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HERRSCHAFT/1775: Gegen linke Zerrissenheit - antikapitalistisch aktiv ... (SB)



Wenn Andrea Nahles erklärt, "zu den Genen ihrer Partei gehöre neben der Solidarität auch, dass man sich an Arbeit und Leistung orientiere und nicht nur an staatlicher Umverteilung wie die Linkspartei", um zu fordern, daß die SPD auch "ein Angebot an Leistungsträger machen" [1] müsse, dann ist niemand überrascht, daß die angeschlagene Regierungslinke ihr Heil darin sucht, sich als Steigbügelhalterin der Kapitalmacht anzudienen. Wenn die derart als Sachwalterin der gesellschaftlichen Verlierer gescholtene parlamentarische Linke ihrerseits den unternehmerischen Mittelstand umwirbt und ihre Kapitalismuskritik auf transnational operierende Großkonzerne verkürzt, dann folgt sie der SPD auf dem Fuß, weil links von der Sozialdemokratie kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Wenn die außerparlamentarische Linke sich im Streit um einen Karrierejournalisten zerlegt, der nichts Besseres im Sinn hat, als jeglicher antikapitalistischen Radikalität mit der Aufkündigung der elementaren Unterschiede zwischen linken und rechten Positionen letzte Zähne zu ziehen, dann bedarf der Niedergang emanzipatorischer und revolutionärer Kräfte keiner weiteren Dramatisierung - er könnte gar nicht augenfälliger sein.

Jürgen Elsässer hat es mit seiner Reise vom antinationalen Flügel der radikalen Linken über seine Zeit bei der jungen Welt und dem Neuen Deutschland bis zum publizistischen Sprachrohr völkischer Restauration vorgemacht. Identitätspolitische Wagenburgmentalität als Antwort auf die Herausforderungen eines krisengeschüttelten Weltzustandes weist den Weg in das Standesdenken eines neuen Feudalismus, aus dem die deutschen Spießbüger des 21. Jahrhunderts mit all ihren Tugenden denunzierender und vernichtender Art hervorgehen. Währenddessen läßt sich die Restlinke durch vermeintliche Handlungsnotstände ins Bockshorn von Koalitionen jagen, die der zahlenmäßigen Ausdünnung sozialen Widerstandes zwar keinen Einhalt gebieten, dafür aber das rasante Vergessen der Prinzipien klassenantagonistischer Fundamentalopposition befördern. Was gemeinhin unter dem Titel "Querfront" firmiert, findet seine Anfänge in der von Überlebensangst getriebenen Individualisierung zum Markt- und Konkurrenzsubjekt wie auch der aus szenetypischen und milieuspezifischen Zugehörigkeitsritualen gespeisten Verbürgerlichung einstmals rebellischer Kollektive. Ob am Ende als lupenreiner Nationalchauvinist endlich zum wahren Selbst gelangt oder als linksliberaler Anstandswächter für die Durchsetzung mehrheitsideologischer Verhaltensnormen zuständig, die den Zugang zu den Fleischtöpfen staatlicher Alimentierung garantieren, macht für die dadurch torpedierte Überwindung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse keinen großen Unterschied.

Was von den gescheiterten Befreiungsversuchen der revolutionären Linken bleibt, betrifft in der Bundesrepublik eine gesamtgesellschaftlich kaum nennenswerte Gruppe versprengter Linker. Mit fünf Prozent Wählerstimmen wurde der Zutritt zu parlamentarischer Partizipation in hinreichende Höhe gelegt, um zu verhindern, daß die radikale Linke jemals in die Nähe ihrer Überwindung gelangte. Daß dies aus ganz anderem Grund, nämlich wegen des damit eingegangenen Paktes mit den neofeudalen Eliten in Kapital und Staat, gar nicht erst versucht wird, betrifft am ehesten noch den antiautoritären Teil der radikalen Linken. Während die in traditionskommunistischen Kaderparteien organisierte Linke über so wenig Mobilisierungsfähigkeit verfügt, daß sie in ihrer Existenz bedroht erscheint, finden libertäre und anarchistische AktivistInnen insbesondere mit der radikalökologischen Kritik an den krisenproduzierenden Verwertungspraktiken über ihre Kreise hinausgehende Beachtung. Sofern dieser Ansatzpunkt nicht von der Kritik kapitalistischer Produktionsbedingungen entkoppelt wird, weist er eine gesellschaftliche Relevanz auf, die einer dem Produktivismus als Lebenselixier einer längst sozialpartnerschaftlich korrumpierten Arbeiterklasse verpflichteten Linken zusehends verlorengeht.

Staatliche Verfügungsgewalt vs. basisdemokratische Selbstorganisation 2017

Unter den nennenswerten Beispielen für eine politisch bedeutsame Form des radikalökologischen Widerstands zählt zweifellos die Wald- und Wiesenbesetzung des von Zerstörung durch die Kohleverstromung bedrohten Hambacher Forstes. Eingebettet in eine breite Front zivilgesellschaftlicher Organisationen, die für den Erhalt des alten Waldbiotops eintreten, aber nicht zu verwechseln mit dieser kämpfen dort seit 2012 meist junge AktivistInnen in wechselnder Besetzung nicht nur gegen den Energiekonzern RWE Power, sondern auch die von ihm repräsentierte Welt kapitalistischer Vergesellschaftung. Daß sich die AktivistInnen dabei in jeweils eigener Verantwortung Methoden des zivilen Ungehorsams und der direkten Aktion bedienen, war schon häufiger Anlaß zu konfliktgeladenen Auseinandersetzungen mit dem Umfeld der UnterstützerInnen. Tritt hinter dem gemeinsamen Anliegen, die Kohle in der Erde und den Wald unbeschadet zu lassen, mitunter die Unversöhnlichkeit systemantagonistischer Positionierung hervor, dann zeigt sich, daß das BesetzerInnenkollektiv bislang nicht in jenen Prozeß NGO-spezifischer Institutionalisierung integriert werden konnte, der geradewegs in den Mainstream grünkapitalistischer Reformagenda führt [2].

Davor müssen die Organisationen der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht gefeit sein, sind ihre Ziele doch durchaus kompatibel mit herrschenden Transformationsdispositiven. Bislang hat die Breite und Wucht ihres Aktivismus insbesondere bei der Bekämpfung der Kohleverstromung eine Aufweichung des antikapitalistischen Grundkonsenses verhindert. Dieser beruht jedoch eher auf dem Widersinn der Wachstumslogik und Wettbewerbsziele herrschender Politik als einer materialistischen Kritik am Klassenstaat. Sozialen und ökologischen Widerstand eng miteinander zu verkoppeln böte die beste Voraussetzung für eine Immunisierung gegen Professionalisierungstendenzen und Institutionalisierungsprozessse, vor deren korrumpierender Wirkung unter anderem die Aktivistin Hanna Poddig [3] warnt. Die in den USA schon des längeren geübte Kritik an den korrumpierenden Auswirkungen, denen soziale Bewegungen durch einen zahlungskräftigen Non-Profit-Sektor ausgesetzt sein können [4], auch hierzulande aufzugreifen ist überfällig.

War das Klimacamp [5] Ende August inmitten des niederrheinischen Braunkohlereviers ein regelrechtes Labor selbstbestimmten Lebens, Arbeitens und Kämpfens, so wirkte der People's Climate Summit (PCS), der Klimagegengipfel zum offiziellen Weltklimatreffen COP 23 Anfang November in Bonn [6], fast schon wie ein komplementärer Bestandteil globaler Klimaschutzpolitik. So wichtig das Erarbeiten der theoretischen Grundlagen widerständiger Politik gerade auf dem komplexen Feld sozialökologischer Prozesse ist, so sehr gilt es, die systemischen Bedingungen der Zerstörung aller Formen des Lebens auf dem Planeten nicht zu vergessen.

Der für die bundesrepublikanische Linke als innere Opposition gegen den EU-Hegemon Deutschland wichtige Kampf der kurdischen Bevölkerung zeigt besonders deutlich, mit welcher Repression soziale Bewegungen zu rechnen haben, die prinzipielle Staatskritik üben und zugleich selbstbestimmte Formen kollektiven Lebens entwickeln. Diese Aufbauarbeit in der Demokratischen Föderation Nordsyrien wie in der Türkei oder im Nordirak bedarf der solidarischen Unterstützung schon deshalb, weil sie von der opportunistischen Hegemonialpolitik der Bundesregierung kriminalisiert wird, was auf die faktische Unterstützung der despotischen Politik des türkischen Präsident Erdogan hinausläuft. Über die sozialen Ziele dieser Bewegung, die mit dem von Abdullah Öcalan entwickelten Konföderalismus ein gesellschaftliches Organisationsmodell unterhalb der Ebene staatlicher Verfügungsgewalt etablieren will, das für den gesamten Nahen und Mittleren Osten Vorbildcharakter haben könnte, wurde auf der Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern III" Mitte April in Hamburg [7] beraten. Nicht nur am 4. November in Düsseldorf zeigte der deutsche Staat [8], daß er jeder Form internationalistischer Selbstbestimmung und Solidarität entschieden entgegentritt.

Das gilt auch für die Proteste gegen den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg. Sie werden bis heute zur Diffamierung und Kriminalisierung linker AktivistInnen genutzt, zuletzt mit Hilfe der Veröffentlichung von Fahndungsfotos auf der Webseite der Polizei. Daß solche Formen der Vorverurteilung und Aufrufe zur Denunziation ohne größeren Einspruch liberal-bürgerlicher Kreise, dafür aber unter Applaus der neuen Rechten wieder möglich sind, verdeutlicht die Gefahr der Einebnung verbliebener demokratischer Freiheiten in der Bundesrepublik. Daß die Proteste aus Sicht daran beteiligter AktivistInnen ganz anders als die massenmedial kolportierte Orgie der Zerstörung wahrgenommen wurden, was auch für die angeblich nichtvorhandene Polizeigewalt zutrifft, wurde am 15. September auf einer Veranstaltung unter dem Motto "G20 - das war der Gipfel - Aktivistinnen und Betroffene berichten" in Hamburg deutlich [9].

Anläßlich der bedenklichen politischen Entwicklung um den G20-Gipfel herum fand am 7. Oktober 2017 in Düsseldorf ein bundesweiter Grundrechtekongreß [10] statt, zu dem die aus mehr als 50 Gewerkschaften, Migranten- und Bürgerrechtsorganisationen, Journalisten- und Anwaltsverbänden bestehende Initiative "Demonstrationsrecht verteidigen!" eingeladen hatte. Einige der OrganisatorInnen wurden wenige Wochen später selbst zum Ziel von Hausdurchsuchungen der Polizei, was schon aufgrund der großen zeitlichen Distanz zu den Ereignissen in Hamburg als Ablenkungsmanöver zu erkennen war. Auf dem Kongreß wurde neben den massiven, das Versammlungsrecht unmittelbar einschränkenden Verschärfungen des Polizeirechts und der politischen Verfolgung gefangener G20-AktivistInnen auch über Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit berichtet.

Aufgrund dessen vollständig verstummt ist die zentrale Informations- und Vernetzungsplattform Indymedia linksunten. Sechs Wochen nach dem G20-Gipfel erließ der Bundesinnenminister eine Verbotsverfügung, wozu er sich des Konstruktes eines zuvor nichtvorhandenen Vereins bediente. Dieser bislang beispiellose Eingriff in eine wie ein Medium funktionierende Plattform der Linken wirft düstere Schatten auf die Zukunft jeder Form von politisch radikaler Meinungsbekundung. Auf einer Veranstaltung in Kiel [11] wurde aus erster Hand berichtet, welch weitreichende Folgen eine solche Maßnahme für die von staatlicher Repression betroffenen Menschen hat.

Zu den nur wenig wahrgenommenen, aber inhaltlich zukunftsweisenden Initiativen gehörte die "Konferenz zu Basisorganisierung, Gegenmacht & Autonomie", die unter dem Titel "Selber machen" Ende April im Bethanien in Berlin-Kreuzberg [12] stattfand. Hier zeigte sich, daß linksradikale Aktionsbündnisse auch zwischen Autonomen und KommunistInnen möglich sind, wenn mehr über das Verbindende als das Trennende debattiert wird. Diese Möglichkeiten auszuloten im Rahmen einer solidarischen Selbstorganisation, die sich niemandem andienen muß, weil sie in ihrer emanzipatorischen Widerständigkeit mehr als genug Anziehungskraft entfaltet, um Menschen aus verschiedensten Not- und Lebenslagen neuen Mut schöpfen zu lassen, ist das mindeste, was es in näherer Zukunft auszuloten gilt.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/nahles-zur-lage-der-spd-wir-sollten-es-uns-nicht-zu-einfach.1939.de.html?drn:news_id=830657

[2] Berichte und Interviews aus dem Hambacher Forst im Februar unter dem kategorischen Titel "Krieg der Bäume":
http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/ip_redaktio_report_geschichten_aus_dem_widerstand.shtml

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0133.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0009.html

[5] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Klimacamp im Rheinland":
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_interview.shtml

[6] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Klimagegengipfel": http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/ip_buerger_report_interview.shtml

[7] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Gegenwartskapitalismus":
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_interview.shtml

[8] Zur Demonstration "No Pasaran!" am 4. November 2017 in Düsseldorf:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0293.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0392.html

[9] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "G20-Resümee":
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_interview.shtml

[10] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Es geht ums Ganze":
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_interview.shtml

[11] Zur Veranstaltung zum Verbot von Indymedia linksunten:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0299.html

[12] Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Initiativvorschläge":
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ip_politik_report_interview.shtml

28. Dezember 2017


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