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HEGEMONIE/1723: Totgesagt, doch nicht vergessen - 50 Jahre Bündnis der Blockfreien (SB)



Erschöpft sich das Streben in Anbetung der Starken zu Lasten der Schwachen und findet der Drang nach Antworten in der Dichotomie von Gut und Böse seine Erfüllung, kann man dem Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen und deren unabwendbarer Fortschreibung zwangsläufig nichts abgewinnen. Dann verhöhnt man die naive Utopie, anachronistische Halsstarrigkeit und bornierte Nichtanerkennung der Aussichtslosigkeit, die man darin zu erkennen glaubt, und verbucht das attestierte Scheitern solcher Verblendung als Zugewinn eigener Überlebensschläue, das Unmögliche gar nicht erst in Erwägung zu ziehen. Wer erinnert sich noch an die Belgrader Konferenz, auf der vor 50 Jahren das Bündnis der blockfreien Staaten geschaffen wurde? Allenfalls Nostalgie will der Spiegel gelten lassen, wenn er bei den Blockfreien "Geltungsdrang, Selbstüberschätzung, vor allem aber eine antiwestliche Schlagseite" abkanzelt und die Jubiläumsfeier in der serbischen Hauptstadt als irrelevant abhakt: "Schöne Worte werden Agonie und Bedeutungsverlust der Blockfreien schwerlich kaschieren können, sie haben kein Gemeinsinn stiftendes Thema mehr." [1]

Was von dem "Dritten Weg" zu halten ist, diktierte schon in den frühen 1950er Jahren US-Außenminister John Forster Dulles mit den später so oft wiederholten Worten: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Die Vereinigten Staaten waren nie bereit, den Staaten der sogenannten Dritten Welt eine eigenständige Entwicklung zuzugestehen und nannten alles "kommunistisch, jeden Ausdruck von Nationalismus oder wirtschaftlicher Unabhängigkeit, jeden Wunsch nach sozialem Fortschritt, jede intellektuelle Neugier und jedes Interesse für fortschrittliche liberale Reformen", wie Guatemalas Außenminister 1954 klagte. [2]

Mindestens zwei Mordversuche der CIA überstand Ägyptens Gamal Abdel Nasser. Der indonesische Staatsgründer Sukarno überlebte nicht nur Mordanschläge, sondern sogar eine Offiziersrevolte, die von der Siebten US-Flotte sowie amerikanischen, nationalchinesischen, australischen, britischen und philippinischen Bombern unterstützt wurde, als es der CIA 1965 dennoch nicht gelang, den ungeliebten Nationalisten zu stürzen und die Gefahr unabhängiger Politik in einem Blutbad zu ertränken. 1966 war Ghanas Kwame Nkrumah an der Reihe und wurde gestürzt. "In der CIA-Zentrale wurde der Station in Accra volle Anerkennung für den Coup gegeben, in dem acht sowjetische Berater umgebracht wurden", schrieb der CIA-Beamte John Stockwell später in seinen Erinnerungen. Nachdem Ho Chi Minh 1954 die französische Kolonialmacht besiegt hatte, brauchte er noch einmal 20 Jahre, um auch die Amerikaner niederzuringen. In Reaktion auf das von Washington verhängte Embargo wandte sich Fidel Castro der Sowjetunion zu.

Die Blockfreien hatten nicht von der Hand zu weisende Gründe, Anfang September 1961 der Einladung des jugoslawischen Präsidenten Joszip Broz Tito zur ersten "Konferenz der Staatsoberhäupter oder Regierungschefs der blockfreien Staaten" nach Belgrad zu folgen. Die Teilnehmer repräsentierten beinahe zwei Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen und rund 55 Prozent der Weltbevölkerung und schrieben den "Kampf gegen den Imperialismus, Kolonialismus, Neokolonialismus, Rassismus und alle Formen ausländischer Aggression, Okkupation, Dominanz, Einmischung oder Hegemonie als auch gegen Großmacht- und Blockpolitik" auf ihre Fahnen. Die Gründerversammlung der paktungebundenen Staaten forderte in einer 27-Punkte-Erklärung die Unabhängigkeit aller Völker, insbesondere für die Kolonialgebiete, allgemeine Abrüstung und ein Verbot von ABC-Waffen sowie wirtschaftliche Gerechtigkeit und Wohlstand auch für die Entwicklungsländer. Sie verfochten den politischen Entwurf, neben der bipolaren Ordnung der verfeindeten Blöcke eine Dritte Kraft als eigenständigen Faktor der Weltpolitik zu etablieren.

Wüßte man nicht, daß diese Forderungen vor einem halben Jahrhundert erhoben wurden, könnte man sie angesichts ihrer mehr denn je brennenden Aktualität ohne weiteres mit der gegenwärtigen Weltlage und deren unablässigen Konflikten in Verbindung bringen. Dabei hatten sich bereits 1955 zur sogenannten Bandung-Konferenz auf Einladung Achmed Sukarnos die Staatschefs vor allem afrikanischer und asiatischer Staaten, darunter Chinas Tschou Enlai, Indiens Jawaharlal Nehru, Jugoslawiens Tito, Ägyptens Gamal Abdel Nasser, Ghanas Kwame Nkrumah und Vietnams Ho Chi Minh in Westjava getroffen. Die teilnehmenden Nationen unterstrichen ihre Absicht, nicht in den Kalten Krieg verwickelt zu werden, und verabschiedeten eine "Erklärung zur Förderung des Weltfriedens und der Zusammenarbeit". Darin enthalten waren auch Nehrus "fünf Säulen" der sino-indischen Beziehungen: Gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität, gegenseitiger Gewaltverzicht, gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Gleichheit, friedliche Koexistenz.

Der Geist von Bandung trug wesentlich zum Entkolonialisierungsprozeß bei. Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Konferenz bildete sich Anfang der 1960er Jahre die Bewegung der blockfreien Staaten. Während der Gründungsphase dieser Bewegung übernahmen Jugoslawien, Ägypten und Indien die Führungsrolle, bis diese mit der ersten Gipfelkonferenz vom 1. bis 6. September 1961 in Belgrad abgeschlossen wurde. Dabei markierte dieses Jahr den Höhepunkt des Kalten Krieges. Keine sechs Monate zuvor war die Invasion in der kubanischen Schweinebucht gescheitert, und knapp drei Wochen vor der Konferenz hatte in Berlin der Mauerbau begonnen. Nachdem seit dem Zweiten Weltkrieg allein die Großmächte USA und UdSSR mit ihren jeweiligen Verbündeten die Weltpolitik bestimmt hatten, mutete die Positionierung der Blockfreien wie ein aufrüttelnder Paukenschlag im Konzert der Großmächte an.

"In Belgrad wurde Anfang September die Gipfelkonferenz der Blockfreien Staaten abgehalten. 25 Staaten aus vier Kontinenten waren durch ihre Staatsoberhäupter oder Regierungschefs vertreten - im besten Sinne des Wortes eine Tribüne der jungen Völker. Von Afghanistan bis zum Jemen reichte der bunte Kreis. Neben dem Gastgeber Tito waren der indische Präsident Nehru, der Staatspräsident der Vereinigten Arabischen Republik, Nasser, und Indonesiens Staatspräsident Sukarno die gewichtigsten politischen Persönlichkeiten." [3]

Die "Exoten" mischten sich in Dinge ein, die sie nach gängiger Auffassung der Führungsmächte nicht das Geringste angingen. So erklärte der damals schon über 70jährige Nehru, der als Symbolfigur der Entkolonialisierung galt: "Für mich ist es offensichtlich, dass bestimmte Tatsachen des Lebens anerkannt werden sollten. Und eine Tatsache des Lebens ist es, dass es zwei Einheiten, zwei Mächte, zwei Länder gibt: die Regierung von Westdeutschland, die Bundesregierung, und die Regierung von Ostdeutschland." Und Kwame Nkrumah fügte hinzu: "Aus meiner Sicht ist der Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland dringend und lange überfällig." Noch weiter ging Tito, der hinsichtlich der deutschen Frage folgendermaßen Stellung bezog: "In Ostdeutschland hat die ganze gesellschaftliche Entwicklung eine sozialistische Richtung genommen, und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens tragen immer deutlicher einen neuen Charakter. Auf der anderen Seite zeigt das erneuerte Westdeutschland mit seinem typisch kapitalistischen System, verflochten mit Resten faschistischen und revanchistischen Bewusstseins, eine sehr beunruhigende Tendenz."

Tito, der auch aus Moskau beständig unter Druck gesetzt wurde, unterstrich mit diesen Worten, daß Blockfreiheit nicht mit Positionslosigkeit einhergehen muß. Die Rache des Westens bekam später Jugoslawien zu spüren, dessen relative Unabhängigkeit dem hegemonialen Übergriff und der ökonomischen Verwertung im Wege stand, weshalb man den Vielvölkerstaat zerschlug und den Balkan mit grausamen Kriegen überzog. Wenngleich sich die Blockfreien einig in der Einschätzung waren, daß die Konfrontation der Blöcke eine akute Gefahr und Belastung für die gesamte Menschheit darstellte, war die Bewegung in der Frage gespalten, welche Rolle man künftig in einer zweigeteilten Welt beanspruchen wolle. Während eine von Nehru angeführte Fraktion lediglich den Erhalt größtmöglicher Souveränität für die einzelnen Staaten erreichen wollte, strebte die andere unter Führung Sukarnos eine "positive Neutralität" an, die sich aktiv und gemeinsam in den Streit der Blöcke einmischen wollte.

Die Bewegung war von einer Aufbruchstimmung geprägt, die mit der Dekolonisierung einherging, da die Länder des Südens damals auf Unabhängigkeit und Wohlstand hofften. Die blockfreien Staaten arbeiteten auf verschiedenen Ebenen zusammen, unterstützten sich gegenseitig beim Aufbau und vermittelten bei Konflikten untereinander. Sie waren ein Dorn im Fleisch der Supermächte, indem sie sich vorbehielten, mit beiden Seiten zu verhandeln und diese in gewissem Umfang gegeneinander auszuspielen. Allerdings gelang es den Blockfreien auf Dauer nicht, gegenüber den Supermächten geschlossen aufzutreten. Die blockfreien Staaten standen unter dem Druck der Großmächte fortgesetzt vor der Frage, ob sie unabhängig bleiben oder sich einem der Blöcke anschließen sollten. Wenngleich die Zahl ihrer Mitglieder weiter wuchs, unterlagen sie einem zunehmendem Bedeutungsverlust. [4]

Während in den 1950er Jahren China und Indien noch zusammengearbeitet hatten, richtete sich die Blockfreienbewegung angesichts der folgenden Konflikte zwischen den beiden Ländern auch gegen Peking. Die Auseinandersetzung um Tibet und Grenzstreitigkeiten führten zu Interessenkonflikten zwischen den beiden Staaten, die 1962 in einem Krieg eskalierten. Vor allem die Sowjetunion war recht erfolgreich beim Versuch, die Blockfreien auf ihre Seite zu ziehen, wobei es sogar Diskussionen gab, ob die Sowjetunion oder China aufgenommen werden sollten. Bei der Konferenz von Havanna 1979 eskalierte dann die Kontroverse um den sowjetischen Einfluß. Zum einen stand permanent die Unvereinbarkeit der Gesellschaftsordnungen im Raum, da sozialistische Staaten wie Kuba der Bewegung ebenso angehörten wie kapitalistisch ausgerichtete Länder. Zum anderen wiesen die Blockfreien intern mehr oder minder dieselben Herrschaftsverhältnisse auf, wie sie im Weltmaßstab auf Ebene der NATO und des Warschauer Pakts galten.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges entfiel der übergeordnete einende Faktor, der das fragile Bündnis beflügelt und trotz aller inneren Kontroversen zusammengehalten hatte. Indessen verschärfte die daraus resultierende Übermacht der USA und ihrer Verbündeten neoimperialistische Übergriffe und Kriegsgefahr. Wenngleich die Bewegung der Blockfreien in ihrer klassischen Form Vergangenheit ist, fehlt es der "größten Friedensbewegung der Geschichte", als die sich die Bewegung der Blockfreien auf ihrem Gipfel im März 1983 in Neu Delhi selbst beschrieb, weniger denn je an Gründen, sich in veränderten Konstellationen und mit neuen Leitmotiven zu erheben. Fortgesetzte Angriffskriege der NATO-Staaten, kulturalistische Dominanzansprüche des Westens, die Systemkrise kapitalistischer Verwertung und Verelendung durch erzwungene Handelspraktiken repräsentieren verschiedene Aspekte ein und derselben Herrschaftssicherung, deren Opfer innovativer Entwürfe ihrer Zusammenarbeit und Bündnispolitik bedürfen, wollen sie nicht vom Moloch in den Staub der von den Siegern geschriebenen Geschichte getreten werden.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,782296,00.html

[2] http://www.suite101.de/content/die-bewegung-der-blockfreien-wird-50-a113054

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/1541242/

[4] http://www.uzh.ch/news/articles/2011/ringen-um-unabhaengigkeit-und-wohlstand.html

1. September 2011