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HEGEMONIE/1806: Mit Pomp und Pathos in die Ära verschärfter Verteilungsschlachten und Klassenkämpfe (SB)



Die Zeit der Kaffeesatzleserei ist vorbei, und einen Donald Trump, wie SPD-Chef Gabriel es tut, lediglich als nationalistisch zu kritisieren, wird dem Einblick in die Karten, die er bereits auf den Tisch gelegt hat, nicht gerecht. Zwar hat er in seiner Antrittsrede nichts grundsätzlich Neues gesagt, aber der 45. US-Präsident hat bestätigt, daß die im Wahlkampf eingeschlagene Marschrichtung ihn nicht nur ins Weiße Haus gebracht hat, sondern Richtschnur präsidialen Handelns bleiben soll. Allerdings macht Trump bei der Einlösung des Versprechens, "die USA wieder für das ganze Volk aufzubauen", [1] die Rechnung ohne den Wirt, sprich die eigene Oligarchenklasse, auf.

Die bei der Inauguration mit Inbrunst wiederholte Parole America First wirkt auf Menschen, die nicht dazugehören, nicht umsonst bedrohlich. Sie setzt ein nationales Aneignungsinteresse ganz offiziell ins Werk, das sich mit den Erträgen der vom US-Dollar beliehenen Globalisierung nicht mehr zufrieden geben will. Trumps Klage über die in anderen Kontinenten ausgegebenen Billionen, an denen die Vereinigten Staaten industriell und infrastrukturell ausbluteten, unterschlägt absichtsvoll, daß in den USA angesiedelte Kapitaleigner und Konzerne an der Produktion und Distribution vor allem in China produzierter Waren beteiligt sind und daran verdienen. Daß diese Akteure zu wenig für den US-amerikanischen Staatshaushalt und eine dadurch ermöglichte Linderung der massiven sozialen Verelendung eines Sechstels der US-Bevölkerung tun, ist keine Neuigkeit, sondern Ergebnis neoliberaler Regierungspolitik. Daß sich an deren sozialfeindlichem Charakter in Zukunft wenig ändern wird, ist schon Trumps Steuersenkungsplänen wie seiner Ankündigung, die Ausgaben für den gigantischen militärisch-industriellen Komplex weiter zu steigern, zu entnehmen.

Trump macht die Globalisierung des kapitalistischen Weltsystems für die Misere der USA verantwortlich und stellt damit das imperialistische Modell, den nationalen Wohlstand durch die Aneignung der menschlichen Arbeitskraft und natürlichen Rohstoffe der kapitalistischen Peripherie zu mehren, in Frage. Mit dem Dollar als Weltgeld und der jahrelang anhaltenden, erst jetzt allmählich auslaufenden Nullzinspolitik der Federal Reserve Bank hat die US-Gesellschaft erfolgreich auf Kosten zahlreicher Staaten gelebt, die das Zahlungsversprechen des Dollars für valide genug hielten, um es gegen materielle Leistungen aller Art einzutauschen. Diese Entwicklung umzukehren, indem eine Produktivität entfacht wird, mit der der Schuldenberg abgebaut und angemessene Lebensbedingungen in den USA gewährleistet werden, ist angesichts eines Minus von über 13 Billionen Dollar gegenüber den internationalen Gläubigern des US-Konsums wenig aussichtsreich.

Die Absicht, die in Billiglohnländer ausgelagerten Produktionsprozesse in die USA zurückzuholen, um dort eine nationale Warenwirtschaft aufzubauen, die der US-amerikanischen Bevölkerung ein besseres Leben ermöglicht als unter den herrschenden Bedingungen, krankt mithin gleich an mehreren Leerstellen. So wird die nationale Oligarchie gerade unter den maximal liberalisierten Bedingungen, die der Unternehmer Trump für seinesgleichen schaffen will, nicht aufhören, die Kosten der Arbeit so zu drücken, daß das dafür vorgeschossene Kapital beim Verkauf der dabei entstandenen Produkte rentabel wird, also Gewinn abwirft. Die Verwirklichung des auch unter europäischen Rechten gerne anvisierten Fluchtpunktes nationaler Autarkie ginge in Anbetracht des erreichten Standes internationaler Arbeitsteilung, der Interessen der US-amerikanischen Exportwirtschaft und des notwendigen Importes bestimmter Rohstoffe und Güter mit Produktivitätsverlusten einher, die die USA praktisch in ein früheres Entwicklungsstadium kapitalistischer Vergesellschaftung zurückfallen ließe, was das Leben der eigentumslosen Bevölkerung weiter verschlechterte.

Insbesondere die Aufrechterhaltung des Anspruchs, mit dem US-Dollar die internationale Leitwährung zu stellen und seine immanente Verfügungsgewalt zu nutzen, die Bedingungen des Welthandels maßgeblich bestimmen zu können, belegt die Haltlosigkeit der Annahme, man könne den nationalen Reichtum von seinen internationalen Quellen abkoppeln, ohne dabei Schiffbruch zu erleiden. Das ist auch gar nicht die Absicht des neuen US-Präsidenten, wenn er America first in die Forderung münzt: "Kauft amerikanisch, stellt amerikanisch ein". Natürlich will Trump nicht auf die Vorteile eines Imperialismus verzichten, der die globaladministrative Rolle der USA jahrzehntelang begründete. Seine Anti-Establishment-Rhetorik kommt bei seinen Anhängern nur deshalb gut an, weil diese sich nicht klarmachen, daß korrupte Politiker und ein zentralistischer Staat lediglich den exekutiven Arm eines Geschäftes bilden, das von den großen, auf die hegemoniale Stellung der USA bauenden Kapitalfraktionen maßgeblich betrieben wird.

Daran, daß die Bewirtschaftung der US-amerikanischen Lohnabhängigenklasse vor dem Hintergrund eines Weltmarktes erfolgt, vor dem alle US-Bürger, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, ihre Unersetzlichkeit beweisen müssen, ändert ein Buy American-Protektionismus nicht das geringste. Wenn Trump an einen "neuen Nationalstolz" appelliert, der "die Spaltungen heilen" werde, wenn er behauptet, Jobs und Wohlstand in die USA zurückzuholen, dann produziert er Feindbilder, gegen die er früher oder später vorgehen muß, wenn sich herausstellt, wie hohl seine zu Amtsantritt gemachten Versprechungen waren. So nationalistisch und rassistisch der Tenor der impliziten Bezichtigung ist, die Bevölkerungen anderer Länder beuteten einen Reichtum aus, der eigentlich der US-Bevölkerung gehört, so sehr richtet sich seine Demagogie gegen das Ruchbarwerden eines Klassenwiderspruchs, dessen herrschaftliche Seite Trump als Immobilienmagnat und Großunternehmer an erster Stelle repräsentiert.

Ob proletarischer oder kleinbürgerlicher Herkunft, ob scheinselbständig, abhängig beschäftigt oder versorgungsbdürftig, die eigentumslose Klasse wird von diesem Präsidenten auf jeden Fall zur Ader gelassen. Ob als Boß im Weißen Haus, von wo aus er die Geschicke des Unternehmens USA lenkt, oder als Commander-In-Chief, der verspricht, den islamistischen Terrorismus völlig vom Antlitz der Erde zu tilgen - Trump ist das Gesicht der globalen Krise auf der Höhe ihrer aktuellen Zuspitzung. Entwertung, Überproduktion, Klimawandel, ökologische Zerstörung, Nahrungsmittelverknappung, innerimperialistische Konkurrenz, Legitimationsverlust der politischen Systeme - seine individuelle Person ist so austauschbar, wie die historischen Umstände, die die von ihm propagierten Mittel und Zwecke hervorbringen, das Ergebnis einer nie dagewesenen Krisenentwicklung auf globalem Niveau sind.

Dementsprechend belanglos ist der Versuch europäischer Politiker und Kommentatoren, sich vom ästhetischen Niedergang und populistischen Tenor US-amerikanischer Politik abzugrenzen. Am Zustandekommen dieser Krise und ihrem Ergebnis, dem Einzug eines Mannes ins Präsidentenamt der USA, mit dem schwerwiegende kriegerische Eskalationen noch wahrscheinlicher werden als zuvor und dem die ungebremste Fortsetzung ökologischer Zerstörung geradezu Ausdruck seiner persönlichen Freiheit, das Leben zu verbrauchen, wie es ihm beliebt, zu sein scheint, haben sie gewichtigen Anteil. Als Fürsprecher eines Merkantilismus, der die nationale Geschäftsbilanz auf Kosten anderer Wirtschaftsräume verbessern soll, als Sachwalter einer Währungspolitik, die die Ausbeutung der Länder des Globalen Südens vorantreibt und die Bevölkerungen der Schuldnerstaaten in der Eurozone verelenden läßt, als Propagandisten einer Aufrüstung auf nationaler wie EU-Ebene, mit denen man sich für künftige Verteilungsschlachten wappnet, ziehen die Funktions- und Kapitaleliten der EU am gleichen Strang wie die Oligarchen und Regierungen der USA, Chinas, Rußlands oder Japans. Da sie dies an verschiedenen Enden tun, ist ein schmerzhafter Sturz in diese oder jene Richtung vorprogrammiert.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/neuer-us-praesident-trump-wir-werden-amerika-wieder.1818.de.html?dram:article_id=376917

21. Januar 2017


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