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HERRSCHAFT/1595: Merkels Rochade - von der Akw-Befürworterin zur -Aussteigerin (SB)



Mit ihrer heutigen Regierungserklärung zum befristeten Abschalten von sieben Atomkraftwerken in Deutschland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein politisches Bravourstück hingelegt. Es ist noch gar nicht so lange her, da stieß sie mit den Managern der vier großen Atomkonzerne das Sektglas an, um den Ausstieg aus dem Atomausstieg zu feiern, jetzt geriert sie sich wahltaktisch schlau als entscheidungsfreudige und zugleich besonnene Staatsführerin, der die Sicherheit der Bevölkerung über alles geht. Die Opposition, die der Kanzlerin ihr 180-Grad-Manöver nicht durchgehen lassen will und sich um das etliche Wählerstimmen bringende Wahlkampfthema Atomausstieg betrogen fühlt, wettert kräftig los. Doch die Kanzlerin setzt sich in der Manier ihres Ziehvaters Helmut Kohl durch: Sollen sie doch zetern, die Rotsocken und Grünhemden der Oppositionsparteien.

Mit ihrer Entscheidung hat die Kanzlerin selbst die eigene Partei und ihre Koalitionspartner überrascht. Auch sie müssen sich nun an den Einwänden gegen das Moratorium abarbeiten. Beispielsweise darf eine Regierung ein vom Parlament beschlossenes Gesetz nicht mir nichts dir nichts außer Kraft setzen. Aber sie kann unter Berufung auf das Atomgesetz Sicherheitsgründe geltend machen, um Atomreaktoren vorübergehend abzuschalten.

Auf diese Weise bleibt Merkel angesichts der für ihren atomfreundlichen Kurs äußerst abträglichen Nuklearkatastrophe von Fukushima gegenüber der Opposition in der Offensive und hat sich in die komfortable Position manövriert, daß sie nun ausgerechnet für die Abschaltung von Atomkraftwerken kritisiert wird! Die Energiekonzerne sekundieren der Kanzlerin auf zweierlei Weise, die sich nur scheinbar gegenüberstehen: Einerseits durch die rasche Erfüllung des Moratoriums. Die Akws Philippsburg-1, Neckarwestheim-1 und Isar-1 sind bereits abgeschaltet, die Abschaltung des Akw Unterweser folgt am Freitag. Das Akw Krümmel bleibt vom Netz. Andererseits geben Energiekonzerne E.on und RWE die bösen Bullen, indem sie ankündigen, rechtliche Schritte gegen das Moratorium prüfen zu wollen. Der hierdurch erzeugte wahltaktisch geschickte Eindruck: Ausgerechnet die Atom-Kanzlerin legt sich mit den Energiekonzernen an.

Da könnte die Tatsache, daß Merkel ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung von Akws durchgeboxt hat, allzu leicht in Vergessenheit geraten. Ob von den sieben älteren Akws, die nun zwecks Sicherheitsüberprüfung abgeschaltet werden sollen, einige nach drei Monaten wieder ans Netz gehen, steht keineswegs fest. Die Energieversorger könnten sehr gut mit einem Aus der Meiler leben, wenn das bedeutete, daß der Betrieb ihrer neueren Akws gesichert wird und diese womöglich länger als geplant laufen werden. Außerdem sind die sieben Akws, die vor 1980 gebaut wurden, wartungsaufwendig und kostenintensiv. Zu all dem könnte die deutsche Atomwirtschaft weltweit führend beim Rückbau von Kernkraftwerken werden. Da ist die Ingenieurskunst noch auf Jahrzehnte hinaus gefragt. Das Moratorium birgt also auch seine Vorteile für die Konzerne.

Angela Merkel handelt aber nicht nur unmittelbar wahltaktisch clever, sondern bereitet instinktsicher kommenden ordnungspolitischen Regulationen den Weg, indem sie an der administrative Sicherheitsvorwände liefernden Atomkraft festhält, sich aber vermeintlich aufgeschlossen gegenüber erneuerbaren Energien gibt. Der Tsunami und das Fukushima-Desaster werden weltweit die allgemeine Mangellage verschärfen und dementsprechend eine neue Qualität an Legitimationsvorwänden für eine Politik liefern, die bereits heute durch soziale Ausgrenzung und Nichtversorgung gekennzeichnet ist.

Der teils dramatische Anstieg der Weltmarktpreise für Erdöl, Erdgas und Nahrungsmittel wird sich auch auf das bislang relativ wohlbehütete Europa auswirken. Dazu müssen rechtzeitig die Mechanismen der zukünftigen Mangelverwaltung in Stellung gebracht werden. Schon vor einigen Jahren hatte ein britischer Minister erklärt, die Verbraucherinnen und Verbraucher müßten sich darauf einstellen, daß sie in Zukunft nicht immer alles in den Supermarktregalen vorfänden.

Die Dürre in Rußland im Sommer 2010, die Überschwemmungen in Pakistan, Australien, Bangladesh und anderen Ländern sowie das aktuelle Erdbeben in Japan treten in einer Zeit auf, in der bereits allgemeiner Ressourcenmangel herrscht oder sich zumindest am Horizont abzeichnet. Wie gefährlich dies aus der Sicht der herrschenden Kräfte ist, zeigen die unter anderem durch hohe Lebensmittelpreise befeuerten Revolten in den arabischen Ländern. Eine ähnliche Massenbewegung in Deutschland gegen die Atompolitik wäre das letzte, was die Regierungskoalition gebrauchen kann. Darum hat sich Merkel an die Spitze der Anti-Akw-Bewegung gestellt und ein Moratorium gegen ein von ihr zuvor beschlossenes Gesetz verhängt. Eine Abkehr von der Atomtechnologie sähe jedoch anders aus.

17. März 2011