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HEGEMONIE/1772: EU-Parlament empfiehlt aggressive Osterweiterung (SB)




Der Chef der Liberalen im EU-Parlament Guy Verhofstadt wirbt zusammen mit Daniel Cohn-Bendit für eine in aller Welt kampfstark auftretende EU. Vorerst will er sich damit begnügen, "die Waffe der Sanktionen zu laden", so seine Forderung anläßlich der gemeinsamen Entschließung des Parlaments, unverzüglich Maßnahmen gegen die Politiker und Sicherheitskräfte in der Ukraine einzuleiten, die die Anwendung von Gewalt gegen die Protestbewegung des Landes zu verantworten hätten. Daß das fast tägliche Anziehen der Schraube politischen Drucks im Kampf gegen den Einfluß Rußlands auf das Land die Gefahr einer militärischen Eskalation zumindest billigend in Kauf nimmt, ist der martialischen Diktion nicht nur dieses EU-Parlamentariers allemal zu entnehmen.

Auch der in Sachen Ostexpansion Deutschlands nimmermüde Elmar Brok, der schon im Jugoslawienkrieg auf den Spuren deutscher Armeen wandelte, weiß als ehemaliger Europabeauftragter im Vorstand der Bertelsmann AG um den Nutzen drastischer Polarisierungen. So stellt der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments die Ukraine vor die Wahl, entweder die "konditionierte Hilfe" der EU oder die "Unterdrückungshilfe" Rußlands anzunehmen. Sich helfen zu lassen scheint in beiden Fällen keine besonders einladende Option zu sein, allerdings weist das mit Freiheit und Demokratie werbende Hegemonialstreben der EU besonders bigotte Züge auf, wenn besagte Konditionen die Lebenssituation der ukrainischen Bevölkerung unmittelbar verschlechtern.

So wurde im Gegenzug für einen Kredit des IWF, der die Schuldenkrise des Landes lindern und mit EU-Hilfe auf die Bahn gebracht werden sollte, die drastische Erhöhung der Gaspreise, das Einfrieren der Löhne und ein verschärftes Spardiktat für Staatsausgaben verlangt. Der Strukturwandel, der mit dem von Präsident Janukowitsch zur Strafe einer Dämonisierung, die die Durchschnittlichkeit seines Opportunismus in diktatorische Höhen treibt, abgelehnten EU-Assoziierungsabkommen initiiert würde, brächte nicht minder gewichtige Nachteile für die Bevölkerung mit sich. So soll die wirtschaftliche Öffnung des Landes die Verwertungschancen EU-europäischen Kapitals vor allem durch das Fallen von Investitionsschranken und nichttarifären Handelshemmnissen aller Art voranbringen.

Im Verhältnis zweier Wirtschaftsräume von derart unterschiedlichen Produktivitätsniveaus wie im Falle der EU und der Ukraine käme dies einem Freibrief zur umfassenden Aneignung von Rohstoffen und Ressourcen, von Rechts- und Besitztiteln gleich, von denen nur unter dem Imperativ maximaler Ausbeutung behauptet werden kann, daß sie ungenutzt brach liegen. Neue Räume für den eigenen Kapitalexport zu erschließen, ist ein Kernanliegen der EU im Konkurrenzkampf globaler Wirtschaftsmächte, und dies geht stets zu Lasten derjenigen Menschen, die in ihren Expansionszonen schon jetzt am unteren Rand der Gesellschaft leben. Wer nicht einmal seine Arbeitskraft verkaufen kann, sondern versorgungsbedürftig ist, hat von der Kapitalisierung aller noch informell oder staatlich bewirtschafteten Sphären der Produktion und Reproduktion nur Nachteile. Üblicherweise werden dabei Formen der Subsistenz, die den ärmsten Menschen noch gewisse Überlebensmöglichkeiten bieten, zugunsten der Marktmacht großer Akteure eingeebnet, wie die neoliberalen Radikalreformen im Osteuropa der 1990er Jahre hinlänglich belegt haben.

Bezeichnenderweise hat das EU-Parlament keine Sanktionen für diejenigen neofaschistischen Demonstranten gefordert, die mit lebensgefährlicher Aggressivität auf Polizeibeamte losgingen, linke Aktivistinnen und Aktivisten verprügelten oder von ihrer nationalistischen Agenda abweichende Personen in aller Öffentlichkeit demütigten. Was helfen alle Resolutionen und Stellungnahmen der Brüsseler Abgeordneten gegen Rechtspopulismus und Neonazis, wenn sie nicht willens sind, gegen derartige Kräfte dort vorzugehen, wo sie die klassische Rolle einnehmen, sich als weiße Putschisten beim Sturz einer Regierung zu verdingen, um ihre rassistischen Ziele im Rahmen des staatlichen Herrschaftsgefüges noch wirksamer verfolgen zu können? Indem gezielt und systematisch ignoriert wird, wer sich auf dem Maidan und in vielen ukrainischen Städten am aggressivsten gebärdet und die Drohung mit dem Bürgerkrieg, derer sich die vorgeblich gewaltlosen Teile der Opposition bedienen, mit Glaubwürdigkeit erfüllt, lassen die EU-Regierungen und -Parlamente erkennen, wie groß die eigene Bereitschaft zur Durchsetzung staatlicher Ermächtigung ist.

Im Vorfeld des Europaparteitags in Hamburg bleibt es in den Reihen der größten Oppositionsfraktion im Bundestag in Sachen Ukraine eher still. Dabei wäre die rabiate Einmischung der EU in die Angelegenheiten der ukrainischen Bevölkerung allemal eine deutliche Positionierung gegen diese Form imperialistischer Anmaßung wert. Sollte Die Linke hingegen den Schulterschluß mit den Grünen üben, die sich an vorderster Front des EU-Expansionismus am wohlsten zu fühlen scheinen, wird die große Chance der parlamentarischen Linken, ihre neuerlangte Sichtbarkeit dazu zu nutzen, ein um so schärfer konturiertes linkes Profil zu entwickeln, nicht nur in dieser Hinsicht verspielt.

6. Februar 2014