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HERRSCHAFT/1806: Gelbwesten - Kostenaufstand, umweltfreundlich ... (SB)



Der Twitter-Präsident freut sich. Er sei froh, daß sein Freund Emmanuel Macron und die Protestierenden von Paris übereinstimmend zu einem Schluß gelangt seien, den er schon vor zwei Jahren gezogen habe: Das Paris-Abkommen führe vollständig in die Irre, weil es den Energiepreis für verantwortungsbewußte Länder in die Höhe treibe, während einige der schlimmsten Verschmutzer weißgewaschen würden [1]. Trumps Wink mit dem Zaunpfahl soll vor allem China treffen. Die USA, für die er das Paris-Abkommen aufgekündigt hat, weil es dem Land mit den höchsten CO2-Emissionen pro Kopf der Bevölkerung weltweit empfindliche Wettbewerbsnachteile am globalen Markt bescherte, wird er mit dieser Scharade kaum meinen.

Indem Trump den französischen Präsidenten und die gegen ihn protestierenden Gelbwesten auf eine Seite stellt, macht der Immobilien-Millionär nichts anderes, als erklärte er der eigenen Bevölkerung, mit seiner Politik vor allem das Wohlbefinden der einfachen Lohnabhängigen in den USA im Sinn zu haben. Demagogische Blenderei gehört zum Handwerk und verfängt offensichtlich zumindest bei seiner Klientel so sehr, daß der US-Präsident weit fester im Sattel sitzt, als es zu Beginn seiner Amtszeit aussah. Mit der Bekräftigung der imperialistischen Staatenkonkurrenz, die für das Scheitern des Ergreifens wirksamer Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels vor allem verantwortlich ist, liegt er durchaus auf Macrons Linie. Daß diesem die Quittung für eine ökologisch begründete Steuerpolitik präsentiert wird, mit der die Lohnabhängigenklasse für die Kosten der Reduzierung des Verbrauchs fossiler Energie überproportional belastet werden sollte, könnte dem führenden Verweigerer entschiedener klimapolitischer Maßnahmen nicht gelegener kommen.

Zwar hat Macron diese Maßnahme unter dem Druck der Proteste ersteinmal zurückgestellt, doch die Gelbwesten sind längst darüber hinaus, wie eine Einpunktbewegung durch dieses Zugeständnis zufriedengestellt zu werden. So heterogen die Akteure und politischen Positionen der neuen Massenbewegung in Frankreich sind, so sehr repräsentieren sie das aufständische Potential einer Bevölkerung, der mit neoliberaler Kostensenkung die Butter vom Brot genommen und anstelle dessen das zweifelhafte Versprechen gemacht wird, dafür bessere Luft zum Atmen zu bekommen. Begriffen hat die Bewegung der Gelbwesten auf jeden Fall, daß diese Form ökologischer Transformation mit sozial repressiven Mitteln vollzogen werden soll, indem überall dort, wo CO2-Emissionen bepreist werden, ihr Anteil an verfügbaren Lebensmitteln weiter zusammengestrichen wird.

Insbesondere die in ländlichen Gebieten lebende Bevölkerung vermutet zu Recht, daß künftige Verbrauchssteuern ihr Leben schwieriger machen. So existiert anstelle des Autos, dessen Treibstoff sie nicht mehr bezahlen können, meist kein gut ausbauter ÖPNV. Bei anstehenden Regulierungen wie dem Verbot des Heizens mit selbstgeschlagenem Holz fehlt es an kostengünstigen Alternativen. Beim Überleben in strukturschwachen Gebieten sind die Menschen angesichts der dort herrschenden Armut häufig auf Subsistenzformen angewiesen, deren Ausfall schwerwiegende Folgen haben und dementsprechend Widerstand hervorrufen kann. Was aus Sicht gutverdienender Metropolengesellschaften gar nicht als Problem wahrgenommen wird, hat dieses Mal zu einer vernehmlichen Reaktion geführt, die nicht von linken Vordenkern oder rechten Populisten ausging, sondern unter den direkt Betroffenen entstanden ist.

Von daher kann dieser Bewegung, deren Entstehung einer ökologischen Steuerreform geschuldet ist, nicht ohne weiteres nachgesagt werden, sie sei prinzipiell gegen ökologisch begründete Maßnahmen. Ganz sicher jedoch ist sie gegen eine einseitige Belastung derjenigen, die im globalen Süden heute schon und in gemäßigten Breitengraden in absehbarer Zeit unter den Folgen des Klimawandels leiden, ohne ihn in erster Linie verursacht zu haben. Vor welchen Schwierigkeiten das grünkapitalistische Lösungsmodell einer Verteuerung des allgemeinen Verbrauchs und seine marktwirtschaftliche Umsteuerung auf erneuerbare Energien, auf E-Mobilität, auf teure Maßnahmen zur Wärmedämmung und eine Verknappung bestimmter Nahrungsmittel steht, wird in Frankreich schon heute deutlich.

Den sozialen Charakter des Aufstandes der Gelbwesten und das unter ihnen durchaus vorhandene Interesse an ökologischer Politik haben verschiedene VordenkerInnen der französischen Linken und Grünen hervorgehoben [2]. MigrantInnen artikulieren ihre Forderungen als Gelbwesten, SchülerInnen schließen sich der Bewegung im Rahmen eines Bildungsstreikes an, Jean-Luc Mélenchon versucht, sie zu einem Gefährt seiner politischen Ambitionen im Rahmen von La France insoumise zu machen, und Amazon-Streikende werden von Gelbwesten unterstützt. Die militante Bewegung läßt sich keineswegs eindeutig im Lager der nationalchauvinistischen Rechten verorten, auch wenn sie von dort viel Zulauf erhält. Der für seine Unterstützung neokolonialistischer Kriege bekannte Vorzeigeintellektuelle Bernard-Henri Lévy hat sich mit dieser Begründung auf die Seite Macrons geschlagen und verurteilt die Gelbwesten als rechtsextrem. Damit liegt er bei der Neuen Rechten hierzulande, die derzeit auf dem Ticket der Gelbwesten sogenannten Widerstand simuliert, nicht falsch. Wenn Parteigänger der AfD die Militanz in Frankreich bejubeln, bleibt zu fragen, warum sie die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg so vehement verurteilt haben.

Eine schnelle Zuordnung der Gelbwesten in dieses oder jene politische Lager ist in Anbetracht dessen, daß es für ihren Widerstand angesichts des neoliberalen Politikwechsels, mit dem Macron das Land nach deutschem Vorbild produktiv machen will, gute Gründe gibt, nicht erforderlich. Mit dem Niedergang der sozialdemokratischen Linken, die mit Francois Hollande bis Anfang 2017 den Präsidenten stellte, um als Parti socialiste bei der Präsidenschaftswahl, wo sie weniger als 7 Prozent der Stimmen erhielt, praktisch von der politischen Bühne zu verschwinden, findet in Frankreich eine ähnliche Entwicklung wie in der Bundesrepublik statt. Eine Linke, deren Integration in das kapitalistische Staatsmodell krisenbedingt kaum noch für die wenigen sozialen Legitimationsornamente gut ist, die ihr ramponiertes Ansehen aufhübschen, scheint die Bevölkerung so wenig zu beeindrucken, daß die extreme Rechte mit der bloßen Behauptung, das hegemoniale Umverteilungsmodell würde funktionieren, wenn die Ausländer draußen und die Linken unten blieben, bei ihr punkten kann.

Die Glaubwürdigkeit der bislang wohl nicht zentral organisierten Militanz der Gelbwesten steht und fällt mit dem Gelingen des Versuchs, sie in Partei- und Organisationsstrukturen einzubinden, deren spezifische ideologische Ausrichtung Schluß macht mit aller spontanen Solidarität. Was sie auf jeden Fall schon jetzt erreicht hat, ist, die Legitimation eines grünen Kapitalismus zu erschüttern, der sich dadurch auszeichnet, die herrschenden Ordnungs- und Eigentumsstrukturen bei denjenigen unangetastet zu lassen, die die administrative und wirtschaftliche Verfügungsgewalt über Staat und Gesellschaft innehaben.


Fußnoten:


[1] https://www.metro.news/donald-trump-paris-riots-show-i-was-right-on-climate-deal/1338951/

[2] https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/frankreich-gelbwesten-protest-bewegung


9. Dezember 2018


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