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HERRSCHAFT/1529: Am Beispiel Mixa ... weißer Kragen, olivgrüner Talar, schwarze Pädagogik (SB)



Das unter dem Druck von Zeugenaussagen schrittweise erfolgte Zurückrudern des Bischofs Walter Mixa soll nicht wenige katholische Gläubige zum Austritt aus ihrer Kirche bewegt haben. Anscheinend hatte man von der Lauterkeit dieses Oberhirten ein besseres Bild und fühlt sich nun von ihm betrogen. Die Aufregung um seine Person wäre nicht verständlich, wenn die Moral der katholischen Kirche nicht eine Glaubwürdigkeit genösse, die höher eingeschätzt wird als die von Politikern. Dies allein dokumentiert die große Bedeutung der beiden staatlich geförderten Amtskirchen für die Sicherung herrschender Verhältnisse in der Bundesrepublik. Trotz oder gerade wegen der jahrhundertealten Geschichte, die nicht nur die Römische Kirche als Agentur herrschaftlicher Interessen ausweist, sondern auch den sie reformierenden Protestantismus auf der Seite der Starken weiß, erfreuen sich die Amtskirchen nach wie vor des Rufs, einem höheren Standard der Redlichkeit und Ehrlichkeit verpflichtet zu sein.

Dies läßt sich mit den politischen Aufgaben klerikaler Würdenträger wie Walter Mixa schlecht verbinden. So fungiert er im Amt des obersten katholischen Militärgeistlichen der Bundesrepublik, von dem er ebenfalls zurücktreten will, als Verfechter militärischer Maßnahmen, die sich mit dem christlichen Bekenntnis zur Gewaltfreiheit nur über argumentative Winkelzüge höchst spitzfindiger Art in Einklang bringen lassen. Wenn Mixa den Soldaten "ethische Sinnorientierung" vermittelt, dann bedeutet das nichts anderes, als daß er sie von der moralischen Schuld ihres "Berufs" befreit, um sie kriegsfähig zu machen. Auch wenn deutsche Militärgeistliche heute keine Kanonen mehr segnen, so sind sie mit dem ethischen Flankenschutz für Truppen, die in Afghanistan als Besatzer fungieren, integraler Bestandteil einer Militärmaschinerie, die weit über die Aufgabe bloßer Landesverteidigung hinaus Interessen gewaltsam durchsetzt, die sicherlich nicht die eines Jesus waren, der sich seinerseits mit einer Besatzungsmacht konfrontiert sah.

2006 forderte der Militärbischof Mixa bei einem feierlichen Pontifikalamt anläßlich des 50jährigen Bestehens der katholischen Militärseelsorge, den "wachsenden Aufgaben" der Feldprediger durch "deutlich mehr Stellen" als die 90 vom Bund finanzierten Plätze gerecht zu werden. Schließlich sorgten "unsere Soldaten (...) für mehr Frieden und Gerechtigkeit in diesen Ländern", so Mixa, der schon damals besser hätte wissen können, was er auch heute nicht wissen will.

Seine Bereitschaft, den operativen Anforderungen der Truppe im "Einsatz" auch dann gerecht zu werden, wenn sie wie im Falle der Entsendung von Tornados nach Afghanistan "messerscharf neben der Kampfhandlung" ständen, begründet den hohen Wert, den dieser Geistliche für die Kriegsfähigkeit der Bundesrepublik hatte. Daß die Bundeswehr in Afghanistan Bestandteil einer NATO-Operation ist, bei der immer wieder Zivilisten ums Leben kommen, subsumierte Mixa 2007 unter die Unausweichlichkeit, daß Krieg stets "einen Verlust an Humanität" mit sich bringe und am Schluß auf allen Seiten "Verlierer" zurücklasse. Wenn Aggressoren moralische Verlierer sind, dann muß ihr mörderisches Tun nicht verurteilt werden, wurden sie doch bereits durchs Leben gestraft.

Die moralische Arithmetik des Krieges gebietet laut Mixa, daß der Waffeneinsatz nicht größere Unordnung hervorrufen dürfe als das Übel, das damit bekämpft werde. Ordnung ist das Stichwort, nicht etwa das Wohlergehen aller Menschen oder gar die Menschenliebe. Daß die andere, zu bekämpfende Seite Unordnung schaffe, wird dort sicherlich anders gesehen, geht es doch in Afghanistan darum, seiner Bevölkerung eine Ordnung aufzuoktroyieren, die nicht die ihre ist, sondern von fremden Interessen regiert wird. Es kann daher nicht erstaunen, daß sich der Militärbischof nicht nur für "humanitäre" Auslandseinsätze der Bundeswehr, in denen angebliche Notwehrsituationen Angriffshandlungen legitimieren, stark macht, sondern auch den Einsatz von Soldaten im Inneren der Bundesrepublik gutheißt. Wie am Hindukusch muß auch hierzulande eine Ordnung verteidigt werden, die nicht im Interesse aller davon Betroffenen ist.

Über die politische Ideologie der christlichen Leitkultur klärte Mixa zu Ostern 2009 auf. Seine Warnung vor einem "aggressiven Atheismus" mündete in die Gleichsetzung des "gottlosen Regime des Nationalsozialismus und des Kommunismus", demgegenüber das herrschende System völlig in Ordnung geht, wenn es sich nur um einen Kapitalismus voller Gottesfurcht handelt. Daß dieser auch ganz materiell im Interesse der katholischen Kirche liegt, bewies Mixa, als er 2002 in seiner Funktion als Militärbischof auf der Rückreise von einem Besuch deutscher Truppen in Mazedonien und im Kosovo am Flughafen der mazedonischen Hauptstadt Skopje 400.000 Mark im Handgepäck mit sich trug. Er habe dieses Geld im Auftrag des katholischen Bischofs von Skopje mit nach Deutschland nehmen sollen und dort auf ein Konto bei einer kirchlichen Bank einzahlen sollen, behauptete Mixa, ohne damit zu erklären, wieso der diese hohe Summe beim Grenzübertritt nicht, wie verlangt, angab (donaukurier.de, 23.04.2010).

Sein Umgang mit schutzbefohlenen Heimkindern ging, wenn man den acht bisher gegen den Bischof aussagenden Betroffenen glauben will, weit über die von ihm eingestandenen Ohrfeigen hinaus. Eine heute 41jährige Frau, die in dem Schrobenhausener Kinderheim lebte, das Mixa als Pfarrer der Stadt Augsburg häufiger besuchte, berichtete gegenüber der Süddeutschen Zeitung (09.04.2010), daß er die Kinder häufig geschlagen habe, und das nicht nur ins Gesicht. Ihrer Aussage nach mußte sie sich mit heruntergezogener Hose über die Badewanne beugen und erhielt dort "fünf bis sieben Schläge auf das Gesäß", die so heftig waren, daß sie zwei Tage danach vor Schmerzen nicht vernünftig habe sitzen können.

Wenn Mixa sich schützend vor die Kirche stellt, indem er die 68er-Bewegung, in der "besonders progressive Moralkritiker auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert" hätten, für pädophile Vorfälle in kirchlichen Institutionen verantwortlich macht, dann unterschlägt er gezielt, daß der von linken Aktivisten initiierte Widerstand gegen autoritäre Formen der Erziehung gerade auch in kirchlichen und anderen Heimen gegen Praktiken gerichtet war, mit denen Erwachsene ihre gegenüber Ebenbürtigen und Stärkeren nicht durchsetzbaren Machtgelüste hemmungslos an Kindern und Jugendlichen auslebten. Dabei waren die Übergänge zwischen angeblich notwendiger Züchtigung und lustvoller Brutalität ebenso fließend, wie sie es zwischen oberflächlichem Körperkontakt und sexueller Penetration sein können. Wenn heute die gesamte Reformpädagogik diskreditiert wird, weil sich einige schwarze Schafe unter ihren Protagonisten befanden, dann geht es dabei längst nicht mehr um die Interessen früherer und künftiger Betroffener, sondern um die Restauration autoritärer Verhältnisse, mit denen schon im frühen Alter für dauerhafte Unterwerfung gesorgt werden soll.

Die Mixa angelasteten Züchtigungen sind keine isolierten Fehlgriffe eines ansonsten honorigen Geistlichen oder im Eifer des erzieherischen Gefechts erfolgende Überreaktionen eines von besten Motiven geleiteten Pädagogen. Sie sind Elemente eines Gewaltverhältnisses, dem das Erzeugen von Angst zentrales Instrument der sozialen Kontrolle ist. Die christlichen Kirchen verfügen in dieser Hinsicht über einen besonders großen Erfahrungsschatz, fiel ihnen im Bündnis von Thron und Altar doch die Aufgabe zu, die körperliche Gewaltandrohung durch die bewaffneten Kräfte des Monarchen mit der Schuldknechtschaft der höchsten sakralen Instanz komplementär zu ergänzen. Da die Priesterklasse jahrhundertelang maßgeblich an der Erziehung der Jugend beteiligt war, konnte sie sich in dieser Funktion eine Gewalttätigkeit anmaßen, die ihr ansonsten durch das exekutive Primat der weltlichen Herrscher vorenthalten blieb.

Als integrale gesellschaftliche Funktionselite verkörpert der Klerus, der einen Bischof wie Mixa hervorbringt, auch heute diesseitige Machtinteressen. Ohne die erhebliche Privilegierung durch den Staat wäre die nach wie vor einflußreiche Stellung der Amtskirchen absehbar gefährdet, also dienen sich Priester weiterhin Interessen an, deren Geschäft so unheilig ist, daß es kein noch so strahlender Heiligenschein überblenden kann. An diesem Problem rührt die Debatte um den Zusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie nicht, sie dient eher der Modernisierung des katholischen Priestertums zwecks Erhalts dieser Vermittlungsinstanz. Wenn führende Kleriker wie Ratzinger und Mixa das Elend im kapitalistischen Weltsystem in der Gottlosigkeit verorten, anstatt sich kompromißlos auf die Seiten der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu stellen, wenn sie emanzipatorische und soziale Bewegungen in der eigenen Kirche, die sich nicht mit dem angebotenen Erlösungsversprechen bescheiden wollen, bekämpfen, anstatt sie zum Vorbild für gelebtes Christentum zu erklären, wenn sie den Akteuren einer aggressiven Kriegführung Gewissenserleichterung verschaffen, um sie kampffähig zu halten, anstatt sie zur Abkehr von jeglicher offensiver Gewaltanwendung zu ermutigen, wenn sie die Anhänger anderer Religionen herabsetzen, anstatt jedem Menschen seinen eigenen Glaubensweg zuzugestehen, dann erweisen sie sich als Fleisch vom Fleische eines Schuldherrn, ohne den die Schuld als Mittel dauerhafter Einschüchterung und Unterdrückung ausgedient hätte.

Es ist daher kaum paradox, daß die Pädophilievorfälle zwar das Ansehen der katholischen Kirche erschüttern, die darüber geführte Debatte ihr jedoch durch die Hintertür eines zivilreligiösen Puritanismus geradewegs in die Hände spielt. Die sich an den bekannten Vorfällen aufrichtende Moral ist von entschieden restaurativer Art, wie die Versuche belegen, die offenkundigen Errungenschaften reformpädagogischer Erziehung mit dem Bade einzelner Mißbrauchsfälle auszuschütten und die Nähe zwischen Erwachsenem und Kind so sehr unter Verdacht der sexuellen Ausbeutung zu stellen, daß die vom Verhältnis zwischen erwachsener Autorität und kindlichem Lernbedürfnis erwachsende Leiblichkeit von Angst und Schuld bestimmt ist.

Dies gelingt um so besser, als die "sexuelle Revolution", von der Mixa in der Absicht spricht, den Hort der Sünde mit emanzipatorischen Ansprüche in eins zu setzen, im Sinne einer Umwälzung repressiver Verhältnisse ausgeblieben ist. Unter dem Anspruch der Liberalisierung zwischen- und gleichgeschlechtlicher Sexualität werden Verwertungsinteressen vorangetrieben, die Menschen zu Objekten ihrer warenförmigen Ausbeutung machen, anstatt einen Freiraum zu eröffnen, wie er einst mit der Befreiung der Sexualität von jeglichem Eigentums- und Dominanzanspruch gemeint war. Wie utopisch dieses Anliegen auch immer war, so ging es dabei niemals um die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen, von Ehefrauen, Zwangsprostituierten und sogenannten Sexarbeitern.

Wenn heute in einem linken Informationsportal wie Indymedia unter dem Bild und Name eines Mannes behauptet wird, er sei ein von der Polizei beinahe schon überführter Sexualtäter, dann geht die Saat der auf Schuld und Vergeltung basierenden Moral eben dort auf, wo es für sie bislang kaum fruchtbaren Boden gab. Dem Problem sexueller Gewalt mit Hilfe staatlicher Ordnungskräfte entgegenzutreten und Internetpranger gegen Kinderschänder einzurichten heißt, gegenüber dem Primat der Natur zu kapitulieren, anstatt sich grundlegende Gedanken nicht nur über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, sondern der allgemeinen Affinität des Menschen zu Raub und Zerstörung zu machen. Mit derartigen Entwicklungen wird die Moral, auf der die repressive Doktrin christlicher Kirchen wie anderer Religionen basiert, gestärkt, auch wenn dies unter anderem Vorzeichen erfolgt.

Gefragt nach der Affäre Mixa erklärte Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken:

"Nur weil es, wie wir wissen, Kindesmissbrauch massenhaft in Familien gibt, ist das kein Argument gegen Familien. Es gibt das in Schulen; das ist kein Argument gegen Schulen. Man muss Regeln ändern, man muss Transparenz schaffen, man muss aufklären, das gesellschaftliche Bewusstsein für die Gefährdung von Kindern muss sich verändern, wir brauchen eine neue Diskussion, was das wirklich ist, selbstbestimmte, selbstverantwortete Sexualität, wir müssen auch über die gesellschaftlichen Verhältnisse, über die gesellschaftliche Atmosphäre reden, in denen das passiert, wir müssen neu reden über die Geschichte der Pädagogik, denn was da in der Kirche passiert ist, ist ja Teil einer allgemeinen Geschichte, einer autoritären, einer schwarzen Pädagogik."
(Deutschlandfunk, 23.04.2010)

Diese Pädagogik droht wieder hegemonial zu werden. Dies erfolgt, wie am fruchtbaren Nebeneinander puritanischer und pornografischer Kultur in den USA zu sehen, als herrschaftsförmiges Regulativ einer sexualisierten bis sexistischen Kultur, in der die Lust am Warenfetisch entzündet und der Mensch am bloßem Konsum erschöpft wird, um ihm den Zahn des Eigensinns und Aufbegehrens zu ziehen. Der Rücktritt eines prügelnden Bischofs trägt da bestenfalls zur Beschwichtigung des Verdachts bei, daß es bei diesem Kulturkampf um mehr geht als den Schutz wehrloser Kinder.

23. April 2010