Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1656: Teilen und Herrschen - IWF-Chefin spielt Verelendungsopfer gegeneinander aus (SB)




Die Zeiten diplomatischer Mehrdeutigkeiten sind endgültig vorbei. IWF-Chefin Christine Lagarde packt die Instrumente aus und sagt, was jenen blüht, die sich nicht an die Anweisungen der immer mehr als Triade denn als Troika in Erscheinung tretenden Krisenmanagern von IWF, EZB und EU-Kommission halten. Daß es in Griechenland zahllose Menschen gibt, die hungern und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung mehr haben, läßt die Dame kalt. Sie mache sich mehr Sorgen um die Kinder in einem kleinen Dorf in Niger, die sich zu dritt einen Stuhl teilten und nach Bildung strebten, ohne sie zu erhalten. Das schlimmere Elend mit dem weniger schlimmen zu vergleichen, um frei von jeder eigenen Verpflichtung zu bleiben, dafür aber um so einhelliger Forderungen an die Betroffenen erheben zu können, gereicht der französischen Finanzpolitikerin zwar nicht zur Ehre, empfiehlt sie aber als Zuchtmeisterin und Expertin fürs Grobe.

Die Tage, wo der angeekelte Charme der Bourgeoisie noch diskret daherkommen mußte, sind lange vorbei. In der postmodernen Klassengesellschaft mit ihren Heerscharen an billigen und willigen Lohnsklaven kann die bessere Gesellschaft gegenüber den Habenichtsen und sogenannten Verlierern, wenn diese überhaupt die Schwelle distinguierter Ignoranz, mit der man die dienstbaren Geister in ihrer Nichtigkeit bestätigt, überschreiten, wieder das ganze Gift versprühen, das im Stachel zu führen Erkennungsmerkmal der chosen few ist. Eine Elendsexistenz gegen die andere auszuspielen, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, wie es diesen Menschen geht, ist geradezu eine Empfehlung für das Bekleiden höchster Ämter kapitalistischer Herrschaftsicherung. Christine Lagarde ist dort angekommen, wo das vornehme Herabblicken auf die schwarzen Kinder, für deren vorzeitigen Tod in der glühenden Hitze ausgeplünderter Ödländer schon einmal ein Träne im Knopfloch zerdrückt werden darf, während den europäischen Hilfsvölkern mehr Peitsche und weniger Karotte zuteil werden muß, um die Räson der Umverteilung von unten nach oben alternativlos zu machen, zur Grundausstattung des Teilens und Herrschens gehört.

Lagarde läßt mit der im Interview mit der britische Tageszeitung The Guardian getroffenen Ankündigung, daß die fetten Zeiten in Griechenland und anderswo in Europa vorbei seien, keinen Zweifel daran, was die Stunde geschlagen hat. Die Impertinenz, die Steuerflucht der griechischen Oligarchen und Eliten in eine kollektive Bezichtigung der ganzen Bevölkerung ummünzen, erfüllt ihren Zweck denn auch in der Verdichtung der Ohnmacht der darüber zu Recht empörten Adressaten. Demgegenüber zu erklären, daß man sein Leben lang hart gearbeitet und seine Steuern gezahlt hat, um die dabei angesparte Rente nun auf dem Altar des Spardiktats verbrennen zu sehen, appelliert an ein Gerechtigkeitsempfinden, das der sozialen Realität der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht fremder sein könnte.

Die Logik einer Sparpolitik, die das Gros der Menschen unter der erklärten Absicht ärmer macht, diese Ordnung unter allen Umständen erhalten zu wollen, läßt nur den Schluß zu, daß die der Kapitalakkumulation konstitutiven Klassenwidersprüche verschärft werden sollen, um mit der Peitsche des Mangels verbliebene Produktivitätsreserven zu mobilisieren. Nicht Gerechtigkeit, sondern Unterdrückung ist die Agenda, nach der darüber entschieden wird, wer noch dazugehört und wer in den Orkus nicht rentabler und damit nicht mehr lebensberechtiger Menschen fällt. Lautete das Versprechen des neoliberalen Kapitalismus bislang, daß auch die Armen davon profitieren, wenn das gesamtgesellschaftliche Produkt anwächst, so wird heute offen ausgesprochen, daß es jetzt um die Organisation der Verluste geht. Die daraus resultierende Mangelordnung garantiert gesellschaftlichen Zusammenhalt nurmehr durch die Schockwirkung der Brüche, die sich in der Substanz produktiver und reproduktiver Lebenssicherung immer deutlicher abzeichnen. Anwachsende Überlebenskonkurrenz und massive Repression sind die Antwort des Krisenmanagements auf die Forderung, es müsse doch um Menschen und nicht um Kapitalinteressen gehen.

Wenn Menschen, die nichts auszustehen haben und denen die Reflektion der eigenen Klassenherrschaft Anathema ist, offen verkünden, daß man sich keine Hoffnung auf soziale Besserstellung mehr zu machen braucht, dann geht man nicht fehl in der Annahme, daß damit auch die Aufgabe demokratischer Willensbildung zugunsten staatsautoritärer Verhältnisse gemeint ist. Die suprastaatlich modifizierte Staatenkonkurrenz, die die griechische Bevölkerung zum Popanz westeuropäischer Eliten werden läßt, läßt erkennen, daß die Überwindung der europäischen Staatenkriege des 19. und 20. Jahrhunderts im sozialen Krieg des 21. Jahrhunderts auferstanden sind. Der dadurch qualifizierten Verfügungsgewalt von Staat und Kapital sollen die Menschen nichts entgegenzusetzen haben als ihre Spaltbarkeit, und nicht zuletzt die IWF-Chefin beweist, daß diese Strategie bislang aufgegangen ist.

27. Mai 2012