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HEGEMONIE/1739: Krieg gegen Iran? Nicht ohne Deutschland! (SB)



Wie ein Pfeifen im Wald klingt die Erklärung des deutschen Außenministers an die Adresse Teherans zu Beginn seiner Nahostreise: "Wir lassen uns von Drohgebärden nicht von unserem Weg der Entschiedenheit gegen eine atomare Bewaffnung Irans abbringen. Wir werden in der EU Wege finden, Lieferausfälle zu kompensieren." [1] Guido Westerwelle tritt der Ankündigung der iranischen Regierung, über einen sofortigen Lieferstopp ihres Erdöls an die EU-Mitgliedstaaten zu beraten, offensiv entgegen, gerade weil ihm die Schwäche der eigenen Position bewußt ist. Sie drückt sich unter anderem in den Übergangsregelungen aus, mit denen die EU-Außenminister das Embargo für iranische Erdölprodukte am 23. Januar versehen haben.

So soll das Embargo bei laufenden Verträgen erst nach einer am 1. Juli auslaufenden Übergangsfrist in Kraft treten. Auch danach wird die Möglichkeit offengehalten, iranische Schulden bei EU-Gläubigern mit Erdölprodukten zu begleichen. Auch sollen iranische Finanzierungs- oder Versicherungsdienstleistungen noch bis zu diesem Datum vollzogen werden können. Ein ähnliches Konstrukt findet sich bei der Maßnahme, die Konten der iranischen Zentralbank in der EU einzufrieren. Auch in diesem Fall soll es weiterhin möglich sein, iranische Schulden in der EU über seine Zentralbank zu bedienen.

Diese Aufweichungen eines Embargos, mit dem der Iran dazu genötigt werden soll, Zugeständnisse bei seinem Atomprogramm zu machen, bevor sich EU und USA überhaupt bereiterklären, in die von Teheran angebotenen Verhandlungen einzutreten, dokumentieren das Risiko, das seine Urheber mit diesem Schritt eingehen. In der EU, deren Außenbeauftragte Catherine Ashton ebenfalls Verhandlungen anbietet, diese jedoch an die iranische Vorleistung knüpft, bislang unerfüllt gebliebenen Forderungen nachzukommen, ist man sich zwar der negativen Auswirkungen des Embargos auf die iranische Gesellschaft bewußt, weiß aber auch über die Probleme, die dies für die eigene Wirtschaft mit sich bringt. Italien, Spanien und Griechenland erhalten den größten Teil des in die EU gelieferten iranischen Erdöls, und das im Falle Griechenlands offensichtlich zu Zahlungskonditionen, die andere Lieferanten aufgrund des griechischen Ausfallsrisikos nicht mehr übernehmen wollen. Die durch den Boykott bereits gestiegenen Preise für Rohöl verschärfen die Finanzkrise in der EU, was erst recht für den Fall eines Zwischenfalls in der Straße von Hormuz gälte, zu dem es in der angespannten Lage im Persischen Golf jederzeit kommen kann. Selbst wenn andere Lieferanten den Ausfall des iranischen Erdöls kompensieren, dann sieht es keine EU-Regierung als vorteilhaft an, daß Abnehmer für das hochqualitative iranische Öl wie China und Indien an ihre Stelle treten und möglicherweise langfristige Weichenstellungen im internationalen Kampf um die Ressourcensicherung zu ihren Gunsten vornehmen. Das gilt auch für den seit langem angestrebte Griff auf iranisches Erdgas, essentielle Voraussetzung für das Gelingen des ehrgeizigen Pipelineprojekts Nabucco.

Daß die EU sich der US-Strategie anschließt, die innenpolitische Lage im Iran durch das Anheizen der Inflation mittels ökonomischer Sanktionen zu verschärfen, ist keineswegs im Sinne aller Vertreter der in Europa angesiedelten Kapitalmacht. So ist die Bundesrepublik immer noch zweitwichtigster Handelspartner des Iran, und eine Schwächung dieser Position kann einer Regierung, die wie keine andere der EU auf die Expansion der Exportwirtschaft setzt, nicht gleichgültig sein. Seit Außenminister Westerwelle im Falle Libyens zum Popanz einer angeblich ungenügenden Kriegsbereitschaft wurde und bis heute in der neokonservativen Presse dafür abgewatscht wird, taugt er nicht mehr als Sprachrohr der an einer Verschlechterung der Beziehungen zum Iran nicht interessierten Kapitalfraktion. Zudem hätte er sich gegen den Vorwurf zu behaupten, mit brandgefährlichen Diktatoren zu paktieren, was er kaum durchstehen könnte. Die gegen die Linkspartei gerichtete Kampagne, jeglichen Widerstand gegen das Anwachsen der Kriegsgefahr in der Region unter Gesinnungsverdacht zu stellen, liefert das abschreckende Beispiel. Die Koalition könnte ein FDP-Minister, wenn er denn meinte, diese Aggression nicht unterschreiben zu können, in dieser wie jeder anderen Angelegenheit nur zur Strafe des eigenen Untergangs aufs Spiel setzen.

Da die Embargopolitik der EU - anders als unter Verweis auf den zivilen Charakter der Maßnahme behauptet - ein weiterer Schritt in Richtung auf einen Krieg gegen den Iran ist, gereicht den Eliten in der Bundesrepublik, die Washingtons konfrontativer Iranpolitik ablehnend gegenüberstehen, der Ausbruch offener Kampfhandlungen erst recht zum Nachteil. Da die Bundesregierung seit Jahren versucht, ihren Anspruch auf Zugehörigkeit zu den internationalen Großmächten mit der aggressiven Ausgrenzung des Iran zu untermauern, und dies sogar gegen die eigenen Wirtschaftsinteressen vollzieht, liegt das Heil in der Flucht nach vorne, will heißen in der Wahl der aggressivsten Option. Um ihren Einfluß im Nahen und Mittleren Osten nach einem Krieg gegen den Iran und möglicherweise Syrien zu wahren, muß sie daran teilnehmen und wird dies, der selbstgewählte Konfrontationslogik gemäß, tun.

Während es für den Teheran unterstellten Plan zur atomaren Bewaffnung keinerlei Beweis gibt [2], sind die aggressiven Absichten der USA und Israels durch zahlreiche Meinungsbekundungen hochrangiger Politiker belegt. Einmal auf die Bahn der dort propagierten Eskalation eingeschwenkt sind die Möglichkeiten eines Ausstiegs dadurch erschwert, daß die in diesem Krieg angestrebte Reorganisation der westlichen Hegemonie in der Region zu Lasten jedes NATO-Staats ginge, der sich ihres finalen gewaltsamen Vollzugs entzöge.

Das Ziel des Regimewechsels in Teheran erfordert schon in der Phase der militärischen Durchsetzung einen weit längeren Atem, als es im Irak, in Afghanistan und in Libyen der Fall war. Die sich daran anschließenden Probleme der Neuordnung der Machtverhältnisse sind erst recht unabsehbar. Sicher jedoch werden sie mit erheblichen Belastungen wirtschaftlicher wie sozialer Art für die kriegführenden NATO-Staaten einhergehen. Die Strategie der Bundesrepublik, ihre Teilhaberschaft am Beutezug durch immer aggressivere Machtpolitik zu sichern, erweist sich schon anhand der absehbaren Auswirkungen des eben beschlossenen Embargos und der Möglichkeit des Irans, diesen Affront mit seinem schnellen Vollzug offensiv gegenüber der EU zu quittieren, als desaströs. Es bleibt an der Bevölkerung der Bundesrepublik, dieser verheerenden Entwicklung ein entschiedenes Nein entgegenzusetzen.

Fußnoten:

[1] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15700839,00.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/brenn/p1ir0002.html

29. Januar 2012