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HERRSCHAFT/1805: Wahlbewerb - zielführend ignorant ... (SB)



AKK, Merz, Spahn - schwer zu sagen, wer schlimmer ist. Ausgiebig wird die Kandidatenkür der CDU als angebliches Hochamt demokratischer Tugenden gefeiert. Dabei werden die Fragen aus dem Publikum vorselektiert, es findet keine spontane Debatte statt, und bei der Abstimmung über den Parteivorsitz in Hamburg werden Funktionäre des mittleren Managements darüber entscheiden, wer den Erhalt ihrer Ämter am wenigsten bedroht und die besten Aufstiegschancen in der Partei verheißt. Die CDU hat nicht zu wenig getan, um die AfD kleinzuhalten, wie Merz zum Mißfallen vieler Parteimitglieder erklärte, sie besetzt deren Positionen mit einer bourgeoisen Selbstzufriedenheit, die den Schatten einer Zukunft massiv repressiver, ggf. militärisch auf Sieg setzender Führung vorauswirft.

Ob der starke Mann der transatlantischen und finanzkapitalistischen Ordnungsgewalt, die im Kampf gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe gestählte Hoffnungsträgerin rechtskonservativer Familienwerte oder der für die autoritäre Durchsetzung biomedizinischer Aneignungsformen eintretende Jungdynamiker - wer gewinnt, macht im Ergebnis der formierten Demokratie kaum einen Unterschied. Die Abgrenzung zur AfD dient vor allem der kosmetischen Aufhübschung im demokratischen Schönheitswettbewerb, sind die Schnittmengen zwischen der weiter nach rechts expandierenden CDU und der Neuen Rechten doch so groß, daß eine Koalitionsregierung zwischen den Unionsparteien und dem parlamentarischen Rechtsausleger auf vielleicht gar nicht so lange Sicht keineswegs ausgeschlossen werden kann.

So sind sich Union und AfD allemal einig darin, der Linksfraktion im Bundestag die Nutzung einer Räumlichkeit des Parlaments zu untersagen, um dort eine szenische Lesung zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands 1918 abzuhalten. Zweifellos vertritt die Linkspartei nicht die Doktrin der KPD, doch das Gedenken an die Novemberrevolution trotz aller ideologischen Differenzen wachzuhalten steht einer Partei, die diese Tradition immer noch weit glaubwürdiger vertritt als die SPD, gut zu Gesicht. Eine CDU, deren Kanzler Adenauer zahlreiche Nazis in Regierungsämter brachte und die mit Erhard und Kiesinger weitere Kollaborateure des NS-Regimes ins oberste Regierungsamt hievte, untersagt unter Beifall der AfD einen der Tradition der revolutionären Linken gewidmeten Festakt mit der Begründung, damit würde eine "totalitäre und antidemokratische Partei" [1] gewürdigt.

In der unionsregierten Bundesrepublik wurden KommunistInnen zu Tausenden von NS-Richtern aus politischen Gründen in den Knast gebracht, die bereits im Kampf gegen Hitler Lagerhaft erlitten und deren verbotene Partei den größten Blutzoll aller damaligen Oppositionsparteien geleistet hatte, nur um in der antikommunistischen BRD wieder verboten zu werden. Doch was geht bigotten Unionschristen und demagogischen Neurechten eine Geschichte an, die nicht die der Gewinner, sondern die des namenlosen und gesichtslosen sozialen Widerstandes ist?

Einig sind sich Union und AfD auch darin, das Ergreifen ernstzunehmender Maßnahmen gegen den Klimawandel nach Kräften zu unterbinden. Als der hochoffiziöse Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) dieser Tage ein Gutachten [2] vorlegte, in dem der Bundesregierung kurz vor dem nächsten Weltklimagipfel konkrete Vorschläge zur Eindämmung des Klimawandels und zur Linderung seiner sozialen Folgen unterbreitet werden, wurde den KlimawissenschaftlerInnen vom Staatssekretär im Forschungsministerium Schütte eine kalte Abfuhr erteilt. Er lastete ihnen borniertes Insistieren auf die moralischen Implikationen der sich anbahnenden Weltkatastrophe an, stellte sie als Diskussionsverweigerer dar und bestritt ihre Legitimation, politische Vorschläge zu unterbreiten [3]. Als geradezu skandalös wurde wohl ihre Forderung empfunden, den Opfern des von den Industriestaaten des Nordens initiierten Klimawandels die Prozeßkosten bei Klagen gegen deutsche Konzerne nach dem Verursacherprinzip zu erstatten und vor den Folgen klimabedingter Zerstörungen Flüchtenden die Aufnahme in der Bundesrepublik anzubieten.

Wenn schon einmal einige beherzte WissenschaftlerInnen den akademischen Elfenbeinturm verlassen und sich in gutgemeinter Absicht in den politischen Streit begeben, dann wird ihnen von der maßgeblich unter Unionseinfluß stehenden Bundesregierung klargemacht, daß man sie dafür nicht berufen hat und sie sich gefälligst nicht in Dinge einmischen sollen, die sie nichts angehen. Das paternalistische Verständnis von Demokratie des derzeit die Lande heimsuchenden Angebots an wahlstrategisch ermittelter Durchschnittlichkeit und denkbar größter Normalität besagt, die Menschen vor eine eng begrenzte Auswahl von Möglichkeiten zu stellen und sie in die Reuse des jeweils kleineren Übels zu treiben. So sollen sie etwa zwischen kohlebedingter Umweltzerstörung und lohnabhängiger Erwerbsarbeit wählen - akzeptieren sie die den Wirtschaftsstandort Deutschland sicherende Zerstörung der Lebensgrundlagen nicht, dann bleibt der Teller gleich leer, unterwerfen sie sich der Vernunft des Weiter so, dann wird der Mangel an Nahrungsmitteln in eine nicht allzu ferne Zukunft mit allerdings verheerenden Konsequenzen verschoben.

Basisdemokratie ist nicht vorgesehen, die könnte zu Sozialismus oder Schlimmerem führen. Die mit starker massenmedialer Resonanz zelebrierte Kandidatenkür führt den Menschen deutlich vor Augen, daß die Feier der Demokratie nicht mit der Einlösung ihrer expliziten Ansprüche zu verwechseln ist, doch wer will so etwas Ernüchterndes schon zur Kenntnis nehmen. Da macht die personifizierte Wahl des Versprechens auf einen Staat, in dem honoriert wird, wer sich unterwirft, und bestraft wird, wer aufbegehrt, mehr Sinn. Sie deckt die offenen Wunden klassengesellschaftlicher Widersprüche mit den Ausdünstungen des Wohlgefühls zu, daß doch alle irgendwie eine große Familie sind, wenn sie nur den deutschen Paß haben und sich der herrschenden Geschäftsordnung unterwerfen. Mit den Füßen abgestimmt wird ohnehin am Black Friday, wenn die Menschen sich am Glück kostengünstigen Konsums berauschen. Auf der politischen Ebene gilt um so mehr ein Angebot, das niemand ausschlagen kann - wer dazugehören will und zustimmt, erhält von demjenigen, was ihm bereits genommen wurde, etwas mehr als diejenigen, die ganz leer ausgehen.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/344451.geschichtsverdrehung-dagegen-steht-eine-unheimliche-allianz.html

[2] https://www.wbgu.de/pp9/

[3] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2018/klimawandel292_page-1.html

30. November 2018


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