelle und ökonomische Gestalt ihr Gemeinwesen aufzuweisen hat.

Der globalen Etablierung konkreter Benchmarks für Good Governance, um die dem Jargon betriebswirtschaftlicher Optimierungsagenturen entlehnte Terminologie zu verwenden, gemäß besteht das Fernziel in der Umstrukturierung der Vereinten Nationen in eine auf den Standard westlicher Demokratien verpflichtete Institution der Global Governance. In ihr werden diejenigen Staaten das Sagen haben, die sich bisher schon eines durchaus einseitig zu ihren Gunsten ausgelegten Wertekodexes bedienen, um die beanspruchte Definitionsgewalt über korrektes staatliches Handeln expansiv durchzusetzen.

Wichtige Verfechter dieser Doktrin sind US-Außenministerin Hillary Clinton, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, die im Nationalen Sicherheitsrat sitzende Politikwissenschaftlerin Samantha Power und die Direktorin für Politikplanung im US-Außenministerium, Ann-Marie Slaughter.

Letztere propagiert als Professorin für Rechtswissenschaften und Leiterin der Woodrow Wilson School of Public Policy an der Universität Princeton seit Jahren die Reformierung der Vereinten Nationen, so in einem am 3. Juni 2003 in der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Titel "Präzisionswaffe Völkerrecht" veröffentlichten Artikel. Darin rief sie "die Demokratien" dazu auf, sich "zu einer neuen Kraft innerhalb der UN" zu formieren. Zu dieser "Fraktion liberaler Demokratien" sollen nur diejenigen Staaten Zugang haben, die

"genau ausgearbeitete Kriterien im Sinne demokratischer Rechtsstaatlichkeit erfüllen und bereit sind, für eine Reihe gemeinsamer Ziele zu arbeiten. Zu den Aufgaben dieses Gremiums würde die Entscheidung gehören, ob und wann zur Verteidigung der Rechte von Individuen gegenüber ihren Regierungen wie auch der Rechte von Regierungen untereinander Gewalt eingesetzt werden muss."

Die von Slaughter propagierte "Neue Weltordnung", so der Titel ihres 2004 erschienenen Buches, ist ausdrücklich als Produkt der USA und EU konzipiert. Als Agenturen der "Ausbreitung der Gemeinschaft liberaler Demokratien" nennt Slaughter unter anderem den Europäischen Gerichtshof und die NATO. Was in der transatlantischen Kooperation längst angelegt ist, soll zu einer weltweit wirksamen Struktur ausgebaut werden:

"Wenn sie zusammenarbeiten, haben die USA und die EU alle notwendigen Mittel in der Hand, ihrer Vision Nachdruck zu verleihen. Die Vereinigung von Amerikas militärischer Macht mit den zivilen Fähigkeiten der EU - Friedenssicherung, Aufbau der Demokratie, Ausbau von Handelsbeziehungen - ergibt eine unschlagbare Kombination."

Letzteres ist wortwörtlich zu verstehen, denn "Gewalt ist eine Option im Kampf gegen Regierungen, die sowohl ihre eigene Bevölkerung als auch andere Staaten bedrohen". Wer Menschenrechte noch als Schutzrechte gegen übermächtige Staatsgewalt versteht, muß umlernen. Sie sollen vollends zum integralen Bestandteil imperialistischer Kriegführung ausgebaut werden:

"Humane Sicherheit bedeutet demnach 'Freiheit von massiven Drohungen gegen die Rechte, die Sicherheit oder das Leben von Menschen'. Ab einem bestimmten Punkt kann eine Regierung, die sich als unfähig erweist, ihren eigenen Bürgern ein Minimum an humaner Sicherheit zu gewähren, nicht mehr als legitim betrachtet werden. Dies ist der Fall, wenn sie entweder ihr Machtmonopol verloren hat, das sie überhaupt erst zu einer Regierung macht. Oder wenn sie ihre Macht, unkontrolliert von internen Institutionen oder einer heimischen Opposition, gegen das eigene Volk wendet. Wann genau dieser Punkt erreicht wird, lässt sich schwer sagen. Aber wenn er erreicht ist, wird eine solche Regierung zu einer Bedrohung nicht nur für ihr eigenes Volk, sondern auch für andere Staaten."

Der Begriff der "humanen" oder "menschlichen" Sicherheit hat in diesem Konzept allein sinnstiftende und legitimatorische Funktion, zumal er nach Maßgabe eigener außenpolitischer Interessen bestimmt wird. Schon während der Invasion in den Irak hat die weitsichtige Professorin eine Blaupause für den humanitären Interventionisms geschaffen, die den völkerrechtswidrigen Sonderfall angeblich menschenrechtskonformer Umstürze und Angriffskriege zum Prärogativ des transatlantischen Kartells erhebt. Sie will der künftigen Weltexekutive einen Freibrief dafür ausstellen, die aggressiven und räuberischen Praktiken ihrer Mitglieder durch die willfährige Inszenierung von Feindbildern zu legitimieren, auf die sich die eigenen Unzulänglichkeiten projizieren lassen.

Samantha Power, Professor of Practice of Global Leadership and Public Policy an der Universität Harvard, hat 2003 für ihr Buch "A Problem from Hell. America and the Age of Genocide" den Pulitzer Preis erhalten. In diesem Plädoyer für den humanitären Interventionismus erspart sich Power, die direkte wie indirekte Verantwortung der USA für Kriegsverbrechen großen Stils und genozidalen Entwicklungen auf nur halbwegs angemessene Weise ins Verhältnis zu den Zielen gewaltsamer globaler Regulation zu setzen, deren Notwendigkeit sie etwa anhand der Beispiele Ruanda und Bosnien postuliert. Ihr Leitsatz lautet, daß die USA bei keiner derartigen Entwicklung tatenlos bleiben dürften, sondern sich mit allen, eben auch und vor allem militärischen Mitteln, als Kraft des Guten einmischen sollten.

Power arbeitete zur Zeit des Jugoslawienkriegs auf dem Balkan als Korrespondentin und verklärte die Bombardierung Belgrads zur Rettungsaktion für zahlreiche Kosovo-Albaner, die, wie sich schon damals gezeigt hatte, keinesfalls in dem von der US-Regierung unterstellten Ausmaß bedroht waren. Heute unterstützt das Mitglied der sicherheitspolitischen Schaltstelle des Weißen Hauses die Kriegführung in Afghanistan. Wie globaladministrative Praxis in einem Fall aussieht, in dem sich andere Staaten herausnehmen, an einem Verbündeten der USA Kritik zu üben, zeigte Power am Beispiel der Weltrassismuskonferenz in Genf im April 2009. Zwar lobte sie die auf Druck der USA und EU erfolgte Neuformulierung seiner Abschlußdeklaration, da darin jegliche Erwähnung Israels gestrichen wurde, erklärte die Aufrechterhaltung der Ergebnisse der Weltrassismuskonferenz im südafrikanischen Durban 2001 jedoch zum Knackpunkt einer möglichen Nichtbeteiligung der USA.

Schon zu Beginn ihres Amtes als UN-Botschafterin wies Susan Rice die von der UN-Generalversammlung geübte Kritik am Überfall Israels auf Gaza zurück. In Obamas Kabinett gehört sie zu den Falken, die einen sogenannten präventiven Militärschlag gegen den Iran gutheißen. Zudem propagiert die Afroamerikanerin ganz im Sinne des paternalistischen Tonfalls, mit dem Obama die Afrikaner über ihre Pflichten belehrt hat, die Bevölkerungen dieses geschundenen Erdteils mit härteren Mitteln als bloßen Blauhelmmissionen zur Räson der Neuen Weltordnung zu bringen.

Anläßlich des im Zusammenhang mit der neuen Politik Obamas gegenüber den Vereinten Nationen vielgelobten Beitritts der USA zum UN-Menschenrechtsrat kündigte Rice an, nicht erst bis zu der auf 2011 angesetzten Überprüfung dieser Institution warten zu wollen, sondern von Anfang an mit Nachdruck auf ihre "Verbesserung" zu drängen. Schlecht im Sinne Washingtons sind die Mehrheitsverhältnisse in diesem Gremium, die dazu führen, daß dort häufig Kritik an Israel oder an antiislamischen Praktiken in westlichen Staaten geübt wird.

Der von den USA erhobene Vorwurf, der UN-Menschenrechtsrat werde von diktatorischen Regimes für deren Zwecke "mißbraucht", entspricht dem Anspruch Washingtons, US-amerikanische Vorstellungen im Rahmen der Vereinten Nationen hegemonial zu machen. Die zu Recht beanstandete Menschenrechtsbilanz einiger Länder des Südens ist nicht zuletzt Ergebnis ihrer kolonialisierten Vergangenheit wie der Zerstörung ihrer Gesellschaften durch das Verschuldungsregime der Weltfinanzinstitutionen. Zudem verfügen westliche Staaten, die in Ländern wie dem Irak und Afghanistan Krieg führen oder die Regierungen Ägyptens und Saudi-Arabiens gegen die Interessen ihrer Bevölkerungen schützen, nicht unbedingt über eine bessere Bilanz hinsichtlich der Achtung internationalen und humanitären Rechts.

Der von den USA unternommene Versuch, den Menschenrechtsrat von innen aus nach den eigenen Maßgaben zu formen, ist denn auch signifikant für die Absichten, die die Obama-Administration mit der Annäherung an die Vereinten Nationen verfolgt. Der durch Annäherung anstatt durch Konfrontation erzielte Wandel bleibt im Ergebnis, den Einfluß der USA und ihrer Verbündeten auf die Vereinten Nationen zu mehren, identisch.

In einer im Vorfeld der UN-Generalversammlung am 18. September gehaltenen Rede erinnerte US-Außenministerin Clinton daran, daß sie bereits im Sommer vor dem Council on Foreign Relations erklärt habe, daß es ihrer Regierung darum gehe, "durch das Errichten und Stärken von Partnerschaften, Institutionen und internationale Regimes einen globalen Konsens zu schmieden. Dieser Hebel soll dazu genutzt werden, allen Nationen klare Anreize zu geben, zu kooperieren und ihren Verpflichtungen gerecht zu werden. Und wir können ebenso für diejenigen, die isoliert handeln oder Konflikte provozieren, starke Abschreckungsmöglichkeiten entwickeln."

Auch unter dieser US-Regierung wird es sich so verhalten, daß, solange eine auch von Obamas republikanischen Konkurrenten John McCain geforderte "Liga der Demokratien" innerhalb der UNO nicht zustandegekommen ist, jeweils neu zu bildende Coalitions of the Willing das probate Mittel sein werden, geostrategische Interessen unter Mißachtung der UN-Charta zu verfolgen. Die mit dieser Errungenschaft der Nachkriegszeit eingehegte Willkür nationaler Interessenpolitik wird geradewegs, wie beim Überfall der NATO auf Jugoslawien vorexerziert, in die Forderung verkehrt werden, daß die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen durch die außerordentliche Einschränkung des Gewaltverbots sichergestellt werden muß. Die Grundlage der Beziehungen der Staaten untereinander, ihre Gleichstellung als souveräne Rechspersönlichkeit, wird als Hindernis auf dem Weg zu einer Weltfriedensordnung ausgewiesen werden, die die existierende globale Klassengesellschaft in einer hierarchischen Werteordnung zementiert.

Die freudige Reaktion auf die neue Politik der US-Regierung gegenüber den Vereinten Nationen in der Bundesrepublik ist verständlich, gehört die Stärkung globaladministrativer Handlungsmöglichkeiten doch zu den zentralen Elementen deutscher und EU-europäischer Außenpolitik. Mit jedem Schritt, mit dem die USA Konzepte und Praktiken der Global Governance übernehmen, gewinnt auch die Bundesrepublik an internationalem Einfluß hinzu. Auf dem Weg zu dem ambitionierten Ziel, in den Klub der Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats vorzustoßen, ist man als Mitglied der Sechsergruppe, die den Iran zur Aufgabe der Urananreicherung nötigen soll, bereits gut vorangekommen. Die Absicht, der US-amerikanischen Hegemonialpolitik mit der Kür Obamas zum US-Präsidenten ein neues Gesicht zu geben, ist in der EU allemal aufgegangen.

23. September 2009