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HEGEMONIE/1703: Libyenkrieg ... die neokonservative Konterrevolution marschiert (SB)



Ägyptens Verfassungsreferendum wurde gegen das Nein der jugendlichen Rebellen, die den Sturz Mubaraks maßgeblich bewirkt haben, erwirkt und hat dementsprechend bescheidene Verbesserungen erbracht. Der das Land regierende Militärrat hat mit diesem Verfassungsentwurf verhindert, daß dem Präsidenten das Vorrecht entzogen wurde, den Ausnahmezustand zu verkünden und damit Maßnahmen zur gewaltsamen Unterdrückung einer neuerlichen Erhebung zu ergreifen. Zudem hat der Militärrat eine Verordnung erlassen, die jede Art von Streiks und Demonstrationen verbietet, die die Wirtschaft des Landes negativ beeinflussen. Damit wurde die Axt an die Wurzel des sozialrevolutionären Charakters der Erhebung gelegt, und das ist wörtlich zu verstehen, kam es doch bereits zu Verhaftungen und Folterungen von auf dem Tahrir-Platz verbliebenen DemonstrantInnen durch das Militär.

Es läuft gerade so, wie zu erwarten war, wenn die Revolution nicht im ersten Schritt so weit getrieben wird, daß das Heft des Handelns den Vertretern des gestürzten Regimes und Sachwaltern äußerer Akteure entrissen wird. Letztere bieten einiges dafür auf, um die politischen Veränderungen im Nahen und Mittleren Osten ihrem Vormachtanspruch gemäß zu kanalisieren. Dies erfolgt derzeit vor allem anhand des Libyenkriegs, der sich rasant zu einem klassischen Kolonialkrieg entwickelt. Die Angreifer Frankreich, USA und Britannien halten sich nicht lange damit auf, ihre militärischen Aktionen auf den bloßen Schutz der Zivilbevölkerung zu beschränken, wie es das UN-Mandat vorsieht. Dessen Auslegungsbreite hängt nicht so sehr von seinem Wortlaut ab als von der Definitionsmacht ihrer Urheber, die unverhohlen Partei für die innere Opposition ergreifen und bereits darüber nachdenken, sie mit Waffen zu versehen. Der zum Teil mit Dissidenten der libyschen Regierung und mit Personen, deren Namen niemand kennt, besetzte Nationalrat wird von der Interventionsallianz massiv hofiert, um den Regimewechsel so zu gestalten, daß ein Zugriff auf die Ressourcen und Verhältnisse des Landes möglich wird, wie von Mummar al-Gaddafi bei allem Entgegenkommen nicht zugestanden wurde. Obwohl es Gruppen unter der libyschen Opposition gibt, die sich durch den Nationalrat nicht vertreten fühlen, wird dieses Gremium zum Hebel westeuropäischer und nordamerkanischer Einflußnahme aufgebaut.

Die angeblich aus humanitären Gründen erfolgte Einmischung in einen Bürgerkrieg wird auch von einem Gutteil linker Kräfte in den NATO-Staaten unterstützt. Während die Verhältnisse im vermeintlichen Vorhof der EU auf eine Weise geregelt werden, bei der man sich nicht mehr mit der Unberechenbarkeit und den Allüren des illustren Obersten herumschlagen muß, hat man einen nicht geringen Teil jener Kriegsgegner im Sack eines angeblich menschenfreundlichen Imperialismus, die den Plan zur Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens im Irakkrieg noch mit heftiger Kritik quittierten. Heute kann sich ein Exponent neokonservativer Ideologie wie der Publizist Richard Herzinger des Zuspruchs jener UnterstützerInnen der arabischen Revolten erfreuen, die behaupten, die Entwicklung in Libyen sei die logische Folge der Erhebungen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten.

Dabei spielt es keine Rolle, wie kurzsichtig und oberflächlich Herzingers Analyse ist. Entscheidend ist allein das Emblem eines Freiheitskampfes, das die NATO-Staaten als glaubwürdige Repräsentanten der von ihnen beanspruchten Werte adelt. So erklärt Herzinger im Deutschlandradio Kultur voller Genugtuung:

"Den Unkenrufen deutscher Bedenkenträger zum Trotz hat die Intervention keine neue Welle antiwestlicher Ressentiments in der arabischen Welt ausgelöst. Im Gegenteil: Wann hat man zuletzt bewaffnete arabische Aufständische gesehen, die begeistert französische, aber auch amerikanische Fahnen in die Höhe reckten? Genau das haben die libyschen Rebellen bei ihrem Vormarsch gegen die Reste der Gaddafi-Armee getan.

Auch in Ägypten fand der westliche Militärschlag quer durch die verschiedenen Strömungen der Demokratiebewegung emphatische Zustimmung. Der Westen hat durch seine beherzte Parteinahme für die libyschen Freiheitskämpfer, und damit für den Fortgang der demokratischen Revolution im ganzen arabischen Raum, nicht nur die strategische Initiative im Nahen Osten, sondern auch ein gutes Stück seiner schwer ramponierten Glaubwürdigkeit zurück gewonnen." [1]

Wie das Beispiel Ägypten zeigt, erhält die dortige Demokratiebewegung keinerlei Hilfe bei dem Versuch, ihre Revolution zu vollenden, ganz im Gegenteil. Beim obligatorischen Gang über den Tahrir-Platz legen westliche Politiker wie US-Außenministerin Hillary Clinton Lippenbekenntnisse für freedom & democracy ab, die in krassem Widerspruch zur bis zuletzt anhaltenden Unterstützung des langjährigen US-Verbündeten Mubarak stehen. Konsequenterweise hat die "Koalition der Jugend der Revolution", die mehrere Organisationen der protestierenden ägyptischen Jugendlichen vertritt, eine Einladung zu einem Dialog mit Clinton unter Verweis auf die reaktionäre Rolle der USA in der Region abgelehnt [2]. Hier ist neben der Unterstützung Washingtons für die Regime in Bahrain und Jemen auch an die vorbehaltlose Parteinahme für Israel zu denken, dem das Regime Mubarak Handlangerdienste bei der hermetischen Abriegelung Gazas und der Aushungerung wie Bombardierung seiner palästinensischen Bevölkerung leistete. Unvergessen ist die zynische Kaltschnäuzigkeit der Vorgängerin Clintons im Amt der US-Außenministerin, Condoleezza Rice, die die flächendeckende Bombardierung des Libanon 2006 als "Geburtswehen" eines neuen Nahen Ostens verharmloste.

Herzingers Behauptung, die NATO-Staaten hätten bei den arabischen Bevölkerungen Pluspunkte mit diesem Krieg gemacht, ist zumindest voreilig. Bei seinem Besuch auf dem Tahrir-Platz wurde UN-Chef Ban Ki Moon nicht nur von libyschen, sondern auch ägyptischen DemonstrantInnen wegen seines Eintretens für eine militärische Intervention in Libyen scharf attackiert. Bei den Vereinten Nationen mußte er sich deutliche Kritik seitens der 53 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) und mehrerer Mitglieder der Blockfreienbewegung wie Indien und Brasilien anhören, weil er nicht die Vermittlungsversuche der AU, sondern die Militärintervention Frankreichs, Britanniens und der USA unterstützte [3]. Hier steht die "internationale Gemeinschaft", sprich die NATO-Staaten und einige ihrer Parteigänger, gegen große Teile der Länder des Südens, denen es nicht gleichgültig sein kann, wenn die Vereinten Nationen als egalitäres Forum aller Staaten zu einem kriegführenden Akteur im Dienste ihrer stärksten Mitglieder wird.

Herzinger erweckt zumindest den Eindruck, als wisse er nicht um die tiefsitzende Aversion vieler Menschen im Nahen und Mittleren Osten gegen die Anmaßung der westeuropäischen und nordamerikanischen Staatenwelt, ihre Länder nach Belieben mit Krieg zu überziehen und sie in ihrer kolonialistischen Bedingtheit auch noch als rückständig zu diffamieren. Selbst wenn es einigen Zuspruch zum militärischen Eingreifen in Libyen gegeben hat, wofür es noch ganz andere Gründe als den repressiven Charakter des Gaddafi-Regimes gibt wie etwa die Instrumentalisierung des Islam für seine Staatsdoktrin, so wird dieser schnell schwinden, wenn der imperialistische Charakter dieses Übergriffs zutage tritt. Zu denken geben müßte auch die Tatsache, daß die libyschen Geheimdienste sich mit der Folterung und Ermordung sogenannter Terrorverdächtiger für die USA verdingten, von denen Gaddafi nun als Ausbund des Bösen dargestellt wird. So lange der israelischen Regierung jedes Unrecht, daß sie an den Palästinensern begeht, nachgesehen wird, so lange der Irak eine offene Wunde US-amerikanischen Hegemonialstrebens bleibt, so lange afghanische Kinder bei Bombenangriffen der NATO sterben, ist es mit der moralischen Glaubwürdigkeit westlicher Kriegführung in der Region nicht weit her. Gerade in Ägypten bezieht man zu dem, was die Palästinenser zu erleiden haben, eine eindeutige Position, wurde das Folterregime Mubaraks doch nicht zuletzt massiv von den USA aufgerüstet, um dem israelischen Siedlerkolonialismus den Rücken freizuhalten.

Klartext spricht Herzinger allerdings, wenn er behauptet, der Westen habe mit diesem Krieg "die strategische Initiative im Nahen Osten" zurückgewonnen. Diesem Interesse ist alles andere nachgeordnet, und dieses Interesse wird die Empörung arabischer Bevölkerungen wieder entbrennen lassen, wenn sich herausstellt, daß es auf grausame Weise durchgesetzt wird. Dementsprechend kurzsichtig ist seine Behauptung, die Türkei sei aufgrund ihres Taktierens im Libyenkrieg diskreditiert. Deren Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan betreibt eine multilaterale Politik in der Region, zu der andere NATO-Staaten nicht in der Lage sind, weil sie eine Herausforderung schiitischer Regierungen und Parteien betreiben, die der Strategie des Teilens und Herrschens geschuldet ist. Nun hat Erdogan als erster sunnitischer Staatschef überhaupt das drittheiligste Symbol der Schiiten, den Schrein Imam Alis in der südirakischen Stadt Najaf, besucht, und wurde darüber hinaus von dem geistigen Führer der irakischen Schiiten, Großayatollah Ali al-Sistani, empfangen. Sistani gilt als einer der einflußreichsten Personen des Irak und hat sich stets darum bemüht, den von den US-Besatzern geschürten konfessionellen Bürgerkrieg zu entschärfen.

Die Politik des Ausgleichs, die Erdogan wenn schon nicht mit der PKK als Vertretung der kurdischen Bevölkerung im eigenen Land, dann doch mit diversen Regierungen der Region betreibt, wird auf lange Sicht erfolgreicher sein als von den USA und der EU mit militärischen Mitteln durchgesetzte Regimewechsel, die regelmäßig zu langwierigen inneren Kämpfen und sozialökonomischer Verelendung führen. Es ist ruinöser Hohn, wenn Herzinger, an die Adresse der Bundesregierung gerichtet, behauptet, Deutschland "verspielte die von seinen engsten Verbündeten genutzte Chance, sich nach jahrzehntelanger Kumpanei mit arabischen Despoten vor der arabischen Öffentlichkeit zu rehabilitieren." Hier muß Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle zugestanden werden, die schlauere Strategie der Schadensbegrenzung gewählt zu haben. Das wird sie nicht davon abhalten, auf diese oder jene Weise auf den neokolonialistischen Beutezug aufzuspringen. Zur Kenntlichkeit entstellt allerdings werden all jene, die wie dieser neokonservative Publizist und ihm nach dem Munde redenden Menschenrechtskrieger blankziehen, um später Krokodilstränen zu vergießen, wenn die Leichen auf dem Altar der besseren Menschen aufgebahrt werden.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1423796/

[2] http://www.wsws.org/de/2011/mar2011/clin-m18.shtml

[3] http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/MC26Ak04.html

30. März 2011