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HERRSCHAFT/1736: Vergessen, aber nicht vorbei ... die Herrschaft des Patriarchats (SB)



Nichts Neues aus dem Hause Trump, aber das besonders vulgär und verletzend. Was sich der US-Präsidenschaftskandidat mit den nun bekannt gemachten Aussagen aus dem Jahr 2005 geleistet hat, macht es jeder Frau schwer, ihm ihre Stimme zu geben. Das in seinen Macho-Attitüden hervortretende Prinzip patriarchaler Herrschaft jedoch bleibt weiterhin außerhalb des Radars der öffentlichen Debatte, umfaßt es doch weit mehr als nur geschlechtsspezifische Gewaltverhältnisse. Zu unrecht vergessen, weil in einer Welt formalrechtlicher Gleichstellung von Frau und Mann scheinbar irrelevant, oder aber gezielt ignoriert als zu überwindender Mißstand eines Feminismus alter linker Schule, dem noch selbstverständlich war, daß es keine Geschlechtergerechtigkeit ohne soziale Gleichheit geben kann, durchwirkt es auch Beziehungen zwischen Menschen und sogar zu nichtmenschlichen Lebewesen, die auf den ersten Blick nichts mit Gender und Geschlecht zu tun haben.

Was im konkreten Sexismus eines Trump Gefahr läuft, als allein physisch bestimmtes Verhältnis von Dominanz und Unterlegenheit eine biologistische Schlagseite zu erhalten, ist in einer von Männern dominierten Gesellschaft kapitalistischer Ausbeutung, imperialistischer Kriegführung und ökologischer Zerstörung strukturell so tief verankert, daß auch Frauen zu ausführenden Organen patriarchalischer Gewalt werden können. Ihnen mit einer Politik des Gender Mainstreaming gleichberechtigten Zugang zu allen Berufen zu verschaffen und ihre Diskriminierung wo auch immer zu unterbinden kann, muß aber nicht gleichbedeutend sein mit dem Kampf gegen ein Patriarchat, das nicht nur Frauen unterdrückt. Es kann durchaus Männer und sich nicht in den Kategorien bipolarer Geschlechtlichkeit einfindende LGBTIQ-Menschen in Mitleidenschaft ziehen, wenn sie unter massivem sozialen Druck und mit diskriminierender Sprache auf maskuline Ideale der Härte, des Durchhalte- und Durchsetzungsvermögens und der Bereitschaft, Grausamkeiten aller Art zu verüben, unterworfen werden.

Zerstört die Pilotin eines US-Kampfbombers ein afghanisches Haus und bringt dabei Frauen und Kinder um, dann kann damit kaum deren Befreiung von islamischer Männerherrschaft gemeint sein. Mit diesem Ziel jedoch hat Trumps Konkurrentin Hillary Clinton die Kriege der USA in mehrheitlich islamischen Staaten gerechtfertigt, und sie ist nicht alleine damit, mörderische militärische Gewalt mit dem Schutz gesellschaftlicher Minderheiten und der Durchsetzung von Menschenrechten zu legitimieren.

Weniger konkret nachvollziehbar, aber nichtsdestotrotz von massiver patriarchaler Gewalt bestimmt ist die große Nähe der Präsidentschaftskandidatin zu den transnationalen Konzernen und großen Kapitalinvestoren mit Standort in den Vereinigten Staaten. Die Zerstörung kleinbäuerlicher Landwirtschaft und massenhafter Hungertod sind Resultate des extensiven Flächenverbrauchs, der zur Produktion von Agrosprit oder Viehfutter in Nordamerika und Westeuropa erforderlich ist. Landraub und Extraktivismus mit allen katastrophalen Folgen für die lokalen Bevölkerungen im Globalen Süden stehen auch am Anfang der Geschäfte von Minengesellschaften und anderen Rohstoffkonzernen. Die Lohnsklaverei der Subunternehmen, die die materielle Basis der Mehrwertproduktion in den Metropolengesellschaften Nordamerikas und Westeuropas schaffen, beschert vor allem Frauen und Kindern ein kurzes Leben voller Entbehrungen.

Für all diese Entwicklungen zeichnen auch Frauen, wenn auch in sehr viel geringerer Zahl als Männer, verantwortlich. Eine Debatte um die stärkere Berücksichtung weiblicher Bewerberinnen für Führungspositionen in großen Unternehmen zu führen, ohne Kritik an den qualitativen Ergebnissen ihrer Geschäfte zu leisten, drückt nichts anderes aus als den Anspruch auf mehr Partizipation an patriarchaler Herrschaft. Daß in der manifesten Krise des Kapitals durch rechte Bewegungen in der EU wie den USA versucht wird, die körperliche Integrität der Frau durch neue Abtreibungsverbote einzuschränken und sie wieder auf die Rolle der gebärenden und nährenden Mutter festzuschreiben ist nicht minder dem Zusammenhang von geschlechtsspezifischer Rollenzuweisung und einer sozialen Reproduktion, in der die autoritäre Kleinfamilie wieder Keimzelle für Krieg und Fabrik sein soll, geschuldet.

Um so wichtiger für eine emanzipatorische Entwicklung wäre eine Debatte, die den biologistischen Affront, Geschlecht ausschließlich physisch zu bestimmen und nicht den strukturellen Charakter männlicher Dominanz auf den Nenner eines umfassenderen wie durchgängigeren Herrschaftsprinzips zu bringen, kritisch aufarbeitet. Die Empörung über Trumps Frauenfeindlichkeit verpufft nur dann in moralischer Überhitzung, wenn der patriarchalische Charakter staatlicher Herrschaft über die Lebens- und Sterbensverhältnisse von Millionen ignoriert wird. So spezifisch seine verletzenden Anwürfe gegen Frauen gerichtet sind, wenn er Herrenmaß an ihrer Leiblichkeit, ihrem Alter oder ihrem Aussehen [1] nimmt, so sehr die sexistische Wucht seines Auftretens den Habitus des Vergewaltigers repräsentiert, so wenig sind die Attribute dieses Dominanzstrebens von der sozialen und politischen Krise jener Kultur und Gesellschaft zu lösen, in der er zum illustren Unternehmer und reichen Immobilienmagnaten aufgestiegen ist.

Ansonsten wäre es nicht möglich, daß ein Donald Trump auch nur in die Nähe einer Präsidentschaftskandidatur käme. Hillary Clinton wiederum könnte kaum den ihr zugeschriebenen Bonus einer Vorkämpferin für Frauenrechte in Anspruch nehmen, würde einmal die Bilanz ihrer bisherigen politischen Aktivitäten für die sozialen Kämpfe von Frauen gezogen. Beide verkörpern mithin die Gewaltverhältnisse, derer sie sich zu bemächtigen trachten, auf adäquate Weise.


Fußnoten:

[1] http://www.n-tv.de/politik/Fehltritte-gegenueber-Frauen-haben-Tradition-article18819601.html

9. Oktober 2016


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