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HERRSCHAFT/1781: Rezzo Schlauch - von grün zu lodengrün ... (SB)



Rezzo Schlauch oder wie alles anfing. Anläßlich eines ausführlichen Interviews, das der 70jährige ehemalige Grünen-Politiker Rezzo Schlauch dem Journalisten Rainer Burchardt vom Deutschlandfunk gegeben hat [1], bietet sich ein beiläufiger Seitenblick auf den von ihm paradigmatisch verkörperten Brückenschlag ins konservativ-bürgerliche Lager an, das für seine Partei Zug um Zug zum Leitmotiv politischer Teilhaberschaft werden sollte. Lange vor baden-württembergischen Erfolgsmodellen wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer oder dem früheren Parteivorsitzenden Cem Özdemir war Schlauch einst der Prototyp und Türöffner einer Vermählung von grüner Politik mit schwarzen Wirtschaftsinteressen, vornehm verbrämt als ganz besondere Liberalität und Dialogbereitschaft im Schwabenland. Schwäbische Schläue war gefragt, wo immer es galt, den fundamentalistischen Flügel zugunsten sogenannter realpolitischer Durchbrüche aus dem Feld zu schlagen, dies dem an rumorenden Bauchschmerzen laborierenden Parteivolk schmackhaft und die Grünen gesellschaftlich salonfähig zu machen.

Der aus einem liberalen evangelischen Pfarrhaus stammende Rechtsanwalt trat 1980 den Grünen bei und zog für sie in den baden-württembergischen Landtag ein. Jovial, kompromißbereit und wirtschaftsfreundlich erreichte er Wählerschichten außerhalb der grünen Klientel und erzielte in den 90er Jahren Achtungserfolge als grüner Oberbürgermeisterkandidat in Stuttgart. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Fritz Kuhn ("Asterix und Obelix") gab er zur Landtagswahl in Baden-Württemberg das Motto "endlich mitregieren" aus, das sich für die Grünen zum unabweislichen Credo parteipolitischer Prioritätensetzung auswachsen sollte. Fortan wurde im Zweifelsfall entsorgt, was dem Wahlerfolg und Aufstieg an die Fleischtöpfe institutioneller Einflußnahme und persönlicher Pfründe im Wege stehen könnte.

Diese in lebensfroh-genußfreudige Versöhnlichkeit gekleidete Abkehr von jeglichen radikalökologischen oder gar sozialkämpferischen Widerborstigkeiten qualifizierte Schlauch ab 1994 im Bundestag zu einem der ergebensten Flankenschützer Joseph Fischers beim Griff nach der Regierungsbeteiligung. Nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 wurde er Fraktionschef der Grünen und lieferte prompt sein Meisterstück, indem er seine Partei für eine deutsche Beteiligung am Krieg im Kosovo auf Linie brachte:

Wir haben die Forderung "Nie wieder Krieg" immer vertreten - und damit natürlich auch gemeint "Nie wieder Völkermord". Milosevic zerreißt mit seinem verbrecherischen Handeln die Identität dieser beiden Forderungen. Und wir müssen erkennen, dass sich in diesem Fall die Forderung "Nie wieder Völkermord" leider nur mit militärischen Mitteln erreichen lässt. Der von Außenminister Fischer vorlegte Plan weist einen Weg zum Frieden ...

So war es denn vollbracht: Nicht die Grünen waren zur Kriegspartei mutiert, sondern Milosevic hatte schuld, daß deutsche Soldatenstiefel erstmals seit dem Ende des NS-Staats wieder auf dem Boden des Balkans trampelten. So dummdreist diese Vernebelung imperialistischer Aggression und Expansion der Bundesrepublik anmuten mochte, war dem ideologiebildenden Schachzug doch nachhaltiger Erfolg beschieden. Als willfähriger Handlanger Fischers hatte Rezzo Schlauch das Seine dazu beigetragen, die Tür zur deutschen Kriegsführung aufzustoßen, welche die Bundeswehr nach Afghanistan und Afrika, nach Syrien und in den Irak führen sollte.

Dem politischen Aufstieg des Rezzo Schlauch folgte ein jäher Absturz, als der Schwabe zu tief in den Bonustopf gegriffen hatte. Nachdem er Cem Özdemir wegen der Inanspruchnahme von Bonusmeilen im Flugverkehr kritisiert hatte, wurde publik, daß er selber auf diese Weise günstig in den Urlaub geflogen war. Für eine Partei wie die Grünen war das mitten im Wahlkampf 2002 aus Imagegründen untragbar, so daß sich Schlauch nach der knapp gewonnenen Wahl auf den Posten eines parlamentarischen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium unter Wolfgang Clement zurückzog, wo er fortan für den Mittelstand zuständig war. Zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005 trat er nicht mehr an, sondern wurde Partner einer großen Kanzlei für Wirtschaftsrecht.

Politische Meriten ernteten fortan andere Grüne, doch Rezzo Schlauch war auf die Füße gefallen. Er kam dann und wann in die Schlagzeilen, wenn er ein neues Aufsichtsrats- oder Beratungsmandat bei einem Wirtschaftsunternehmen übernahm, darunter auch beim Energieversorger und Atomkraftwerksbetreiber EnBW. Ein Interessenkonflikt war das für ihn aber nicht, macht er sich doch noch heute für den Marsch durch die Institutionen stark, der nicht auf die Politik beschränkt sein dürfe. Er fände es durchaus spannend, wenn auch mal ein Grüner ein Vorstandsmitglied oder ein Aufsichtsratsvorsitzender eines DAX-Unternehmens würde. Die milde Stichelei Burchardts, eine Schlagzeile habe in Verbindung mit Schlauchs Namen einmal von einem Irrweg beim Marsch durch die Institutionen gesprochen, kann den Schwaben nicht irritieren: Vor Irrwegen sei man nicht gefeit, räumt er gut gelaunt ein. Doch wie schon in den Tagen des Kosovo-Kriegs könne er in den Spiegel schauen.

Burchardt hakt nach: Ob er sich nicht möglicherweise auch als Alibi oder Feigenblatt von den Gremien, denen er im Bereich der Industrie angehört, mißbraucht fühle: "Sie haben sich ja, ich will es jetzt mal überspitzen, auf ein Spiel mit dem Teufel eingelassen, aus grüner Sicht." Das kontert Schlauch mit links: "Ja gut - da würde ich aber auch sagen, wenn es in der Küche heiß wird, kann man gehen oder kann drin bleiben." Er habe bei EnBW doch seinen Antiatomkurs nicht an der Garderobe abgegeben, sondern hoch spannende Projekte mit alternativen Energien in großem Maßstab eingespeist. Daß daraus nichts geworden ist, sei lediglich auf einen Personalwechsel zurückzuführen, sieht er sich und seine grünen Vorstellungen auch in solchen Unternehmen bestens aufgehoben.

Auch in der Flüchtlingspolitik macht sich Schlauch so seine eigenen Gedanken, die vielen Grünen sauer aufstoßen dürften. Er ist mit einer albanischen Schauspielerin liiert, Honorarkonsul von Albanien und bezeichnet dies als ein sicheres Herkunftsland. Warum? Albanien habe große Probleme mit Armut und Arbeitslosigkeit, die Menschen litten unter Existenzängsten. Aber von einer politischen Verfolgung, und das betreffe die Frage des sicheren Herkunftslandes, sei ihm absolut nichts bekannt, paßt kein Blatt Papier zwischen seine Position und die Abschiebepraxis der Bundesregierung.

Was aber die Stärke der Grünen in Baden-Württemberg betrifft, sei dies insbesondere darauf zurückzuführen, daß sie dort von Anfang an einen dialogischen Politikstil entwickelt und nie die Fundamentalopposition zelebriert hätten, sondern auch in der Opposition konstruktiv orientiert gewesen seien. Allerdings habe man schmerzlich erfahren müssen, daß sich dieses grüne Modell nicht auf den Bund übertragen läßt. Normalerweise lerne man ja von denen, die gewinnen, doch liefen die politischen Kulturen der Grünen in anderen Bundesländern darauf hinaus, sich lieber abzugrenzen. So sei Kretschmann auf Bundesebene zwar akzeptiert und respektiert, aber nicht geliebt. Und Boris Palmer, der ein unglaublich streitbarer und intelligenter Kopf sei, werde teilweise auf den Parteitagen ausgepfiffen. Zuletzt sei selbst Cem Özdemir nach Hause getrieben worden. In linken Parteien würden die besten Leute auf die Bank geschickt, da stark profilierte Persönlichkeiten selten gut gelitten seien, meint der Schwabe.

Rezzo Schlauch scheint so sehr im reinen mit sich zu sein, daß sich zu guter Letzt die Frage aufdrängt, wieso er damals nicht bei der FDP gelandet, sondern zu einem Urgestein der Grünen geworden ist. Wenn er erzählt, wie befreiend es gewesen sei, endlich dem linken Ghetto zu entkommen und in der bürgerlichen Mitte anzudocken, oder noch heute vom Freiburger Parteiprogramm der FDP von 1968 schwärmt, glaubt man ihm gern, daß er sich selbst stets im bürgerlichen Lager verortet habe, "möglicherweise radikal im Gestus, aber in der Sache immer auch kompromißorientiert". Ob er nicht womöglich ein lupenreiner Liberaler sei, will Burchardt wissen. Das gehöre zur "politischen DNA in Baden-Württemberg", räumt Schlauch ein. Die CDU sei dort liberaler als woanders, die Grünen hätten von Anfang an einen viel größeren Schuß Liberalismus als andere Landesverbände intus gehabt. "Ich würde mich, und zwar jetzt nicht als FDP-Liberaler, aber ich würde mich als durchaus politisch Liberaler, Libertärer mit einem Schuss Ökologie drin bezeichnen können", so Rezzo Schlauch.

In seinem Fall sind es also nicht einmal sogenannte Jugendsünden, die es aus Karrieregründen später zu verheimlichen oder in Abrede zu stellen galt. Er ist immer derselbe geblieben, und das hat in dieser Partei so gut funktioniert, daß er in eine Schlüsselfunktion gespült wurde und am Drang hin zur Regierungsfähigkeit auf allen Ebenen mitwirken durfte. Daß "ein Schuß Ökologie" ausreiche, werden die Grünen natürlich vehement bestreiten. Bedenklich stimmt aber schon, wie viele Muster Rezzo Schlauch nicht nur in seinem Bundesland vorgeprägt hat, die heute aus dem Arsenal und den Strategiediskussionen seiner Partei nicht mehr wegzudenken sind.


Fußnote:

[1] www.deutschlandfunk.de/gruenen-politiker-rezzo-schlauch-wir-haben-in-baden.1295.de.html

2. April 2018


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