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HEGEMONIE/1776: Vergiftete Beute Ukraine - Zwangsvollstreckung durch EU und IWF (SB)




Kaum sind die Schwaden revolutionären Elans auf dem "Euromaidan" verweht, zeigt sich das ganze Elend eines Aufstands, der bestenfalls in seinen Anfängen gegen die ukrainische Oligarchenkaste gerichtet war. Was hierzulande unter dem Titel der Beseitigung der allgegenwärtigen Korruption firmierte, meinte nichts anderes als die Herrschaft einer Klasse von Kapitaleignern, in deren Händen die Verfügungsgewalt über die industriellen und finanziellen Ressourcen des Landes konzentriert ist. Da der Impuls des sozialen Aufbegehrens jedoch von Anbeginn an auf die vermeintliche Lösung aller sozialen Probleme durch EU-europäische Regulationsmacht orientiert wurde, war die Okkupation des Protestes durch nationalistische und neofaschistische Inhalte quasi vorprogrammiert. Eine antikapitalistische oder auch nur antioligarchische Revolte mußte verhindert werden, um dieses Transitland zwischen EU und Rußland beim zweiten Anlauf nach der orangenen Revolution 2004 endgültig unter die Kuratel EU-europäischer Hegemonie zu stellen.

Die zu diesem Zweck entfachte Wut auf die Regierung Janukowitsch bediente sich des bewährten Mittels der Identifikation gesellschaftlicher Widerspruchslagen mit der Person des Präsidenten, als ob dieser je etwas anderes gewesen wäre als ein Geschöpf der das Land kontrollierenden Oligarchie. Einen für den postsowjetischen Raum durchschnittlichen Kleptokraten zum Ausbund räuberischer Aneignung und diktatorischer Gewalt zu erklären, um zu suggerieren, daß nach seinem Sturz soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Frieden Einzug halte, ist eine typische Rezeptur aus dem Arsenal generalstabsmäßig orchestrierter Regimewechsel. Die Leugnung herrschender Klassenwidersprüche und ihre Reduktion auf die Nichteinhaltung formalrechtlicher und fiskalpolitischer Regeln ist der inhaltliche Kern der moralischen Beschwichtigung sozialen Widerstands durch die selbstevidente Bezichtigung der Korruption.

Das neoliberale Vokabular der "Good Governance" eines Staates, die mit Benchmarks zu evaluieren die Best Practice der Regierungsführung ermitteln soll, verrät die Handschrift eines betriebswirtschaftlichen Managements, das die Ruinen des staatlichen Gemeinwesens den Anforderungen des Weltmarkts unterwerfen soll. Das Scheitern der gesellschaftlichen Reproduktion wird nicht kritisch hinterfragt, sondern einem Systempostulat überantwortet, das in der funktionellen Geschlossenheit von Privateigentum und Verwertungszwang jeder demokratischen Intervention entzogen ist. So erweist sich der politische Anspruch des Aufstands durch die Akzeptanz der Ordnung, gegen die er angeblich aufbegehrt, als apolitische Scharade spätestens dann, wenn wie im Fall der Kreditvereinbarungen der Ukraine mit IWF und EU zur Kasse gebeten wird.

Was im ersten Anlauf radikalreformerischer Privatisierung nach 1991 in den meisten postsowjetischen Staaten eine eigenmächtig agierende Oligarchenklasse hervorbrachte, soll in der Ukraine nun nach EU-europäischem Reglement reorganisiert und legalisiert werden. Wo Putin den russischen Staat mit Hilfe eines neuen Klassenkompromisses etablieren konnte, der die schärfsten sozialen Widersprüche durch Zugeständnisse aus der Öl- und Gasrente befrieden und damit Rußlands Stellung als eurasische Macht sichern konnte, da drängt die EU in der Ukraine auf einen Pakt mit den Oligarchen, der im Gegenzug für die Übernahme des rechtlichen Besitzstandes der EU, sprich ihrer Geschäftsordnung, durch die Ukraine die Legalisierung ihrer Räuberbarone verheißt. Ohne ihre institutionelle Macht, ihr organisatorisches Wissen und ihre strukturelle Gewalt kann die Transformation des Landes zu einer EU-Kolonie nicht gelingen.

Ganz nach dem Vorbild EU-europäischer Klassengesellschaften wird die etablierte Kapitalmacht auf eine neue, den Geschäftsregeln des freien Kapitalverkehrs und des Investitionschutzes verpflichtete Staatsräson eingeschworen. Dabei leistet sogar der Konflikt um die Krim wertvolle Dienste, wurden die nun geltend gemachten Sachzwänge doch vom Hegemonialstreben der EU selbst hervorgerufen. Anstatt den Sturz Janukowitschs und die Entmachtung seiner Partei der Regionen in eine Reorganisation staatlicher Souveränität münden zu lassen, die die Stellung der Putschisten längerfristig absichert, steht die Übergangsregierung unter dem gleichen finanziellen Zugzwang, dem sich ihre Vorgänger mit der Nichtunterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens erst einmal zu entziehen suchten. Indem das Angebot der russischen Regierung, die dringende Refinanzierung des Staatshaushaltes auf unkonditionierte Weise zu gewährleisten, unwiderbringlich ausgeschlagen wurde, muß die ukrainische Regierung nun akzeptieren, was die Regierung Janukowitsch in einer rationalen Abwägung der Vor- und Nachteile als unvorteilhaft verworfen und zur Aushandlung besserer Bedingungen ausgesetzt hat [1].

Dabei geht es zur Zeit um das Angebot des Internationalen Währungs-Fonds (IWF), ein Kreditpaket im Volumen von 14 bis 18 Milliarden Dollar zu schnüren, das an scharfe Austeritätsbedingungen geknüpft ist. Frei nach neoliberaler Rezeptur soll zur Refinanzierung der Staatsschuld, zur Behebung des Leistungsbilanzdefizits und der ökonomischen Rezession die optimalere Ausbeutung ukrainischer Ressourcen und Arbeitskraft sichergestellt werden. Der Aufhebung russischer Sonderkonditionen bei den Gaslieferungen an die Ukraine soll mit einer 50prozentigen Preissteigerung bei den Endabnehmern entgegengewirkt werden, die sich durch das Auslaufen der Subventionen, die einen erschwinglichen Gaspreis ermöglichen, innerhalb der nächsten zwei Jahre auf 79 Prozent Verteuerung erhöht. Da diese Preissteigerung dem ohnehin geringen durchschnittlichen Haushaltseinkommen der Bevölkerung erhebliche Einbußen bei anderen Verbrauchsgütern abverlangt, ist die weitere Schwächung der rezessiven Wirtschaft des Landes absehbar.

Die aus diesem Kredit hervorgehenden sozialen Härten werden durch die Forderungen, das Übergewicht der Warenimporte durch eine restriktive, auf Preisstabilität orientierte Geldpolitik zu reduzieren und eine drastische Kürzung der Staatsausgaben inklusive der Entlassung tausender Staatsbediensteter vorzunehmen, weiter verschärft. Wie Jack Rasmus im Magazin Counterpunch nachweist, entziehen die Sparforderungen des IWF der ukrainischen Volkswirtschaft mehr Geld, als sie durch dessen Kredite erhält, was im Endeffekt auf einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 18 Prozent hinauslaufe [2]. Sich die ukrainische Arbeitskraft zu durchschnittlichen Lohnkosten von 3 Euro die Stunde verfügbar zu machen, ist ein Vorhaben, das griechische Verhältnisse auch in der Ukraine voraussetzt.

Im Wuchern mit dem Pfund sozialer Verelendung sind sich die EU-Regierungen allemal einig. Will die Ukraine, wie von der EU angeboten, bis 2020 elf Milliarden Euro Kredit und Finanzhilfen erhalten, dann darf sie den IWF-Kredit nicht ablehnen. "IWF rettet Ukraine vor der Pleite", titelt tagesschau.de in einem der vielen Beispiele dafür, daß der antikommunistische Hohn vom "Tal der Ahnungslosen" in der DDR die flächendeckende Verdummung der Bundesrepublik gestern wie heute voraussetzt. Was die Regierung Janukowitsch aus sicher nicht uneigennützigen, aber nachvollziehbaren Gründen [3] verweigerte, hat die Übergangsregierung am Donnerstag durch das Parlament gebracht. Deren Chef Arseni Jazenjuk kommentierte den Vorgang mit den Worten, daß man keine Wahl habe, sondern entweder zustimmen oder pleite gehen müsse.

Vier Monate, nachdem Janukowitsch versuchte, den Preis der engeren Anbindung der Ukraine an die EU in einem Bieterwettstreit zwischen dieser und der Russischen Föderation zu erhöhen, was ihm den Aufstieg von einem austauschbaren Apparatschik zum fleischgewordenen Bösen bescherte, gesteht sein aus dem Sturz des mißliebigen Präsidenten hervorgegangener Nachfolger ein, über keinerlei Verhandlungsmacht mehr zu verfügen. Beschämender könnte das Bild des Triumvirats, das die auf dem Maidan wirksamen politischen Kräfte auf prototypische Weise repräsentierte - "Yats" Jazenjuk für den Kekse statt Milliarden verteilenden Discount-Imperialismus der USA, Vladimir Klitschko für den dritten Anlauf Deutschlands zum Schwarzen Meer, Oleg Tjagnibok als Mann fürs neofaschistisch Grobe -, kaum aussehen.

Wie im EU-Assoziierungsabkommen beabsichtigt hat die Ukraine weitreichende Souveränitätsverluste erlitten und wurde zu einer allerdings vergifteten Beute der Östlichen Partnerschaft der EU. Vergiftet, weil die zur Sicherung dieser Eroberung anfallenden Kosten nicht annähernd absehbar sind, denn sie betreffen nicht nur die Alimentierung dieser Ruine zerfallender Staatlichkeit, sondern auch die Kosten wirtschaftlicher Einbußen im Handelsverkehr mit Rußland. Vergiftet, weil die neuen Herren im Land einen Nationalismus repräsentieren, der nur von einem Teil der Bevölkerung mitvollzogen wird, so daß die Lunte des Bürgerkriegs nicht verlöschen kann. Vergiftet, weil die neokoloniale Subordination der europäischen Peripherie und das Entfachen geostrategischer Konflikte die zentrifugalen Tendenzen im Zentrum der EU nicht aufhebt, sondern durch die Unvereinbarkeit von demokratischem Anspruch und sozialer Repression vertieft.

Es ist nicht nur der vertrauten Konkurrenz zwischen Internet-Blogs und Konzernmedien geschuldet, sondern Ausdruck schwindender Glaubwürdigkeit gesellschaftlich hegemonialer Institutionen, wenn selbst die FAZ feststellt, daß die Differenz zwischen journalistischer Berichterstattung und Leserkommentaren kaum jemals größer war als im Fall der aktuellen Konfrontation mit Rußland [4]. Das etwa an dem Versuch, in Deutschland die NPD zu verbieten, während ihre ukrainischen Partner zum Instrument deutscher Außenpolitik werden, hervortretende Scheitern herrschender Legitimationsproduktion läuft allerdings Gefahr, durch die im eigenen Interesse produzierte staatsautoritäre Ideologie zur Kenntlichkeit entstellt zu werden.

Die Strategie des demokratischen Imperialismus, seine inneren Widersprüche aggressiv nach außen zu projizieren, weckt Begehrlichkeiten auch an seinem rechten Rand, einen Platz auf der Kommandohöhe zu erhalten. Wie der europaweite Aufstieg rechtspopulistischer bis neofaschistischer Parteien zeigt, profitieren offen sozialchauvinistische und rassistische Kräfte am meisten von den ökonomisch legitimierten Ausgrenzungs- und Unterdrückungspraktiken EU-europäischer Gesellschaften. Auch in dieser Hinsicht ist die Entwicklung in der Ukraine von exemplarischer Art - die neoliberale Verabsolutierung sozialer Konkurrenz bringt zuverlässig hervor, was das Freiheitspostulat kapitalistischer Marktwirtschaft angeblich unmöglich macht.


Fußnoten:

[1] EU-Osterweiterung zum Dritten: die "östliche Partnerschaft" mit der Ukraine, Gegenstandpunkt 1-14
http://www.gegenstandpunkt.com/gs/2014/1/gs20141047h1.html

[2] Ukraine's IMF Deal http://www.counterpunch.org/2014/03/28/ukraines-imf-deal/

[3] HEGEMONIE/1775: Soziales Elend festgeschrieben - Regimewechsel in der Ukraine (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1775.html

[4] Meinungsschlacht um die Krim
http://www.faz.net/aktuell/politik/krim-krise-in-deutschen-medien-was-geht-bloss-in-diesen-koepfen-vor-12865042.html

31. März 2014