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HERRSCHAFT/1478: Afghanistan im falschen Schein des Demokratie- und Stabilitätsexports (SB)



Von Stabilitäts- und Demokratieexport ist die Rede, wenn die Gründe für den Krieg in Afghanistan aus Sicht der Bundesregierung genannt werden. Mit der Präsidentschaftswahl am Donnerstag soll der sichtbare Beweis des Erfolgs der Strategie erbracht werden, entlegene Weltregionen durch den Export des eigenen Gesellschaftsmodells zu befrieden, nicht nur um von dort angeblich ausgehende Angriffe zu verhindern, sondern vor allem um die dortige Bevölkerung dem eigenen Ordnungsmodell und Verwertungssystem zu unterwerfen. Vorbild für diese Weißwaschung imperialistischer Kriegführung ist der Irak, dessen Befriedung auf tönernen Füßen steht, wie die letzten Wochen zeigen, an denen die Menschen des Landes fast täglich durch Bombenattentate in Angst und Schrecken versetzt wurden.

Die Unterstellung, die heutige Situation in Afghanistan habe mit der vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush angestrebten Neuordnung und Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens nichts zu tun, könnte nicht abwegiger sein. Die Eroberung des Landes erfolgte in erklärter Absicht, die angeblichen Urheber der Anschläge des 11. September 2001 zur Strecke zu bringen, und uferte in einen globalen Terrorkrieg aus, in dessen Rahmen auch der Irak zum Opfer der westlichen Militärmaschinerie wurde. Beide Kriege waren im Ansatz lange vor 9/11 geplant und folgten geostrategischen Erwägungen, die nichts mit Terrorismus zu tun hatten, außer daß dieser einen willkommenen Vorwand zu ihrer Verwirklichung bot. Das belegen unter anderem die angestrengten Versuche der US-Regierung, den Angriff auf den Irak unmittelbar mit der angeblichen Unterstützung Al Qaidas durch dessen Präsidenten Saddam Hussein zu verknüpfen.

Die eben erfolgte Bekräftigung des angeblichen Kriegsgrunds der Terrorismusabwehr in Afghanistan durch US-Präsident Barack Obama belegt, daß dieser sich in Kontinuität zur Kriegsstrategie der vorherigen US-Administration bewegt. Mit dem haltlosen Argument, der eine sei der falsche und der andere der gerechte Krieg, wurden das im Irak durchgesetzte Besatzungsszenario und Befriedungskonzept nach Afghanistan exportiert. Je offensichtlicher dieser Zusammenhang in der Bundesrepublik wird, desto mehr zeigt sich, daß die Bundesregierung lediglich als Appendix der Kriegsstrategie Washingtons funktioniert. Deren in Anbetracht der behaupteten Handlungsmotive offenkundige Irrationalität überträgt sich auf hiesige Kriegsapologeten in Form eines zusehends demokratiefeindlichen Umgangs mit eigenen Kritikern, wie etwa die Behauptung des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz belegt, die Diskussion über einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan während des Bundestagswahlkampfes animiere die Taliban, "noch mehr Anschläge auf die Bundeswehr zu verüben".

Im Fall der Taliban, die 2001 90 Prozent Afghanistans regierten und vor dem 11. September 2001 als Verhandlungspartner von der US-Regierung hofiert wurden, wurde der Nachweis ihrer Verantwortung für die Anschläge niemals nachgewiesen. Die Regierung in Kabul hatte in Reaktion auf die Bezichtigungen Washingtons angeboten, Osama bin Laden bei Vorlage von Beweisen für seine Täterschaft in ein Drittland auszuweisen. Das schützte sie nicht davor, von einer Aggression überrollt zu werden, die die Härte ihrer eigenen Herrschaft verblassen läßt. Heute kommt man nicht mehr umhin zu erkennen, daß sich die besonders rigide Islaminterpretation der Taliban nicht so sehr von der islamischen Doktrin anderer Gruppen der afghanischen Gesellschaft unterscheidet, als daß mit der Beendigung ihrer Herrschaft etwas für afghanische Frauen gewonnen wäre, was mit den Taliban konkurrierende Machthaber nicht wieder zerstören könnten. Nach acht Jahren Besatzung und Krieg hat sich das Argument, westliche Truppen brächten den Afghanen die langersehnte Modernisierung ihrer Gesellschaft und Befreiung von islamistischen Glaubenskriegern, stark abgetragen.

Dementsprechend dünn ist das Firnis einer Demokratisierung, die unter Ansturm bewaffneter Besatzungsgegner mitten im Krieg erfolgen und dabei einheimische Glaubenstraditionen wie Stammesstrukturen mit einer Gesellschaftsdoktrin überwölben soll, die vielen Afghanen völlig fremd ist. Anstatt die im Bürgerkrieg gestellte Machtfrage damit zu beantworten, daß man der Bevölkerung ökonomisch unter die Arme greift und lediglich nichtmilitärische Unterstützung dabei bietet, daß sich alle Konfliktparteien an einen Tisch setzen, wird auf paternalistische Weise und unter Ausschluß der Besatzungsgegner vorgeschrieben, wie die Afghanen über ihre Zukunft zu bestimmen haben.

Im Irak, wo das demokratische Prozedere ebenfalls von heftigen Kämpfen begleitet war, hat man viel Geld für den Kauf oppositioneller Gruppen ausgegeben, hat Bagdad mit Mauern ethnisch separiert und Millionen Menschen zur Umsiedlung oder zur Flucht ins Ausland genötigt, um eine bis heute nicht vollständig gelungene Befriedung zu erreichen. Die Bilanz dieses Stabilitäts- und Demokratieexports besteht in mehreren Millionen Embargo- und Kriegsopfern, ohne daß für die Überlebenden nennenswerte soziale und gesellschaftliche Fortschritte gegenüber dem Ausgangspunkt der seit 1991 erfolgenden Angriffe und Sanktionen erzielt worden wären. Saddam Hussein wurde hingerichtet, Osama bin Laden lebt als Phantom weiter, ohne daß das eine oder andere etwas mit der Situation der Menschen im Irak und Afghanistan zu tun hätte.

Wie im Irak ist auch in Afghanistan ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung von elementarer Überlebensnot betroffen, ohne daß deren Behebung zum wichtigsten Ziel der Besatzungsmächte erklärt worden wäre. Schon aus diesem Grund ist der vermeintliche Stabilitäts- und Demokratieexport ein Fantasma, das sich nur Menschen leisten können, die nichts davon wissen wollen, was Hunger und Elend für die davon Betroffenen bedeuten. Zu Dechiffrieren ist dieser Kriegsgrund als Sicherung einer Herrschaft, mit der sich im Sinne der Besatzer walten läßt. Bedeutsam für die Bundesbürger ist diese Scharade nicht zuletzt für das in der Bundesrepublik hegemoniale Gesellschafts- und Demokratieverständnis - wenn die eigenen Parteien und die eigene Regierung ihnen die Notwendigkeit und den Erfolg dieses Befriedungskonzepts verkaufen wollen, dann können sich die daran gestellten Erwartungen und Maßgaben nicht wesentlich von den für Deutschland geltenden unterscheiden.

19. August 2009