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HEGEMONIE/1678: US-Regierung bringt Bundesbürger um ... kein Einwand aus Berlin (SB)



Offiziell wurde der von der Bush-Administration 2001 ausgerufene Global War on Terror (GWoT) von Präsident Barack Obama eingestellt. Für die Kriege, die auch weiterhin unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung geführt werden, verwendet das Pentagon seither den technokratischen Begriff der Overseas Contingency Operations (OCO). In der Sache ändert das rein gar nichts, die Kriegführung Washingtons bedient sich weiterhin völkerrechtswidriger Methoden und hat diese im Fall der Drohnenangriffe auf das Staatsgebiet Pakistans sogar erheblich ausgeweitet. Man kann also auch in Zukunft bedenkenlos die Kurzform "Terrorkrieg" wählen, wenn man eines Oberbegriffs für die Besetzung Afghanistans und andere Interventionen US-amerikanischer Streitkräfte bedarf.

Wurde die Kriegführung der Bundeswehr bis vor einiger Zeit noch unter Verweis auf ihre grundgesetzliche und parlamentarische Bindung deutlich von der der USA abgegrenzt, so scheint nun ihre offizielle Kontaminierung durch den besonders aggressiven und mörderischen Geheimkrieg, den die USA in Pakistan führen, auf dem Programm zu stehen. Die von der US-Regierung ausgesprochenen Terrorwarnungen für Europa gehen mit der Nennung konkreter Anschlagziele in deutschen Großstädten und einer die Bundesrepublik betreffenden Reisewarnung für US-Bürger einher. Die im gleichen Atemzug erklärten Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus durch Drohnenangriffe auf pakistanisches Gebiet sind unschwer als Einbeziehung der europäischen Verbündeten in die Legitimation dieser Form von Kriegführung zu erkennen.

Auf große Gegenliebe schien man damit nicht zu stoßen, entsprach man den Warnungen hierzulande doch nicht durch eine entsprechende Erhöhung der Terrorwarnstufe. In den offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung flüchtet man sich in die Ausrede einer ohnehin stets vorhandenen abstrakten Gefährdung bei nichtvorhandenen Hinweisen auf konkrete Anschlagsplanungen. Obwohl die Terrrorwarnungen durch die Meldung ergänzt wurden, acht deutsche Islamisten wären im Grenzgebiet Pakistans von einer Drohne getötet worden, scheint man sich in Deutschland, wie es einem in die Grausamkeiten des Lebens zu initiierenden Heranwachsenden ansteht, noch ein wenig zu zieren, diesem Vorgehen aus ganzem Herzen zuzustimmen.

So wird sogar in ausgesprochen US-freundlichen Blättern wie Welt Online gefragt, was "wirklich" hinter den Terrorwarnungen stecke [1]. Die Antwort auf diese Frage, warum die US-Regierung eine "Terrorgefahr inszeniert, die es so augenscheinlich nicht gibt", bleibt Günther Lachmann trotz des vielversprechenden Titels "Das Spiel mit der Angst vor dem Terror" schuldig. Niemand habe eine "schlüssige Erklärung für das Verhalten der USA", meint der Welt-Autor und tut seine Sorge über den Zustand der amtierenden US-Regierung kund, indem er spekuliert, daß die Obama-Administration Stärke gegen den Terror zeige, um der rechten Opposition der Tea Party bei den Zwischenwahlen zum US-Kongreß gewachsen zu sein.

Selbst wenn es innenpolitische Gründe dieser Art gäbe, erbringen die außenpolitischen Auswirkungen des erneuten Schürens der Terrorangst eigenen Nutzen. Das zeigt schon die Passivität der Bundesregierung angesichts der wichtigsten Quelle, von der die Hinweise auf angebliche Anschläge stammen. Obwohl aller Anlaß zu der Vermutung besteht, daß der Bundesbürger Ahmad Sidiqi im berüchtigten US-Militärlager Bagram gefoltert wurde, unternimmt die Bundesregierung so gut wie nichts zu seinem Schutz. Seine in Hamburg lebende Familie hat gegenüber dem US-Sender CNN [2] angegeben, daß Sidiqi sich auf dem Weg zur deutschen Botschaft befand, um einen neuen Ausweis zu erhalten, als er von einer Gruppe Männer überfallen und verschleppt wurde. Zuvor hatte er noch mit seiner Familie in Hamburg telefoniert und erklärt, wie sehr er sie vermisse und daß er bald nach Hause zurückkehren wolle. Als er zur Botschaft aufbrach, verabredete er sich mit seiner ebenfalls in Kabul anwesenden indonesischen Frau, sie anschließend wieder zu treffen. Sidiqis Familie hält die Vorwürfe, Ahmad stehe im Mittelpunkt einer Al Qaida-Verschwörung, für abwegig. Er sei nach Afghanistan aufgebrochen, um dort zu arbeiten und in Hamburg aufgelaufene Schulden zurückzuzahlen.

Daß die für die Observation Sidiqis zuständigen deutschen Geheimdienste dafür verantwortlich sind, daß er von einem US-amerikanischen Greiftrupp verschleppt wurde, kann keineswegs ausgeschlossen werden. Schließlich wird die gute Zusammenarbeit der Dienste ein ums andere Mal betont, so auch durch Bundesinnenminister Thomas De Maizière im Deutschlandfunk [3], wo er auf "Verhaftungen in der Türkei, in Pakistan, zum Teil auch mit unserem Zutun", verweist. Auf die Frage nach Bestätigung des Todes von "acht Deutschen im Norden Wasiristans durch einen amerikanischen Luftangriff" weiß De Maizière lediglich zu sagen, daß er das nicht bestätigen könne, sich aber darüber wundere, wie man vor zwei Tagen einen Angriff durch unbemannte Drohnen in einem unzugänglichen Gebiet durchführen und zugleich Ausweise finden könne. Die Amerikaner wüßten vermutlich, "dass dort Terroristen sind", aber "ob sie sie namentlich und so genau kennen", das wisse er nicht, wenn er es auch für möglich halte, so der Minister mit einer Indifferenz, die nicht unschuldiger daherkommen könnte.

Zweifellos will der Innenminister keine Verschwörungstheorie nahelegen wie diejenige, daß der von den US-Behörden nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den Trümmern des World Trade Centers gefundene Ausweis eines der angeblichen Attentäter gar nicht echt gewesen wäre. Zweifellos will er aber auch keinen Zweifel an der Legalität eines Angriffs streuen, bei dem laut den Angreifern acht Bundesbürger ums Leben kamen. Dabei ist nicht erwiesen, daß es sich bei den Betroffenen um Personen handelte, die in irgendeiner Weise des Terrorismus verdächtigt wurden. Selbst wenn es so gewesen wäre, dann wäre das kein Grund, sie gezielt zu ermorden. Es ist weder illegal, sich im pakistanischen Grenzgebiet aufzuhalten, noch resultiert aus der möglichen Anwesenheit in einer Moschee, in der sich vor zehn Jahren einmal die angeblichen, niemals offiziell überführten 9/11-Attentäter aufhielten, zwingend das Todesurteil.

Die Todesstrafe ist in Deutschland verboten, und die Bundesregierung ist verpflichtet, sich nach Kräften für Bundesbürger einzusetzen, die ihr in einem anderen Land zum Opfer fallen sollen. Das geschieht bei deutschen Bürgern, die in den USA in der Todeszelle sitzen. Um so mehr müßte es für Deutsche gelten, die im Ausland willkürlich angegriffen und umgebracht werden. Sterben Bundesbürger bei Terroranschlägen, wird alles dafür getan, die Urheber zu verfolgen, zudem wird ihren Angehörigen jede Hilfe gewährt. Sterben Bundesbürger bei dem völkerrechtswidrigen Kriegsakt eines Staates, mit dem die Bundesrepublik verbündet ist, dann geht das selbstredend in Ordnung.

Man muß sich nicht fragen, wie weit es mit der deutschen Politik gekommen ist, wenn weder in der Regierung noch im Parlament Stimmen laut werden, die gegen diesen Willkürakt protestieren und nach Konsequenzen verlangen. Die Verfassungsorgane der Bundesrepublik sind, wenn nicht ohnehin durch nachrichtendienstlichen Informationstransfer mitverantwortlich für den Tod der acht Bundesbürger, offensichtlich einverstanden damit, daß die US-Regierung eine "Arbeit" für sie verrichtet, zu der die Bundeswehr bislang noch nicht mandatiert ist. Das soll anders werden. Angriffe auf das Gebiet Pakistans dürften in Anbetracht dessen, daß ISAF-Kampfhubschrauber schon mehrfach die Grenze zum Nachbarstaat überflogen und dort Pakistaner umgebracht haben, bald auch für deutsche Soldaten legitim sein. Und das Ermorden von Menschen auf bloßen Verdacht hin gehört zum Krieg wie Apfelkuchen zu Amerika, warum also sollte die Bundesrepublik dabei immer abseits stehen?

So wäre den Vollstreckern der Beifall der Medien gewiß. Bis auf wenige Ausnahmen wird dort nicht etwa der Rechtsbruch beklagt, der mit "gezielten Tötungen" begangen wird. Man übt sich in dramatischen Spekulationen über das Ausmaß der Terrorgefahr, nimmt trübe Quellen aus den Geheimdiensten der NATO-Staaten für bare Münze, zählt Fälle angeblich gerade noch verhinderter Anschläge auf, unterstellt einen regen Terrortourismus zwischen Pakistan und Deutschland und verzichtet immer häufiger darauf, die ins Visier genommenen Konvertiten nicht als "Terroristen" vorzuverurteilen. Das ansonsten so beliebte Wort "Rechtsstaat" fällt in diesem Zusammenhang eher nicht, man behält es sich für die Denunziation des "Unrechtsstaats" vor, dessen bei Republikflucht erschossene Opfer natürlich niemals mit den Opfern deutscher Kriegführung und der Kollaboration mit US-amerikanischen Diensten, die über eine Exekutionsarmade aus permanent über Afghanistan und Pakistan kreisenden Drohnen verfügen, verglichen werden dürfen.

Der Ertrag der jüngsten Terroroffensive Washingtons besteht zumindest darin, daß die Bundesregierung in Strategien eingebunden wird, die die Behauptung, man halte sich im Krieg im Unterschied zu den USA an internationales Recht, obsolet machen. Ob diese Wirkung beabsichtigt oder nur willkommenes Nebenergebnis ist, ist für die zerstörerischen Folgen, die sie auf die demokratische und rechtliche Kultur der Bundesrepublik hat, irrelevant. Staat und Gesellschaft werden an eine Barbarei gewöhnt, die zu bekämpfen man immer weniger vorgeben muß, wenn man sich ihrer selbst bedient. Die Ermächtigung der Exekutive zum rechtlichen Ausnahmezustand wird de facto präjudiziert, so daß sich nachher niemand beschweren kann, wenn demokratische Proteste mit Bürgerkriegsmitteln unterdrückt werden.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article10070124/Das-Spiel-mit-der-Angst-vor-dem-Terror.html

[2] http://edition.cnn.com/2010/WORLD/europe/10/04/europe.terror.sidiqi/index.html

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1289514/

6. Oktober 2010