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HERRSCHAFT/1770: Rechtes Wunschkonzert, und alle singen mit (SB)



"Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!" Die Ankündigung des AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland am Abend der für seine Partei höchst erfolgreichen Bundestagswahl läßt vor allem deshalb innehalten, weil der langjährige Unionspolitiker auf einen Besitzstand pocht, den es lediglich wiederzuerlangen gelte. Es gibt also jemanden, der sich Land und Volk angeeignet habe und dem es nun wieder abzujagen sei. Gauland weist beides als Objekt einer Unterwerfung durch diejenigen aus, die frei nach Carl Schmitt souverän sind, weil sie den Ausnahmezustand kontrollieren. Die Gültigkeit der konstitutiven Rolle des Volkssouveräns jedenfalls kann nicht gemeint sein, wenn er von einem Gewaltverhältnis ausgeht, in dem über die unterstellten Subjekte staatlicher Existenz wie über ein Lehen verfügt wird.

Mit dieser selbstbewußten Aggressivität unterschreibt Gauland nicht nur einen Machtanspruch, dessen Verwirklichung der politische Putsch adäquat ist, er entblößt auch die Gangart der selbsternannten politischen Mitte als nicht minder staatsautoritär, so demokratisch sie auch daherkommen mag. So müßten die etablierten Parteien nicht über jedes Stöckchen springen, das ihr die politische Konkurrenz von rechts hinhält. Bei der Bezichtigung, die jeweils andere Partei habe die AfD durch eigene Zugeständnisse an deren Rechtskurs großgemacht, werden Roß und Reiter höchst absichtsvoll miteinander vertauscht, denn das genuine Interesse bürgerlicher Parteien am Schutz des Besitzstandes ihrer Klientel und Funktionseliten ist spätestens seit Beginn der neoliberalen Wende Anfang der 1980er Jahre stramm rechts formiert.

Mit der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls wurde jener nationalchauvinistische Kurs angelegt, der heute in den Leitkulturthesen eines Thomas de Maizière kulturrassistische Blüten treibt. Der Anschluß der DDR an die BRD legitimierte die Etablierung sozialdarwinistischer Konzepte in Sozial- und Bevölkerungspolitik, mußten den Ostdeutschen doch letzte sozialistische Flausen ausgetrieben werden, während sie gleichzeitig einer Marktkonkurrenz ohne Netz und doppelten Boden ausgesetzt wurden. Was heute in den neuen Bundesländern sein nicht mehr proletarisches, sondern nurmehr prolliges Haupt erhebt, wurzelt 27 Jahre nach der DDR nicht im staatsautoritären Vermächtnis eines Realsozialismus, dem mit diesem Argument die letzten Zähne überprüfbarer Legitimation gezogen werden sollen. Es erwächst aus den Trümmern einer Okkupation, mit der die sozialökonomische Basis der DDR zugunsten der Produktivitätssteigerung des BRD- Kapitals systematisch eingeebnet wurde. Jegliche Struktur, die ihren Ertrag nicht der invasiven Zurichtung der Menschen auf von Angst und Haß getriebene Konkurrenzsubjekte entnahm, wurde in einen Prozeß der "kreativen Zerstörung" eingespeist, den standzuhalten nur diejenigen übrigließ, die die Überlebenskonkurrenz auf dem Tableau des globalen Kapitalismus als erste Natur verinnerlicht hatten.

Rückstandslos zu beseitigen war auch das Wissen um einen dialektischen Materialismus, der der mit aller Finesse des ideologischen Antikommunismus vollzogenen Unterwerfungslogik hätte entgegenwirken können. Gleiches gilt für den auch in der Linkspartei entsorgten Begriff des Imperialismus, dem die Berliner Republik realpolitisch über den Marsch in die EU-europäische Führungsrolle Deutschlands und die aggressive Befeuerung der Globalisierung durch Kapitalexport und Marktdurchsetzung weltweit Rechnung trägt. Was mit dem Kriegseintritt der Bundeswehr in Jugoslawien, wo zuletzt Wehrmacht und SS eine überaus grausame Besatzungspolitik praktiziert hatten, als postmoderne Bluttaufe besiegelt wurde, ist heute Standard eines militärischen Interventionismus, der am Hauen und Stechen um verbliebene Ressourcen und Märkte nach der Maßgabe teilnimmt, weniger die Fluchtursachen als die Fliehenden selbst niederzumachen. Was der Bundeskanzlerin als humanitärer Akt bei der Flüchtlingsaufnahme gutgeschrieben wird, war von Anfang an dem hegemonialen Anspruch eines Landes geschuldet, das, wenn es über die Verhältnisse in anderen Teilen der Welt befinden will, auch für das bevölkerungspolitische Krisenmanagement zuständig zu sein hat. Merkels konsequenten Schritt in die optimierte Flüchtlingsabwehr der AfD anzulasten macht vergessen, wie sehr diese Partei beansprucht, das Erbe des rechten Flügels der Unionsparteien anzutreten.

Dementsprechend unglaubwürdig ist die Unterstellung, die AfD sei durch überproportionale Beachtung in den Medien überhaupt erst groß geworden. Daß Presse und Rundfunk die Ängste der Bevölkerung vor Flüchtlingen und Terrorismus auf oberflächlichste Weise aufgreifen, wie im sogenannten Kanzlerduell zwischen Merkel und Schulz auf exemplarische Weise vorexerziert, ist nicht nur der Mechanik ihrer Aufmerksamkeitsökonomie, sondern der integralen Einbindung politischer Kommunikation in Staatsräson und Kapitalinteressen geschuldet. Die Irrationalität rechter Feindbildproduktion ist keine Domäne der AfD, sondern seit jeher Mittel zum Zweck einer Herrschaftsicherung, die es sich nicht leisten kann, die materialistischen Gewaltverhältnisse der Gesellschaft auf eine Weise ruchbar werden zu lassen, die keine Alternativlosigkeit ihres angeblichen Sachzwanges behauptet. Daß diejenige Partei, die als Alternative für Deutschland antritt, gerade das nicht sein will, sondern das Kapitalverhältnis zum sinnstiftenden Existenzzweck des imaginierten nationalen Kollektivs hochjubelt, ist eine Pointe, die den journalistischen Eliten längst aufgefallen wäre, wenn sie von etwas anderem als materialisierten Zwangsverhältnissen ausgingen.

So ist die sogenannte vierte Gewalt als Fleisch vom Fleische herrschender Verwertungsinteressen der Teilung politischer Gewalten nur insofern verpflichtet, als der eigene Anteil an ihrem Ertrag sichergestellt werden muß. Daß sozialrevolutionäre, sozialistische und antikapitalistische Positionen nicht auf annähernd vergleichbare Weise wie die Forderungen der angeblich neuen Rechten öffentlich zur Geltung gelangen, sondern mit der jeden Klassenantagonismus leugnenden Behauptung, links sei ohnehin gleich rechts, von vornherein als "extremistisch" diffamiert werden, ist Wasser auf die Mühlen der nach der Macht greifenden Rechten. Ihr gelingt der Rösslsprung in die politische Mitte mit der Überantwortung jeglicher Infragestellung der Einheit von Volk, Staat und Nation an die politische Linke um so besser, als sie damit den ideologischen Quell staatlicher Souveränität zu Lasten der staatszersetzenden internationalistischen Linken für sich beansprucht.

Daher die hochgradigen Bereitschaft, die Positionen der AfD als legitime Beiträge zum demokratischen Diskurs anzuerkennen, wenn sie nur auf eindeutig als nazistisch und antisemitisch identifizierbare Ansagen verzichtet. So sind die Übergänge vom vermeintlich "positiven Patriotismus", der anläßlich der Fußball-WM 2006 als wünschenswertes Identitätsmerkmal als Beitrag zur nationalen Normalisierung anerkannt wurde, zum nationalchauvinistischen und völkischen Bekenntnis allemal fließend. Wo noch Differenzen zur AfD wie ein nicht auf biodeutschem Herkunftsprinzip basierendes Staatsbürgerrecht oder ein ungenügender Schutz der Familie geltend gemacht werden, sind diese weit leichter einzuebnen als etwa die sozialistische Forderung nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder einer grundlegenden Aufhebung bürgerlicher Eigentumsansprüche.

Eine Frauke Petry, die nach ihrem Austritt aus der AfD zur Brückenfunktion im politischen Akzeptanzmanagement nach rechtsaußen aufgebaut wird, unterscheidet sich inhaltlich so gut wie gar nicht von den nationalistischen Exponenten der AfD wie Gauland und Weidel. Auf die Frage, wo sie mit dem Programm der AfD nicht übereinstimme, gab sie bezeichnenderweise zu erkennen, daß sich darin zu viele sozialpolitische Zugeständnisse an eine linke Wählerklientel befänden. Bis auf wenige Ausnahmen ist das Führungspersonal der AfD fest verankert in neoliberaler Wirtschafts- und transatlantischer Bündnispolitik. Mit dieser Partei ist allemal Staat zu machen, und zwar in seiner aggressivsten Variante.

So geht Gaulands Griff nach Land und Volk allemal konform mit dem herrschenden Entwurf einer Arbeitsgesellschaft, wo nicht aufgemuckt, sondern geleistet wird, wo die Bevölkerung im Stadion und vor dem Fernseher der Nationalelf zujubelt, die den Erfolg des Wirtschaftsstandortes mit dem erforderlichen Fun-Faktor zu einem erstrebenswerten Ziel für alle und die Identifikation mit dem großen "Wir" zu einem je nach Krisenlage mehr oder weniger aggressiv exekutierten Ausschließungsmerkmal macht. Als Exponentin eines rabiaten antimuslimischen Rassismus erfreut sich die AfD desto größerer Beliebtheit, als auch etablierte Parteien mit kulturalistischen Argumenten Flüchtlingsabwehr und Terrorismusbekämpfung legitimieren. Der SPD-Politiker Thilo Sarrazin hat vorgemacht, wie mainstreamkonform völkisches Denken sein kann, das nicht so bezeichnet werden muß, um als solches Identität und Zugehörigkeit zu organisieren.

Auch wo die AfD sich dem Kampf gegen einen "Kulturmarxismus" verschrieben hat, für dessen Bekämpfung Anders Breivik, der heimliche Star der radikalen Rechten, 69 Mitglieder einer sozialistischen Jugendorganisation ermordete, ist mit ihr ins parlamentarische Geschäft zu kommen. Moderne Positionen im Bereich der Geschlechterverhältnisse werden nur dort angegriffen, wo sie die gesellschaftliche Reproduktion und den Aufwuchs neuer Arbeitsmonaden gefährden. Nicht ihre sexuelle Orientierung, sondern deren Indienststellung für ein kleinfamiliäres Rollenmodell, das als Keimzelle der Nation die Domestizierung ihrer Mitglieder ganz nach Maßgabe des stets mit einer von Jagdhunden gezierten Krawatte auftretenden Gaulands sicherstellt, ist entscheidend für die Akzeptanz einer Politikerin wie Alice Weidel, die eine Lebenspartnerschaft mit einer Frau eingegangen ist.

Der gesellschaftliche Rollback ist in vollem Gange, und die AfD übernimmt den Job des dafür angeblich verantwortlichen Akteurs mit großer Genugtuung. Ihren Erfolg PR- und kampagnentechnischen Modalitäten zuzuschreiben darf als Bekenntnis zu einem politischen Bewußtsein verstanden werden, das im Verzicht auf jegliche Herrschaftskritik seiner nationalen Pflicht genügt, und das ist überall anzutreffen, nicht nur in den Reihen der neuen Rechten.

1. Oktober 2017


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