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HERRSCHAFT/1769: Votum für mehr Zwang und Gewalt im kapitalistischen Normalvollzug (SB)



"Weltoffen" und "liberal", so definiert Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz die künftige Rolle der SPD in der Opposition - die massive Niederschlagung der G20-Proteste in seiner Stadt läßt grüßen. Der Mann aus Würselen, der im Anzug des arglosen Kleinbürgers so fehlbesetzt wirkt, daß die Tragik seines Auftrittes durch die historische Niederlage der SPD auf dramaturgisch effektvolle Weise untermalt wird, will vor allem gegen die AfD zu Felde ziehen und die Sozialdemokratie als Verteidigerin der Demokratie in Szene setzen. "Nazis wegschulzen", wie südhessische Jusos im Überschwang der Verkennung des strohfeuerartigen Hypes um den xten Merkelherausforderer propagierten, kann nicht funktionieren, wenn die SPD die kapitalistische Arbeitsgesellschaft mit Sozialpartnerschaft und Standortpolitik, mit der Unterdrückung kleiner Gewerkschaften und Zwangsmaßnahmen gegen Erwerbslose bewirtschaftet. Der Rückfall auf bürgerlichen Liberalismus wiederum hat keine Zukunft, die die FDP nicht schon in Beschlag genommen hätte.

CDU und CSU setzen gemäß des berühmten Diktums von Franz-Josef Strauß, rechts von der Union dürfe nur die Wand sein, noch mehr als bisher auf die diejenigen Themen, die die AfD auf Anhieb zur drittstärksten Kraft im Bundestag gemacht haben. Der Aufbau des autoritären Sicherheitsstaates und die verschärfte Abwehr notleidender Menschen in der EU hätte aber auch ohne eine Rechte, die als "neu" zu bezeichnen nur insofern stimmt, als sie alle Register PR-technisch ausgeklügelter Massenbeeinflussung zieht, stattgefunden. Prävention, also "proaktive" Vorwegnahme offener Widerspruchseskalation, ist nicht nur in der Aufstandsbekämpfung das Gebot der Stunde. Wo die sozialtechnokratische Durchformatierung des Menschen zum leistungsbereiten und verbrauchskontrollierten Marktsubjekt noch nicht genügend vollzogen wurde, um alle Lücken selbstbestimmter und unkalkulierbarer Subjektivität zu schließen, bedarf es zur Durchsetzung dieses Herrschaftsprojekts keiner neofaschistischen Sprachregelung, um bei der Mehrheit der Gesellschaft auf Akzeptanz zu stoßen.

Die Unterwerfung unter einen sozialen Nationalismus, in dem persönlich erlittene Zwangsverhältnisse auch allen anderen aufoktroyiert werden, die nicht begriffen haben, daß das Kollektiv des Staatsvolkes Ergebnis einer Vergesellschaftung ist, die die Aufgabe aller politischen Autonomie und Widerständigkeit voraussetzt, ist keine Domäne der AfD. Allein daß diese Partei, die von keinem anderen Planeten kommt, sondern sich aus den Reihen der politischen Konkurrenz rekrutiert, den Anschein erwecken kann, daß sie die sogenannten Volksparteien und damit die bisherige Bundesregierung vor sich hertreibt, indiziert eine hochgradige inhaltliche Affinität zwischen beiden Akteuren. Der Manövrierraum, in dem ein De Maizière mit Thesen zur deutschen Leitkultur nationalchauvinistisch aufschlägt, ein Sarrazin die SPD auf volksdeutschen Vordermann bringt und mancher Genosse keine klassengesellschaftlichen Widersprüche mehr kennt, wenn das nationale Gemeinwesen in Gefahr ist, ist so umkämpft, wie das Feld emanzipatorischer Politik verwaist daliegt.

Auch wenn der reine Wein nationaler Gesinnung, den die AfD einschenkt, von der politischen Konkurrenz mal mehr, mal weniger verdünnt wird, sind sich doch alle darin einig, den imperialistischen Charakter deutscher Hegemonialpolitik in der EU und darüber hinaus nach Kräften zu unterschlagen. Die immer häufiger heranzitierte Gleichsetzung von rechts und links könnte ihren Hauptzweck, die antikapitalistische Linke mit dem Stigma des Rechtsextremismus zu behaften und so die internationalistische Gegenposition zur Krisenkonkurrenz der Nationalstaaten in Mißkredit zu bringen, nicht erfüllen, wenn die Unterstellung, die politische Mitte unterscheide sich grundsätzlich von der nunmehr auch auf Bundesebene parlamentarisch aufgestellten Rechten, nicht glaubwürdig vertreten werden könnte.

Es ist nicht wichtig, ob die AfD die Themen setzt oder die politische Konkurrenz sie zum Vorwand der Aufkündigung verbliebener Freiheitsrechte nimmt. In beiden Fällen wird die Konstitution eines Nationalkollektivs vorangetrieben, das sich mit hoher Aggressivität und Opferbereitschaft in der imperialistisch organisierten Welt behauptet. Wäre die AfD nicht als Ergebnis der in nationalchauvinistische Gewässer geleiteten Kritik am herrschaftlichen Charakter der EU entstanden, dann wäre sie auf andere Weise, etwa als sozialrassistischer Klartext zum Sozialdarwinismus der Agenda 2010, in Erscheinung getreten. Den ideologiekritischen Blick starr nach rechts gerichtet, um die Totalität des Kapitalverhältnisses keines Blickes würdigen zu müssen, können sich die sogenannten Volksparteien auf den Kommandohöhen der Arbeitsgesellschaft auch weiterhin behaupten. Mit ihrem Geschäft, dies nach Maßgabe der gesellschaftlichen Gewinner zu tun, haben sie der AfD als vermeintliche Antithese eigener politischer Legitimation massiven Zulauf beschert. Kommt die kapitalistische Zwangsbewirtschaftung heute noch liberal und pluralistisch daher, hat der Spaß spätestens dann ein Ende, wenn die etablierten Parteien ihre Herrschaftsambitionen unter dem Vorwand, es diene der Bekämpfung einer rechtsextremen AfD, in neue Formen exekutiver Ermächtigung gießen.

24. September 2017


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