Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1802: Riad - Pseudokonsequenzen ... (SB)



Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.
Siemens-Chef Joe Kaeser vor seinem jüngsten Sinneswandel [1]

Wie das Eingangszitat belegt, war Siemens-Chef Joe Kaeser vor wenigen Tagen noch fest entschlossen, zum großen Beutezug nach Saudi-Arabien zu reisen. An der "Future Investment Initiative" (FII) sollten vom 23. bis zum 25. Oktober ursprünglich mehr als 180 hochkarätige Referenten aus mehr als 90 Staaten teilnehmen. Die Veranstaltung, die in Anlehnung an das Weltwirtschaftsforum "Davos in der Wüste" genannt wird, ist ein Prestigeprojekt des Königshauses. Dessen ambitionierter Entwurf sieht bis 2030 eine umfassende Modernisierung und Internationalisierung der heimischen Wirtschaft vor, um den Machterhalt des wankenden Regimes zu sichern und fortzuschreiben. Kaeser gehört zum Beirat der Investorenkonferenz und hielt lange an der Teilnahme fest, um seinen Konzern in Riad strategisch zu verankern und ihm weitere lukrative Aufträge zu sichern. Saudi-Arabien ist für Siemens ein Milliardenmarkt. Derzeit ist das Unternehmen dort an zwei Großprojekten beteiligt, dem Bau eines Gaskraftwerks und der neuen U-Bahn in der Hauptstadt. Kaeser war sich im klaren darüber, daß seine Absage dazu führen würde, daß ihm das Königshaus künftig die Gunst entzieht und der Konkurrenz den Zuschlag gibt.

Als die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi immer höhere Wellen schlug und die öffentliche Meinung in bezug auf den Umgang mit der despotischen Elite Saudi-Arabiens auf breiter Front umzukippen begann, kamen Interessen der Staatsräson ins Spiel, die weit über die Profite eines einzelnen Akteurs wie Siemens hinausgehen. Die Bundesregierung kann es sich nicht leisten, daß ihre politischen Beziehungen zu Riad und die deutschen Rüstungsexporte angesichts dieser Kontroverse grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden. Noch ist die Vorwandslage, die deutsche Expansion und Kriegsführung im Namen der Menschenrechte voranzutreiben, zu unentbehrlich, als daß man den Bestand dieser Ideologie eines partikulären Vorteils wegen aufs Spiel setzen würde.

Da bereits andere prominente Manager ihre Reise nach Riad abgesagt hatten, geriet der Siemens-Chef in Politik und Medien zunehmend in die Schußlinie. Als sich der absehbare Schaden für ihn persönlich und seinen Konzern zu einem handfesten Gesichtsverlust auszuwachsen drohte, kratzte Kaeser im letzten Moment die Kurve und sagte seine Teilnahme zähneknirschend ab. War schon die zynische Begründung seines ursprünglichen Beharrens auf einer Präsenz bei der Investorenkonferenz höchst aufschlußreich, so bedient die Rechtfertigung seines Sinneswandels um so mehr die Klaviatur sattsam bekannter Versatzstücke hiesiger Regierungspolitik in Hinblick auf autoritäre bis diktatorische Regime, die im Kontext geostrategischer Entwürfe für nützliche Verbündete erachtet werden.

Siemens sei seit Jahrzehnten ein verläßlicher Partner Saudi-Arabiens und unterstütze die großartige Vision 2030, schreibt Kaeser in einer längeren Stellungnahme. "Aber nun muss die Wahrheit gefunden und der Gerechtigkeit genüge getan werden. Das ist die sauberste, wenn auch nicht die mutigste Entscheidung." Lange habe er erwogen, nach Riad zu gehen und das Thema offen anzusprechen, behauptet er allen Ernstes, daß ihm das Hemd erfolgreicher Geschäfte nicht allemal näher als der Rock sei, den Saudis ins Gewissen zu reden. Jemanden aus der zweiten Reihe als Ersatz zu schicken, sei keine Lösung für ihn gewesen: "Führung bedeutet für mich, sich nicht hinter Deinen Leuten zu verstecken, wenn die Kugeln von vorne kommen", verpaßt sich der Spitzenmanager angesichts des taktischen Rückzugs eine Heldenbrust in vorderster Front.

So barbarisch der Tod Khashoggis auch gewesen, und so schwer die Geschichte eines Unfalls zu glauben sei, gelte doch, daß das Verbrechen nicht von den 33 Millionen Menschen in Saudi-Arabien begangen wurde. Und es sei auch keiner der 2000 Siemens-Mitarbeiter vor Ort involviert gewesen. "Es ist unfair, ein ganzes Land kollektiv und undifferenziert zu beschuldigen, wenn es darum geht, die Verbrechen Einzelner zu bestrafen. Es ist die Aufgabe der Behörden, herauszufinden, was tatsächlich passiert ist", gibt sich Kaeser betont naiv, als ahne er nicht, wer den Mord an Khashoggi angeordnet hat.

Manche Situationen entwickelten sich so, daß niemand gewinnen könne, schreibt der Siemens-Chef weiter, und die Khashoggi-Krise sei so eine Situation. Er habe Hunderte, wenn nicht Tausende Emails und Social-Media-Beiträge bekommen, in denen er gedrängt worden sei, nicht nach Riad zu reisen. "Nur zwei Leute empfahlen mir, zu gehen." Es sei immer schwierig, die richtige Balance zwischen Werten, Interessen und dem richtigen Timing zu finden, adelt er sein opportunistisches Lavieren als Pflichterfüllung einsamer Führerschaft in schicksalsschwerer Stunde. Kaeser nimmt auch dazu Stellung, warum er sich so spät entschieden hat. Er habe auch andere wichtige Dinge zu tun gehabt, wie Verhandlungen im Irak über den Wiederaufbau der Energieversorgung, winkt er mit dem Zaunpfahl eines in Aussicht stehenden weiteren Riesenauftrags. Im übrigen lehre die Geschichte, daß es in Krisen besser sei, miteinander zu reden als übereinander. Daher sei ein offener Dialog so wichtig. Es greife zu kurz, Konzerne dafür zu kritisieren, daß sie Kommunikationslinien offenhalten. [2]

Um seine Botschaft zu unterfüttern, daß Politik und Medien den Unternehmensführungen nicht ins Handwerk pfuschen sollten, wenn diese deutschen Wirtschaftsinteressen Weltgeltung zu verschaffen suchen, bedient er sich einer gängigen Sprachregelung der Berliner Regierungspolitik. Wann immer die Forderung erhoben wird, die militärische Zusammenarbeit zu beenden, alle Rüstungslieferungen einzustellen und ernsthafte Sanktionen in Erwägung zu ziehen, um Riad den Rückhalt zu versagen, kommt der Dialog ins Spiel, der keinesfalls abreißen dürfe. Als seien Profite nicht gleichgültig gegenüber ihrer Herkunft, sofern nur die Marge stimmt, verkauft der Siemens-Chef die Ratio der Konzerne als Kommunikationskultur. Damit rennt er bei der politischen Führung offene Türen ein, die ihn nur deswegen zurückgepfiffen hat, weil die unverhoffte Brisanz des Falls Khashoggi übergeordneter Erwägungen bedarf.

Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß dieser politische Mord ein Faß zum Überlaufen bringt, das die Greuel und Grausamkeiten der saudischen Herrschaft zu Hause und in der Nachbarschaft über die Jahre gefüllt haben, während Riad von westlichen Mächten protegiert wurde. Die wahhabitische Monarchie praktiziert eine reaktionäre und repressive Auslegung des Korans und herrscht über ein Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten, Frauenrechte und Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt, politische Gegner enthauptet und Frauen wegen Ehebruchs gesteinigt, öffentliche Auspeitschungen und zahlreiche Hinrichtungen durchgeführt werden. Der Bombenkrieg im Jemen tötet Zivilisten, zerstört die Infrastruktur des ärmsten arabischen Landes und hat eine Hungersnot hervorgerufen. Riad unterstützt die Miliz Ahrar al-Scham, die in Syrien einen auf der Scharia gegründeten Gottesstaat errichten wollte. Das und vieles mehr böte Gründe genug, die Kooperation mit diesem Regime zu beenden, dessen Aufstieg zur Regionalmacht als Verbündeter des Westens jedoch alle anderen Parameter aus dem Feld schlägt.

Mit dem wirtschaftlichen Reformprogramm "Vision 2030" will sich Saudi-Arabien vor allem aus der Abhängigkeit von den Öleinnahmen lösen. Das ist bitter nötig, steckt das Land doch in einer multiplen wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und sozialen Krise. Ölpreisverfall, steigende Arbeitslosigkeit und wachsender Widerstand gegen die repressive Staatlichkeit bringen das Herrscherhaus in die Defensive. Aus deutscher Sicht eine wunderbare Gelegenheit, in die Bresche zu springen, das Regime beim Machterhalt mittels Modernisierung zu unterstützen und darüber den Einfluß in dieser Weltregion auszubauen.

Wäre Kronprinz Mohammed bin Salman ein paßförmiger pro-westlicher Reformer, ginge die Rechnung der Bundesregierung auf. Der "verrückte Prinz" geht jedoch zu weit und hat sich mit dem Krieg im Jemen, der Konfrontation mit Katar, der Entführung des libanesischen Ministerpräsidenten oder der zeitweisen Gefangennahme und Folterung führender Repräsentanten der saudischen Wirtschaftselite als zügelloser Machthaber insofern diskreditiert, als westliche Regierungspolitiker sowohl aus innenpolitischen Gründen als auch für den Fall ausbrechender Unruhen und einer sozialen Revolte in Saudi-Arabien auf Abstand zu ihm gehen. Wenngleich alle Welt weiß, daß auch der Mord an Khashoggi auf sein Konto geht und die Aussagen Riads einem primitiven Vertuschungsversuch gleichen, soll er Berichten zufolge persönlich die Kommission leiten, die die Untersuchung führen und die Neuorganisation des Geheimdienstes durchführen wird. [3]

An den engen sicherheitspolitischen Verflechtungen zwischen Berlin und Riad dürfte das kaum etwas ändern. So sind Bundespolizisten seit Jahren in Saudi-Arabien stationiert, um dort offiziell saudische Grenzbeamte, zuweilen aber auch Geheimdienstoffiziere auszubilden. Das BKA führt Lehrgänge zur "Terrorismusbekämpfung" für den saudischen Geheimdienst durch. Technologie zum Ausspionieren von Oppositionellen wird nach Saudi-Arabien exportiert. Rheinmetall beliefert Riad über Tochterfirmen in Italien und in Südafrika mit Rüstungsgütern, um Probleme mit Exportgenehmigungen zu umschiffen. [4] Bereits zugesagte Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sollen weiterlaufen, was auch für die acht weiteren Patrouillenboote gilt, deren Lieferung im Frühjahr genehmigt wurde, da es sich dabei angeblich um keine Offensivwaffen handelt. [5]

Der Rest ist Theaterdonner fürs Publikum. "Was Rüstungsexporte anbelangt, kann das nicht stattfinden, in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind", so die Kanzlerin nebulös. Außenminister Heiko Maas glaubt, daß es bis zum Abschluß der Untersuchungen "keine Grundlage" gibt, "auf der positive Entscheidungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu treffen sind". Die Pseudokonsequenzen sind gezogen, Porzellan wird keines zerschlagen.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/siemens-joe-kaeser-sagt-teilnahme-an-konferenz-in-saudi-arabien-ab-a-1234462.html

[2] www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/siemens-chef-joe-kaeser-sagt-teilnahme-an-investorenkonferenz-in-saudi-arabien-ab/23215752.html

[3] www.wsws.org/de/articles/2018/10/22/khas-o22.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/342075.modernisierte-diktatur.html

[5] www.deutschlandfunk.de/reaktion-auf-den-fall-khashoggi-maas-will-keine-neuen.1766.de.html

23. Oktober 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang