Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1525: Baltazar Garzón - kein Robin Hood in Richterrobe (SB)



Der umtriebige spanische Ermittlungsrichter Baltazar Garzón machte sich 1999 weithin einen Namen, als er versuchte, eine Auslieferung des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet aus Britannien an Spanien wegen Genozid, Terrorismus und Folter zu erwirken. Das gelang zwar nicht, brachte den alten Despoten aber immerhin gehörig in Schwierigkeiten, da er längere Zeit im britischen Hausarrest verbringen mußte und später auch in seiner Heimat nur mit Mühe verhindern konnte, juristisch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Unterdessen avanciere Garzón zum Helden einer Generation, die ihre Abkehr von politisch widerständigen Positionen und ihren karrierebewußten Gleichschritt mit innovativen Errungenschaften der Herrschaftssicherung mit Klischees der Vergangenheitsbewältigung und instinktsicheren Zukunftsentwürfen kaschierte.

Wenngleich es zweifellos tausend Gründe gab, Pinochet und Konsorten die Pest an den Hals zu wünschen, durfte das doch nicht dazu führen, das Hohelied einer Weltjustiz zu singen, die jeden Menschen aus jedem Ort hervorzerren und vor die Schranken eines fernen Gerichts bringen kann. Diesen Einwand trugen damals nur wenige vor, während die breite Mehrheit nicht nur die Abrechnung mit dem Haßsymbol feierte, sondern sich darüber hinaus für den Angriffskrieg auf dem Balkan und weitere Aggressionsakte im Namen fiktiver Menschenrechte und angeblich bedrohter Sicherheitslagen starkmachte, während die Gerichte für die geplanten Schauprozesse in Stellung gebracht wurden.

Manchen blieb der Jubel im Halse stecken, als Baltazar Garzón einige Zeit später nicht nur die Todesschwadrone der spanischen Regierung des Sozialisten Felipe González in den achtziger Jahren, sondern gleichermaßen auch die ETA ins Visier seines unermüdlichen Strafverfolgungsdrangs nahm. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Illusion, Garzón sei eine Art Robin Hood in der Richterrobe, wie eine Seifenblase zerplatzen müssen. Spektakuläre Ermittlungen blieben sein Metier, wobei sich persönlicher Ehrgeiz und Geltungssucht mit einem Gespür für opportune Manöver paarten. Pinochet konnte er mit breiter Zustimmung attackieren, als der ehemalige Diktator längst ausgedient hatte und selbst von seinen vormaligen Hintermännern in Washington und Europa problemlos geopfert wurde, sofern dabei nur keine schmutzige Wäsche gewaschen wurde, die über Südamerika hinauswies. Nun ging er militante Formen der politischen Auseinandersetzung in der Gewißheit ab, daß deren Unterstützung dramatisch geschwunden war.

Die USA reagierten ungehalten, als er Regierungsmitglieder wegen Menschenrechtsverbrechen, begangen im Irak, in Afghanistan und in Guantánamo Bay, unter Anklage stellen wollte. Noch weniger konnte sich Israel mit seiner Initiative anfreunden, Kriegsverbrechen im Gazastreifen zu untersuchen. Um ebenso wenig konnte die chinesische Regierung seiner Vorladung von Kabinettsmitgliedern abgewinnen, die zu den Vorkommnissen in Tibet aussagen sollten.

Nun bläst Baltazar Garzón ein eisiger Gegenwind im eigenen Land ins Gesicht, hat doch der Oberste Gerichtshof Spaniens der faschistischen Falange-Partei gestattet, sich an einer Klage gegen den Untersuchungsrichter zu beteiligen. Dieser hat es gewagt, die Verbrechen der Diktatur neu aufzurollen und im Zuge seiner Ermittlungen Franco, 44 ehemalige Generäle und Minister sowie zehn Mitglieder der Falange zu beschuldigen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Auch forderte er die Öffnung von zahlreichen Massengräbern, in denen über 100.000 Opfer des Regimes verscharrt worden waren. (World Socialist Web Site 01.03.10)

Garzón hat sich dabei mit einem Gegner angelegt, der ihn zu verschlingen droht. Er mußte die Klage fallenlassen, nachdem man seine Autorität zur Durchführung dieser Ermittlung massiv infrage gestellt hat. Eine breite Front bis hinein in die Sozialistische Partei wirft ihm vor, gegen die Vereinbarungen zum "friedlichen Übergang zur Demokratie" zu verstoßen, der nach Francos Tod den Fortbestand der Herrschaftsverhältnisse mit anderen Mitteln sicherte. Nun wird der Untersuchungsrichter selbst angeklagt, wobei ihm die Suspendierung und womöglich das Ende seiner Vorzugsstellung in der Audiencia Nacional, dem höchsten spanischen Strafgerichtshof droht.

Ist Baltazar Garzón deswegen ein mutiger Jurist im Richtergewand, der sich mit den Mächtigen dieser Welt anlegt, um deren Straffreiheit anzuprangern? Ist er ein lebender Beweis für die Möglichkeit einer unabhängigen Justiz, gerade weil er vermeintlich ohne Ansehen der Person und politischen Ausrichtung brisante Komplexe nie geahndeter Straftaten aufs Korn nimmt? Wie leicht ist man verführt, einen hochrangigen Repräsentanten der Strafjustiz als Helden auf den Schild zu heben, sofern er sich nur gerade einer jener Reizfiguren annimmt, die man selbst zum Intimfeind erkoren hat. Daß er unvermeidlich ein Teil der Justiz bleibt, die ihrerseits niemals unabhängig sein kann, weil sie Ausdruck der herrschenden Verhältnisse ist, ohne deren Gewalt sie nicht existieren würde, sollte man darüber nicht vergessen.

1. März 2010