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HERRSCHAFT/1565: Kristina Schröder ... die Sarrazine im Kabinett Merkel (SB)



Das Bundesfamilienministerium wartet mit einer Studie auf, laut der Jugendliche muslimischen Glaubens öfter gewaltbereit seien als ihre nichtmuslimischen Altersgenossen. Die zuständige Ministerin Kristina Schröder nimmt die von ihr in Auftrag gegebene Untersuchung zum Anlaß, vor "falschen Tabus" zu warnen, und unterstellt eine "gewaltverherrlichende Machokultur bei einigen jungen Muslimen, die auch kulturelle Wurzeln hat" [1]. Der von ihr hergestellte "Zusammenhang zwischen Religiosität, Machonormen und Gewaltgeneigtheit" soll im Klartext eine kausale Verknüpfung zwischen sozialen Problemen migrantischer Jugendlicher und einem angeblich grundsätzlich gewaltaffinen Islam herstellen.

Religion sei Teil der Kultur, und Kultur präge Verhalten, lautet die formelhafte Verkürzung eines Weltbilds, das von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren nichts wissen will. Schon der Ansatz, die Verhaltensweisen eines religiös definierten Kollektivs zu untersuchen, anstatt die Situation Jugendlicher in den Kontext ihrer jeweiligen Lebenschancen zu stellen, läßt auf die Absicht der Stigmatisierung einer ganz bestimmten Gruppe in Deutschland lebender Menschen schließen. Nicht umsonst wird die Anprangerung muslimischer Jugendlicher durch Schröders wiederholt aufgestellte Behauptung gekrönt, daß von ihnen eine besondere Feindseligkeit gegen "Deutsche" ausgehe, bei denen es sich wohl kaum um Bundesbürger türkischer Herkunft handeln kann. Allein die vom republikanischen Staatsbürgerbegriff abgehobene Darstellung eines vermeintlichen Konflikts zwischen "ethnischen", "weißen" oder sonstwie in Schröders Sinne als "Deutsche" ihres Schlages zu bezeichnenden Jugendlichen und solchen "mit Migrationshintergrund", wie es gemeinhin heißt, dokumentiert die Absicht, ganze Gruppen der Bevölkerung anhand rassistischer Zuweisungen gegeneinander auszuspielen.

Es ist weithin bekannt, daß der ursprünglich aus der Türkei stammenden Bevölkerung der Bundesrepublik von vornherein ein niedrigerer Sozialstatus zugedacht war als der der einheimischen Mehrheitsbevölkerung. Die "Gastarbeiter" sollten nicht bleiben, sondern in Zeiten relativer Vollbeschäftigung diejenigen Arbeiten kostengünstig erledigen, für die die einheimische Arbeitsbevölkerung schlicht zu teuer war. Es handelte sich um die Schaffung einer kapitalistischen Reservearmee von außen, ohne die sich den Lohnforderungen der einheimischen Arbeiter nicht wirksam entgegentreten ließ. Dieser untergeordnete Status lebt fort und hat sich durch die dauerhafte Massenarbeitslosigkeit verschärft. Auch nach mehreren Generationen sind türkischstämmige Bundesbürger sozial benachteiligt. Dazu trägt nicht zuletzt ihre anhand des im Terrorkrieg als Feindbild instrumentalisierten Islam zusätzlich aufgeladene Herabsetzung als fremdes und damit potentiell feindliches Kollektiv bei.

Schröder produziert mit einer Ideologie, deren zentrales Anliegen die Ausblendung aller gesellschaftlichen, den Klassenantagonismus betreffenden Faktoren zugunsten der Strategie des Teilens und Herrschens ist, eben das, was sie behauptet, empirisch vorzufinden. Das vermeintlich Objektive des sozialwissenschaftlichen Ansatzes erweist sich in der Kontingenz der postulierten Kausalkette, das gesellschaftliche Subjekt sei Opfer der es bedingenden Religion und Kultur, als willkürliches Konstrukt, das das empirische Ergebnis durch die Selektion miteinander zu verknüpfender Faktoren weitgehend vorherbestimmt. Eine Untersuchung, die gesellschaftliche Aufstiegschancen jugendlicher Muslime mit ihren sozialen Ausgangsbedingungen korreliert hätte, wäre zu einem ganz anderem Ergebnis gelangt, als daß ihre Religion ein maßgeblicher Faktor zur Ausbildung einer angeblichen Affinität zu gewaltsamer Durchsetzung wäre.

Mit einer ethnisch definierten Opferrolle wie derjenigen deutscher Schüler, die von türkischen oder arabischen Mitschülern aggressiv angegangen würden, eine Debatte um die Probleme Jugendlicher zu initiieren, erzeugt das absehbare Ergebnis anwachsender Feindseligkeit. Nichts könnte dem Kartell aus Staat und Kapital gelegener kommen als das virulente Zerwürfnis zwischen Mitgliedern der am meisten benachteiligten Gruppen der Gesellschaft. Auf die Gefahr hin, daß die Betroffenen dieses Spiel durchschauen und sich gemeinsam gegen den Versuch erheben, den sozialen Widerspruch zu ihren Lasten kulturalistisch umzudefinieren, wird mit Feindbildern gearbeitet, die ihr globales Äquivalent nicht von ungefähr in der Kriegführung der NATO-Staaten in Ländern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung finden. Da liegt die Verbindung zwischen der unterstellten Gewaltneigung muslimischer Jugendlicher und dem "islamistischen Terrorismus" so nahe, wie die allen Heranwachsenden ausgetriebene Klassensolidarität fern liegt.

Kristina Schröder scheint sich zusehends darin zu gefallen, als Sprachrohr Thilo Sarrazins im Kabinett Merkel diejenigen Teile der Bevölkerung an die Regierung zu binden, denen das rassistische Ressentiment ein probates Mittel ist, die Not der eigenen Misere in nationalistischen Stolz zu verwandeln. Die Vereinnahmung des Proletariats für herrschaftliche Zwecke funktioniert dann am besten, wenn ihm das Angebot gemacht wird, an der Suprematie der sie kujonierenden Herren teilzuhaben, indem ihm die Aufsicht über subalterne Gruppen zugewiesen wird. Das hat mit den Opfern des europäischen Kolonialismus, denen gegenüber sich kleine Beamte wie große Herren aufspielen konnten, ebenso funktioniert wie mit den Zwangsarbeitern im NS-Staat, an denen deutsche Arbeiter ihr chauvinistisches Mütchen kühlen konnten.

Die Aussonderung einzelner Gruppen der Bevölkerung zwecks Nachweises ihrer Delinquenz ist ein Herrschaftsmittel, dem in der Krise des Kapitals besondere Bedeutung zukommt. Während davon betroffene Menschen versuchen, ihren Protest in Berlin massenwirksam zu artikulieren, wird das Schreckgespenst des "islamistischen Terrorismus" in Stellung gebracht, um die davon angeblich ausgehende Bedrohung des Bundestags auf dessen Belagerung durch Aktivisten, die gegen das Sparpaket demonstrieren, abfärben zu lassen. Auch wenn diese Absicht nicht nachgewiesen werden kann, fällt schon auf, daß Sozialkürzungen und Eurokrise von einer angeblichen Bedrohungslage überschattet werden, mit der unausgesprochen eine einzige Antwort auf die Umlastung der Krisenfolgen auf Lohnabhängige und Versorgungsbedürftige gegeben wird. Die Republik befindet sich im undeklarierten Ausnahmezustand, und schuld daran sollen religiöser Fanatismus wie politischer Extremismus sein. Daß die Familienministerin auch noch die Definitionsmacht über die angeblichen Feinde des Staates beansprucht und diese totalitarismustheoretisch gegen links wendet, macht vollends klar, daß die Stoßrichtung der damit starkgemachten Leitkultur im Kern sozialfeindlicher Art ist.

In der Stunde der Not wird ein Feindbild mobilisiert, an das sich all das heften läßt, was anhand materieller Widersprüche auszutragen bedeutete, sich von Anbeginn an mit einem übermächtigen Gegner konfrontiert zu wissen. Es ist schlichtweg leichter und gefahrloser, den Islam zum Grund allen Übels zu erklären, anstatt sich damit auseinanderzusetzen, daß der vom Christentum geprägte Wertekatechismus keineswegs frei davon ist, für herrschaftliche Zwecke eingespannt zu werden. Doch nicht einmal so weit geht Schröders kulturalistische Analyse, daß die religiöse Letztbegründung auch in den Zusammenhang eigener Gewalt- und Raubstrategien gestellt wird. Der gegen muslimische Jugendliche gerichtete Anwurf höherer Gewaltneigung ist im mindesten Fall Ausdruck kulturkämpferischer Apologie, geht jedoch als kulturalistische Überformung sozialer Antagonismen den Weg der Verkehrung gesellschaftlicher Wirkfaktoren zuende. Indem die Ideologieproduktion kapitalistischer Vergesellschaftung Ursachen produziert, deren negative Folgen dem Islam - und wahlweise jedem anderen adäquaten Feindbild - als Kollektivschuld in Rechnung gestellt werden, versetzt sie sich in den Stand einer unhinterfragbaren Wahrheit. Die damit artikulierte Staatsräson wird denn auch nicht zufällig mit antidemokratischer Gewalt durchgesetzt.

Fußnote:

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/familienministerin-zu-jungen-muslimen-muslimisch-macho-gewaltbereit-1.1028613

26. November 2010