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HERRSCHAFT/1548: Affirmation über alles ... die politisch nützliche Partykultur (SB)



Die Suche nach den Schuldigen für die Tragödie von Duisburg bleibt ohne die Frage nach dem politischen Nutzen derartiger Mega-Events unvollständig. Die offensichtlichen Mängel bei der Vorbereitung der Love Parade allein mit schnellen Kommerz zu erklären greift zu kurz, scheuen die Behörden der Bundesrepublik bei Massenansammlungen in der Regel doch keinen Aufwand, um die dabei entstehenden Gefahren gering zu halten. Das gilt nicht nur für die allwöchentlichen Fußballspiele, zu denen Zehntausende zum Teil miteinander verfeindete Fans auflaufen, ohne daß es zu ähnlichen Katastrophen kommt. Bei politischen Demonstrationen, für die nur ein Bruchteil der 1,4 Millionen Menschen zu mobilisieren sind, die in Duisburg Party gemacht haben, sind die Sicherheitsauflagen der Polizei mitunter so restriktiv, daß eventuelle Anmelder schon im Vorfeld abgeschreckt werden und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit gar nicht erst in Anspruch nehmen.

Seit Jahren finden Mega-Events mit mehreren Hunderttausend Besuchern statt. Sie strömen zu Silvester, zur Love Parade oder zum Public Viewing bei der Fußball-WM zusammen, weil das in der Masse aufkommende Wir-Gefühl eine rauschhafte Qualität eigener Art hat. Das muß nicht heißen, daß man mit dem anderen mehr zu tun hätte als im alltäglichen Kontakt, es verhält sich eher umgekehrt. Wie die Raver gezeigt haben, die über bereits am Boden liegende Personen hinwegtrampelten, ohne ihnen aufzuhelfen, gilt die namensgebende Liebe vor allem dem eigenen Leben oder vielleicht noch dem des Freundes oder der Freundin. Zweifellos haben viele Besucher in Not geratenen Menschen geholfen, indem sie sie aus der Masse zogen oder sich an Wiederbelebungsversuchen beteiligten. Der Gemeinschaftsgeist der Party verbleibt jedoch im Konsens gegenseitiger Versicherung, wie toll man sich fühlt und wie gut man sich amüsiert. Er ist bei weitem nicht so entwickelt wie die Solidarität, die auf einer Demonstration herrscht, deren Teilnehmer von vornherein wissen, daß sie sich für ein nach realpolitischen Maßstäben aussichtsloses Unterfangen einsetzen.

Der vor wenigen Wochen das Land durchwogende Party-Patriotismus stiftete ein Wir-Gefühl, das unter dem Banner der Nationalfarben nur so lange spielerisch bleibt, als man nicht mit den Anhängern einer anderen Fahne, die in ihrer Nationalbegeisterung nicht minder aufgeputscht sind, aufeinanderprallt. Die Emphase der Masse kann sich, wenn einmal auf ein bestimmtes Feindbild losgelassen, schnell in mörderische Aggression verwandeln. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, in denen Menschen einander umbrachten, die jahrzehntelang gute Nachbarn waren, nur weil sie plötzlich einer anderen Ethnie zugeordnet wurden, haben hinlänglich bewiesen, welche Energien unter der dünnen Haut zivilisierten Umgangs darauf warten, freigesetzt zu werden.

Die Mega-Party ohne Nationalfahnen ist ein politisch nicht minder erwünschtes Ereignis. Sie schafft auf kostengünstige Weise Zustimmung, wo ansonsten antagonistische Bewegungen an den Grundfesten der herrschenden Ordnung rütteln. Während im letzteren Fall nicht genügend Polizisten aufmarschieren können, um die Demonstranten in Wanderkessel zu sperren, damit sie bloß von der Bevölkerung isoliert bleiben, um stacheldrahtbewehrte Zäune zu schützen, hinter denen sich die gemeinten Politiker und Wirtschaftsbosse verbarrikadieren, um sogenannte Rädelsführer mit Greiftrupps aus Demonstrationszügen zu holen, die eigens mit Auflagen wie dem Verbot von Seitentransparenten für derartige Manöver zugerichtet werden, bleibt das Party- und Festivalpublikum in den umfriedeten Arealen, in die es sich freiwillig begibt, unbehelligt .

Wo es um nichts weiter als den Konsum eines guten Gefühls geht, braucht kein annähernd so hoher Aufwand betrieben werden wie im Falle eines politischen Protests, dessen Stimme notfalls mit Gewalt unterdrückt wird. Die 19 Toten und vielen Verletzten von Duisburg sind nicht nur Opfer einer gleichgültigen und desolaten Organisation, ihr Schicksal ist im Kalkül möglicher Schäden und deren Begrenzung stets enthalten. Zu Katastrophen bei Massenansammlungen kommt es immer wieder, deshalb verzichtet man nicht auf sie. Bei der Flugschau in Ramstein 1988 kamen 70 Menschen ums Leben, bis zu Tausend wurden verletzt, weil man Demonstrationen kriegerischer Stärke trotz des bekannten Risikos für wichtiger hielt als das Leben der Zuschauer. In Duisburg wurden im Vorweg Bedenken ob der Tauglichkeit des Geländes der Love Parade laut, ohne daß man die Folgen ernsthaft in Betracht zog. Ob mit oder ohne Patriotismus, die Party muß gerade dann, wenn die sozialen Widersprüche an die Oberfläche drängen, immer bunter und dröhnender weitergehen.

25. Juli 2010