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HERRSCHAFT/1743: Auf diesen Stein bauen? (SB)



"Ganz Europa fällt ein Stein vom Herzen", tönt SPD-Chef Sigmar Gabriel nach Bekanntwerden des Ergebnisses der österreichischen Präsidenschaftswahl, als spiegele die Polarisierung einer Bevölkerung bei Wahlen tatsächlich die sozialen Kämpfe einer Klassengesellschaft. Das glauben zu machen schafft zwar demokratische Legitimation, ändert aber nichts an Gewaltverhältnissen, für die nicht nur die parlamentarische Rechte verantwortlich zeichnet. An diesem Stoßseufzer der Erleichterung zeigt sich vor allem das schlechte Gewissen der Sozialdemokratie, für den Aufstieg des Rechtspopulismus in der EU mitverantwortlich zu sein.

Daß die Saat der nationalistischen und rassistischen Agitation von FPÖ über AfD bis zum Front National in diesem Fall nicht aufgegangen ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die FPÖ inzwischen über eine solide Wählerbasis von bis zu einem Drittel der Wahlberechtigten bei Urnengängen auf allen Ebenen des Landes verfügt. Die SPÖ hingegen schied mit ihrem Kandidaten, auf den lediglich etwas mehr als elf Prozent der Stimmen entfielen, bei dieser Präsidentschaftswahl schon im ersten Wahlgang aus, und es bedurfte mit Alexander Van der Bellen eines das liberale Bürgertum repräsentierenden Grünen, um den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer von der FPÖ in die Schranken zu weisen.

Insofern sollte Gabriel die Kirche im Bundesdorf lassen, wo die SPD bei allem Bemühen, die deutsche Staatsräson zu ihrem Markenkern zu machen, ohne die Unionsparteien keine Bundesregierung stellen kann. Gabriels Freude über das Wahlergebnis in Österreich dürfte auch einem möglichen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gewidmet sein, muß dieser doch nicht zusammen mit Hofer gute Miene zum bösen Spiel machen wie in der Ukraine, als sich der deutsche Außenminister bei dem Versuch, den Euromaidan für die hegemonialen Zwecke der Bundesrepublik einzuspannen, mit dem Chef der neofaschistischen Partei Swoboda, Oleg Tjagnibok, den Fotografen präsentierte. Bei soviel imperialistischer Realpolitik kann es nicht verwundern, daß Steinmeier wenn schon nicht die politische, dann nicht einmal die menschliche Größe hatte, der kubanischen Bevölkerung zum Tode Fidel Castros zu kondolieren. Die Rechnung mit dem kommunistischen Feind wird erst beglichen sein, wenn niemand mehr weiß, was das Wort "Kommunismus" in seiner grundsätzlichen Intention überhaupt bedeutet.

Mit rechten Kräften zu Lasten der radikalen Linken zu paktieren und eine Politik zu betreiben, die die Lohnabhängigenklasse in die Fänge rechtspopulistischer Demagogen treibt, ist spätestens seit der gescheiterten Novemberrevolution vor knapp hundert Jahren eine Strategie, derer sich die traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie immer wieder bedient. Die Burgfriedenpolitik der SPD während des Ersten Weltkriegs und ihr Kampf gegen die revolutionäre Bevölkerung zugunsten der nationalkonservativen Restauration des Reiches machten den Weg frei für den Aufstieg der NSDAP, der sich die Sozialdemokraten dann bei allen Verdiensten um den Widerstand gegen Hitler nicht entschieden genug in den Weg stellten.

Den neoliberalen und imperialistischen Kurs der Europäischen Union tragen europäische Sozialdemokraten seit jeher maßgeblich mit. So wurde mit dem programmatischen Gleichschritt zwischen Gerhard Schröder und Tony Blair zu einer Zeit, als in der EU mehrheitlich sozialdemokratische Regierungen an der Macht waren, das Fundament einer sozialfeindlichen Austeritätspolitik gelegt, die Freisetzung des Industriekapitals für den Finanzmarkt vorangetrieben und der Überfall der NATO auf Jugoslawien möglich gemacht. Was bei konservativen Regierungen auf weit größeren Widerstand gestoßen wäre, wurde mit New Labour und der rot-grünen Bundesregierung auf eine Art und Weise durchgesetzt, die den seitdem kontinuierlich verlaufenden Aufstieg nationalkonservativer und rechtsradikaler Kräfte schon in Ermangelung noch glaubwürdiger Alternativen begünstigt.

Ein Gabriel, der die monetaristische Politik der EZB mit Nachdruck gegen deren Kritikerinnen verteidigt [1], der die zaghafte Kritik der Linkspartei an der EU sogleich zum Anlaß nimmt, sie in ein Boot mit der AfD zu stecken und somit mundtot zu machen [2], der die Ausplünderung Griechenlands, nationalistische Standortpolitik und die Privatisierungslogik der Freihandelsabkommen [3] ebenso mitträgt wie die sozialökologische Zerstörung durch fortgesetzte Kohleverstromung und die massive militärische Aufrüstung der Bundesrepublik, ist denn auch ein schlechter Bundesgenosse im Kampf gegen Rechts. Solange Sozialdemokraten den falschen Eindruck erwecken, mit kleinen sozialen Wundpflästerchen etwas für die erwerbsabhängige Bevölkerung zu tun, während sie die kapitalistische Eigentumsordnung nicht nur freihalten, sondern in ihrer menschen- und naturfeindlichen Verschärfung vorantreiben, unterstützen sie objektiv den Aufstieg eines Rechtspopulismus, auf den eine Bevölkerung hereinfällt, die tatsächlich keinen Grund hat, sozialreformerischen Verheißungen von links noch irgendeinen Glauben zu schenken. Es bedarf schließlich keiner besonders tiefgreifenden Analyse, um zu verstehen, wieso ein Thilo Sarrazin aus der SPD heraus zum Stichwortgeber der sozialchauvinistischen Rechten aufsteigen konnte [4]. Von daher fällt Gabriels Stein auf einen Boden, der noch und wieder fruchtbar ist für Grausamkeiten, für die keineswegs nur Rechtspopulisten tätige Urheberschaft reklamieren können.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1791.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1712.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1734.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1683.html

4. Dezember 2016


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