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HERRSCHAFT/1556: Erst einseifen, dann über den Tisch ziehen - Mappus' Strategie für Stuttgart 21 (SB)



Der baden-württembergische Ministerpräsident Stephan Mappus beleidigt die Intelligenz der Stuttgart-21-Gegner, wenn er die Proteste gegen das cäsarische Bahnprojekt als bloßes Vermittlungsproblem abtut. In einem Offenen Brief vom heutigen Samstag an die Stuttgarter Zeitung plädiert der "Landesvater" dafür, es solle ein Rahmen dafür geschaffen werden, damit "der Dialog möglich wird" und wieder "Sachargumente" die Debatte bestimmen. Seine Hand sei zum Dialog ausgestreckt.

Wenn jemand den anderen über den Tisch ziehen will, streckt er ebenfalls die Hand aus. Und denjenigen vorher einzuseifen, diente der Beschleunigung des Vorhabens. Beides wird hier vorgeführt. Dabei ist es Mappus, der sich wieder und wieder Sachargumenten und Dialogaufforderungen verschlossen hat. 100.000 Demonstranten an nur einem einzigen Tag, die in Form ihres Aufmarsches an die Regierung appellieren, endlich zur Besinnung zu kommen, den Bauwahn auszusetzen und zuzugeben, daß man mit einer derartigen Kostenexplosion für Stuttgart 21 nicht gerechnet hat - das kann man wirklich nicht als Ausdruck einer Dialogverweigerung bezeichnen. Die Bewegung muß auch nicht "Atem holen", wie der Ministerpräsident vorgeschlagen hat, da sie gar nicht aus der Puste ist. Im Gegenteil, sie gewinnt an Wucht und sollte sich weder ausbremsen lassen noch auf die Schmierseife treten, die derzeit kübelweise ausgeschüttet wird.

Die Befürworter von Stuttgart 21 haben kein Vermittlungsproblem, sondern das Problem, daß die Bürgerinnen und Bürger zu gut informiert und nicht weiter bereit sind, sich bevormunden zu lassen. Deshalb birgt das Projekt das Potential, als Brandbeschleuniger einen bundesweiten Flächenbrand, bei dem gegen andere Größenwahnprojekte der Regierenden protestiert wird, auszulösen. Anlässe dafür gab und gibt es zuhauf: Elbphilharmonie in Hamburg, Kongreßzentrum in Bonn, Stadtschlößchen und A100 in Berlin, Schauspielhaus Köln, Landtag in Hannover, Flughafenerweiterung von Frankfurt am Main, Münchens Bewerbung für die Winterolympiade 2018 ...

Offenbar glaubt der Ministerpräsident Baden-Württembergs an die Kraft des Mantras und fordert nun immer wieder zum Dialog auf - bekanntlich ist auch das eine Art, dem anderen nicht zuzuhören. 67.000 Unterschriften hatte eine Initiative gegen Stuttgart 21 gesammelt, doch der angestrebte Bürgerentscheid wurde vom Gericht abgelehnt. Ein solcher Vorgang ist aber nicht nur juristisch zu bewerten. 67.000 Personen, die bereit waren, mit ihrem Namen gegen das Projekt einzustehen, sind keine vernachlässigbare Größe im Meinungsbild der Bevölkerung.

Wenn Mappus schreibt, er stehe dafür ein, um "mit moderner Kommunikation anschaulich zu informieren, die Vorteile darzulegen, die schwierigen Abwägungsprozesse zu vermitteln und aufzuzeigen, welche Chancen sich durch 'Stuttgart 21' ergeben", dann unterstellt er den Kritikern, sie hätten nicht begriffen, um was es geht. Das Gegenteil trifft zu, genau das ist die Crux. Es existieren wesentlich kostengünstigere, wohldurchdachte Alternativvorschläge, bei denen der Stuttgarter Hauptbahnhof ein Kopfbahnhof bleibt und nicht tiefergelegt würde. Diesem konstruktiven Dialogangebot hat sich die Regierung, die ja nicht einmal auf den Expertenrat aus dem Umweltbundesamt, die eine vernichtende Kritik an der Konzeption üben, verweigert.

Statt wenigstens einmal über den eigenen Schatten zu springen und Einsichtigkeit zu zeigen, verhalten sich Bahn, Stadt und Landesregierung wie ein kleines Kind, dem seine Spielsachen weggenommen werden sollen. Mappus hat nun einen sogenannten Mediator ins Spiel gebracht, den CDU-Politiker Heiner Geißler. Gladiator wäre die treffendere Bezeichnung, denn der gewiefte Politiker kennt das Geschäft.

Er soll die Protestbewegung spalten - kein aussichtsloses Unterfangen angesichts der unterschiedlichen Interessen, die sich hier zu einem gemeinsamen Ziel zusammengefunden haben. Ein Paradebeispiel für die Taktik des Teilens und Herrschens. Schon immer war die Teilbarkeit der Menschen Voraussetzung, um Herrschaft ausüben zu können. Das könnte auch in diesem Fall greifen, Absetzbewegungen gegenüber anderen Protestteilnehmern sind tief in der bürgerlichen Bewegung angelegt.

Sollten die Stuttgart-21-Gegner den Vorschlag Mappus' zu einer "Dialogagenda" aufgreifen und in zahlreichen Debattierclubs zu einzelnen Aspekten des Projekts - der Ministerpräsident listet auf: "die Gestaltung des Schlossgartens, Aspekte der Geologie und Schutz der Mineralquellen, technische Fragen und Sicherheitsthemen, Optimierungen im künftigen Nahverkehr, Baustellenmanagement und Anwohnerschutz, das Kostenmanagement, die Barrierefreiheit an Bahnsteigen und Gebäuden" - wäre die Bewegung zerhackstückelt und verlöre an Durchschlagskraft. Ein Thema, um das es den Gegnern eigentlich geht, hat Mappus wohlweislich unterschlagen: Der Hang verstockter Politiker zu Prestigeprojekten wie Stuttgart 21.

9. Oktober 2010