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HEGEMONIE/1652: Digitale Kommunikation als Werkzeug der US-Außenpolitik (SB)



Der Mythos einer globalen Informationsgesellschaft, die den Entwurf vernetzter Individuen mit Wissen und der Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Handeln verwechselt, dient der Verschleierung des Umstands, daß damit im Gegenteil dem Zugriff auf den Einzelnen und dessen Steuerung auf innovative Weise das Feld bereitet wird. Der Informationsbegriff huldigt einer Fiktion potentiell unbeschränkten Erkenntnisgewinns durch Zugang zu unzähligen Datensätzen, wie sie doch ferner jeder Relevanz für eine substantielle Entwicklung durch Entschlüsselung gesellschaftlicher Widersprüche und unabweislicher existentieller Probleme nicht sein könnte. Das Modell der Vernetzung fügt sich der Fragmentierung gewachsener sozialer Komplexe und erhebt die Isolation zum ultimativen Freiheitsbegriff, dem gegenüber Restbestände zählebiger zwischenmenschlicher Bezüge als anachronistisch, kontraproduktiv und potentiell subversiv diskreditiert werden.

Das Szenario einer Generation, der man das Herz aus der Brust risse, nähme man ihr das Handy und den Internetzugang weg, perfektioniert den Traum des Interventionisten, jederzeit und an jedem Ort Einfluß nehmen und gewünschte Entwicklungen auslösen zu können, ohne einen aufwendigen und rückführbaren Übergriff vornehmen zu müssen, der als solcher identifizierbar wäre und Widerstand wachrufen könnte. Den Sturz mißliebiger Regierungen als Volkserhebung zu inszenieren, wie dies im Zeitalter der Farbenrevolutionen gang und gebe geworden ist, ersetzt zwar nicht die klassischen Mittel der Kriegsführung, Propaganda, Infiltration, Spionage und Finanzierung, doch fügt sie ihnen eine hochmoderne Komponente verdeckter Einflußnahme hinzu.

Im April 2009 hob die US-Regierung Teile des Telekom-Embargos gegen Kuba auf und gestattete Telekommunikationsanbietern, Glasfaser- und Satellitenverbindungen zwischen den USA und Kuba einzurichten sowie Roaming-Abkommen mit kubanischen Providern zu schließen. Auch der Export von Mobiltelefonen, Computern, Software und Satellitenreceivern nach Kuba ist seither erlaubt, ohne daß die jahrzehntelange Blockade grundsätzlich aufgehoben worden wäre.

Dabei zeichnete sich klar eine taktische Korrektur unter Beibehaltung der strategischen Zielsetzung ab: Wenngleich nach wie vor die Doktrin durchgetragen wird, man müsse feindliche Regierungen durch das systematische Aushungern ihrer Länder im umfassendsten Sinn in die Knie zwingen, schafft man definierte Öffnungen in der Mauer des Embargos, um durch diese der Infiltration Zugang zu verschaffen.

Insbesondere die Offensive gegen den Iran wird mit der vollen Palette verfügbarer Instrumente geführt, zu denen nicht zuletzt die Instrumentalisierung der Opposition gehört. Nach der Wahl im Juni vergangenen Jahres ersuchte die US-Regierung den Kurznachrichtendienst Twitter, geplante Wartungsarbeiten aufzuschieben, damit die Demonstranten in den iranischen Städten ungehindert mit seiner Hilfe kommunizieren konnten. Die sogenannte Grüne Revolution organisierte sich dezentral über den Mikroblogging-Dienst Twitter und soziale Netzwerke wie Facebook.

US-amerikanische Software- und Internetfirmen wie Facebook, Twitter, Microsoft oder Yahoo boten bislang ihre Dienste in solchen Ländern jedoch nur eingeschränkt oder gar nicht an, weil sie fürchten mußten, dadurch Sanktionsbestimmungen der US-Regierung zu verletzen. Nachdem Internet-Dienste wie Facebook und Twitter jedoch bei den Unruhen im Gefolge der Wahlen im Iran als zentrales Kommunikationsmittel der Opposition in Erscheinung getreten waren, mehrten sich im US-Kongreß Stimmen, die eine Aufhebung der Beschränkungen in diesen Sektoren forderten.

Im Januar erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton, die Freiheit des Internets sei zu einem fundamentalen Prinzip amerikanischer Außenpolitik geworden. Nun hat das Finanzministerium in Washington als Sachwalter handelspolitischer Sanktionen amerikanischen Unternehmen den Export von Software und die Freischaltung von Web-Diensten wie Instant Messaging, Chat-Foren, E-Mail, Foto- und Videoplattformen sowie Sozialen Netzwerken im Iran, in Kuba und dem Sudan erlaubt.

Finanzstaatssekretär Neal Wolin führte zur Begründung des vereinfachten Einsatzes digitaler Kommunikationsmittel an, die USA wollten den freien Austausch von Informationen in diesen Ländern fördern und autoritäre Regime mit Hilfe des Internets zu mehr Meinungsfreiheit zwingen. Die generelle Genehmigung ermögliche es Iranern, Sudanesen und Kubanern, das Internet zu nutzen, um untereinander und mit dem Rest der Welt kommunizieren zu können. Wie die Ereignisse im Iran zeigten, sei die private Kommunikation über das Internet mit E-Mail, Instant Messaging und Sozialen Netzwerken ein mächtiges Werkzeug, so Wolin. Diese Software werde den freien Informationsfluß - ein grundlegendes Menschenrecht - für alle Iraner fördern und unterstützen. Das Finanzministerium betonte jedoch zugleich, daß die Regierung die übrigen umfassenden Sanktionen, welche die USA wegen des Verdachts auf "Terrorunterstützung" gegen diese Länder verhängt haben, "weiterhin aggressiv" durchsetzen werde, um den Druck auf die betreffenden Regierungen zu erhöhen.

Zwar könne man nicht verhindern, daß Regierungen wie jene in Teheran die Nutzung des Internets behindern und wie im Februar geschehen durch entsprechende Eingriffe das Öffnen privater E-Mail-Konten beträchtlich erschweren. Hebe man jedoch die bislang bestehenden Exportverbote auf, eröffneten sich iranischen Nutzern sehr viel mehr Möglichkeiten, was die Behörden vor das Problem stelle, immer mehr Schlupflöcher schließen zu müssen. Natürlich sind der Iran, Kuba und der Iran keineswegs die einzigen Länder, denen Washington mit dem geballten Einsatz digitaler Kommunikationsmittel massiv zu Leibe rücken will. Auch die chinesische Regierung kann ein Lied davon singen, daß sich junge Menschen im Internet über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse austauschen, wobei immer wieder organisierte Bewegungen entstehen, die sich der direkten Kontrolle der Sicherheitsbehörden mehr oder minder entziehen.

Wenn es in Washington heißt, die US-Regierung wolle sicherstellen, daß Menschen in anderen Ländern ihr Grundrecht auf freie Rede und Information so umfassend wie möglich ausüben können, zielt dies auf unterschiedliche Formen und Mechanismen der Infiltration ab. Wie die Ereignisse im Iran gezeigt haben, zeichneten sich die Berichte und Meldungen durch extreme Unterschiede und weitgehend fehlende Quellensicherheit ab. Obgleich dies natürlich in gewissem Umfang auf einander widersprechende Ereignisse und Verläufe an verschiedenen Orten wie auch grundsätzlich auf subjektive Eindrücke von Einzelpersonen zurückzuführen war, konnte doch zumindest in einigen Fällen rekonstruiert werden, daß bestimmte digitale Personen, deren Äußerungen sich rasch wachsender Beliebtheit erfreuten, allem Anschein nach gezielt installierte Instrumente zur Lancierung von Falschmeldungen waren, welche die Opposition zu bestimmten Aktionen aufstacheln sollten. Dies ging in vielen Fällen soweit, daß sich auch die Medien in Europa und den USA auf solche Informationen bezogen, deren Herkunft schlechterdings unüberprüfbar blieb. Letzten Endes handelt es sich bei jeder Person, die im Kontext eines digitalen Informationsaustauschs in Erscheinung zu treten scheint, um eine möglicherweise fiktive Signatur.

Neben diesen und anderen gezielten Eingriffen frißt sich auch die unspezifische kulturinvasive Infiltration nahezu unaufhaltsam in jede Gesellschaft, die dem optischen und akustischen Ansturm westlicher Lebensart und Konsumgebräuche ausgeliefert ist. Nichts vermag eine nach gewissen sozialen Standards und solidarischen Prinzipien organisierte Vergesellschaftungsform so rasch und nachhaltig zu spalten wie die Zuführung bislang kaum zugänglicher Waren und Wohlstandsversprechen, die es einigen wenigen gestattet, sich im Zuge eskalierender Konkurrenz zu Lasten der Mehrheit durchzusetzen.

Im übrigen endet das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und freie Rede sehr schnell und nachhaltig, sobald man davon Gebrauch macht, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufs Korn zu nehmen. Das gilt auch und gerade für digitale Kommunikationsmittel, die sich als Werkzeuge der Kontrolle, Überwachung und Ortung erweisen, oder für das Internet, das ein Verbot, Verstecken und Vernichten von bestimmten Inhalten in bislang nie gekannter Form ebenso möglich macht wie den Zugriff auf den einzelnen Nutzer in allen erdenklichen Aspekten seines persönlichen Profils und insbesondere seiner verbliebenen Kontakte zu anderen Menschen.

9. März 2010