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HERRSCHAFT/1455: Ermächtigung zur Vorverurteilung ein Prärogativ Obamas (SB)



Als US-Bundesrichter John Bates, der mehrere Klagen von Guantanamo-Häftlingen gegen ihre Verschleppung und Inhaftierung bearbeitet, vor einer Woche die Rechtsauslegung präsentierte, daß der US-Präsident die legale Vollmacht besitze, Personen zu inhaftieren, die an der Ausführung oder Planung der Attentate des 11. September 2001 beteiligt waren, spielte die Frage, inwiefern dieser vorgebliche Anlaß überhaupt erwiesen sei, keine Rolle. Die mögliche Tatbeteiligung der in Guantanamo inhaftierten Personen ist in der Debatte um ihre Zukunft weit hinter das Problem zurückgetreten, was man mit Menschen macht, von denen man vermutet, daß sie schuldig sein könnten, und die man behandelt, als sei diese Schuld erwiesen.

So hat sich der im Terrorkrieg von der US-Regierung angemaßte Status des "illegalen feindlichen Kombattanten" praktisch verselbständigt. Mit diesem Terminus entrechtete, zu Nichtmenschen erklärte Gefangene unterliegen einer vollzugswirksamen Vorverurteilung, die es im Endeffekt unwichtig macht, ob sie unter diesem Titel, dem des "Terrorverdächtigen" oder dem des "Gefährders" malträtiert werden. Die Debatte um die Aufnahme einiger Insassen Guantanamos in Deutschland geht denn auch gezielt daran vorbei, daß die Bundesrepublik keineswegs gefeit davor ist, bei einer innenpolitischen Zuspitzung etwa nach einem verlustreichen Anschlag Menschen unter einem dieser Titel möglicherweise lebenslang ihrer Freiheit zu berauben.

Was für Juristen und Rechtswissenschaftler ein unerträglicher Skandal sein müßte, ist für Technokraten der Macht ein ideales Werkzeug der Herrschaftsicherung. Im konkreten Wortlaut erklärte Richter Bates: "Der Präsident hat auch die Autorität, Personen festzuhalten, die zu Taliban, zu Kaida oder mit jenen verbündeten Kräften gehören oder gehörten, die sich an Angriffen auf die USA oder deren Koalitionspartner beteiligt" (Neue Zürcher Zeitung, 21.05.2009) hätten.

Der US-Präsident ist mithin befugt, Personen allein aufgrund ihrer Assoziation mit Organisationen, von denen behauptet wird, gewaltsam gegen die USA oder ihre Verbündeten vorzugehen, in Lager zu internieren und schlimmstenfalls nie wieder zu entlassen. Im Zweifelsfall führt das negative Urteil einer Administration über die politische Gesinnung eines Menschen dazu, daß dessen Leben zerstört wird. Ideologisch unterstützt Bates damit die Verfechter der Unitary Executive Theory, die US-Präsident George W. Bush dazu legitimierten, im Zweifelsfall die Folterung von Gefangenen anzuordnen. Diese neokonservative Theorie, derzufolge sich die staatliche Gewalt maßgeblich in den Händen des Präsidenten konzentriert, weil Legislative und Judikative dazu tendierten, die Schlagkraft und Sicherheit des Staates zu fragmentieren, ist eine Blaupause für die Diktatur, weil sie die Kontrolle der Exekutive eben dort aufhebt, wo sie am nötigsten wäre.

Die Debatte um das Schicksal der Guantanamo-Gefangenen ist mithin auch ein Diskurs über das Verhältnis von Staatsgewalt und Demokratie. Ihnen Asyl zu gewähren ist unter allen Umständen erforderlich, gerade weil sie Opfer einer Justizwillkür wurden, die das vielzitierte Unwort vom Unrechtsstaat einer ausnahmsweise sachdienlichen Verwendung zuführen könnte. Statt dessen jedoch werden hierzulande die Bedenken reproduziert, mit denen in den USA die Gültigkeit des präventiven Terrorstigmas unterstrichen wird. Die Frage der Schuld oder Unschuld der Gefangenen dürfte sich legaliter gar nicht stellen, weil sie unter unrechtmäßigen Bedingungen verschleppt, gefoltert und ihrer Freiheit beraubt wurden.

Indem die Debatte um Guantanamo auf die Frage der Menschenrechte, ihre Verletzung und die humanitäre Regulation dieses Problems verengt wird, gerät die argumentative Grundlage für die Transformation konventioneller Strafverfolgung in ein System präventiver Gefahrenabwehr aus dem Blick. Dieses beruht nicht etwa auf den unterstellten Sachzwängen einer Bedrohungslage, über die man - siehe die unterbliebene vollständige Aufklärung der Anschläge des 11. September 2001 - unwiderlegbar Beweiskräftiges gar nicht wissen will. Es wird ermöglicht durch das Ermächtigungsstreben von Politikern, die die Wirksamkeit exekutiver Maßnahmen unter dem Vorwand der Abwehr terroristischer Gefahren und in Leugnung eigener Verantwortung für das Zustandekommen politisch motivierter Straftaten so weit in deren Vorfeld verlegen wollen, daß sie jeden, der ihrem Griff nach absolutistischer Machtfülle entgegentritt, mit denjenigen Mitteln mundtot machen können, die in den Mittelpunkt herrschaftskritischer Fragen gehören.

25. Mai 2009