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HERRSCHAFT/1844: Landtagswahlen - Vermögensscheindebatte ... (SB)



Wie die SPD den Reichtum missversteht. Die SPD fordert eine Vermögenssteuer. Das zeigt: Sie hat nicht kapiert, wozu ein Vermögen überhaupt da ist.
Titel eines Beitrags der F.A.Z. zum aktuellen Vorstoß der SPD [1]

Die SPD hat über die Jahre nichts unversucht gelassen, ihre Klientel über den Tisch zu ziehen, als Klasse zu zerschlagen und ihren Widerstand einzudampfen. Damit hat sie sich überflüssig gemacht - und das nicht nur, was die Wählerschaft betrifft, sondern auch aus Perspektive der Herrschaftssicherung, deren Favoriten heute je nach Bedarf entweder die Grünen oder die AfD sind. Beide können im Unterschied zu den alten Volksparteien mit einem Entwurf aufwarten, der den Menschen suggeriert, es gebe eine bessere Zukunft, womit die erforderliche Bindekraft parteipolitischer Heilsversprechen gesichert wäre. Als die Sozialdemokraten nach der ebenso langen wie zähen Ära Helmut Kohls 1998 zusammen mit den Grünen an die Regierung kamen, nutzten sie den von Reformerwartungen getragenen Schub, um den tiefgreifendsten sozialen Konter in der Geschichte des Bundesrepublik durchzusetzen. In einer beispiellosen neoliberalen Offensive wurden Hartz IV, Aushöhlung des Gesundheitssystems, Privatisierung der Altersvorsorge, Steuersenkungen für Spitzenverdiener, Erben und Spekulanten sowie eine Deregulierung der Finanzmärkte auf den Weg gebracht.

Im damaligen Wahlkampf hatte die SPD eine "Steuerreform der Solidarität" einschließlich einer Wiedereinführung der erst 1997 abgeschafften Vermögenssteuer in Aussicht gestellt, damit "hohe Privatvermögen an der Finanzierung der Bildung" beteiligt werden. Aus dieser stärkeren Inanspruchnahme der Reichen zur Bewältigung zentraler gesellschaftlicher Aufgaben wurde bekanntlich nichts. Ganz im Gegenteil hat die soziale Ungleichheit in Deutschland in keiner anderen Phase seit dem Zweiten Weltkrieg so dramatisch zugenommen wie in den Nullerjahren, und diese Kluft ist seither unablässig weiter gewachsen. [2]

Die Sozialdemokraten haben sich von der Agenda 2010 nie glaubwürdig abgekehrt und auch nicht für die Abschaffung von Hartz stark gemacht, dessen zehnjähriges Bestehen sogar von ihnen als herausragende Leistung der Partei gefeiert wurde. Da sich ihre Mitgliederzahlen und Wählerstimmen jedoch inzwischen mehr als halbiert haben, treibt die Angst vor dem Absturz immer neue Blüten, der Partei einen attraktiveren Anstrich zu verleihen, ohne den angelegten Kurs grundsätzlich zu ändern. Daraus resultieren Sequenzen verzweifelter Euphorie, wenn vorgebliche personelle Alternativen wie seinerzeit Martin Schulz emporschnellen, worauf sie um so verheerender abschmieren. Eingedenk der Kritik, daß frühere sozialdemokratische Kernpositionen preisgegeben worden seien, ringt sich die Parteiführung pseudolinke Signale ab, wenn etwa die Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Bezieher gemildert werden sollen, doch der kompletten Entsorgung des gesamten Armuts- und Abstrafungssystems eine dezidierte Absage erteilt wird. Derartige Gesten, die einer Hoffnung auf mehr Wählerstimmen geschuldet sind, werden zumeist in ihrer Bedeutungslosigkeit als solche wahrgenommen und bleiben mehr oder minder folgenlos.

Obgleich es längst zur Regel geworden ist, daß die SPD aus großen Koalitionen stets als Verliererin hervorgeht, wagt sie nicht einmal den Schritt in die Opposition. Statt zumindest zu versuchen, sich dort neu aufzustellen, wie es im Politjargon so schön heißt, fürchtet sie offenbar viel mehr, völlig in Vergessenheit zu geraten, sobald sie der großen Bühne aktueller Regierungspolitik den Rücken kehrt. Wenn sie nun die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ins Gespräch bringt, geschieht dies in der Gewißheit, daß dies weder mit der Union umsetzbar ist noch eine rot-rot-grüne Mehrheit in Aussicht steht. Es handelt sich also um bloße Symbolpolitik, die bei der Wählerschaft kurzfristig punkten soll, aber keinerlei Konsequenzen haben wird.

Dies unterstreicht auch der Zeitpunkt, zu dem dieses Thema ventiliert wird. Wenngleich die Vermögenssteuer ein sozialdemokratischer Dauerbrenner vor Wahlen ist, hatte die SPD im Frühjahr 2017 entschieden, sie im damals anstehenden Bundestagswahlkampf nicht zum Thema zu machen. Stattdessen wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Frage umfassend zu beleuchten. Das nun vom Präsidium gebilligte Ergebnispapier trägt die Überschrift: "Die Vermögensbesteuerung wiedereinführen!" Es bleibt ungeachtet der ausgiebigen Vorlaufzeit der Arbeitsgruppe reichlich vage, was damit entschuldigt wird, daß das Konzept bis zum Parteitag Anfang Dezember konkretisiert und dann abgestimmt werden soll. Warum der halbgare Entwurf gerade jetzt präsentiert wird, liegt auf der Hand. Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, bald darauf auch in Thüringen, stehen vor der Tür, während schlingernde Umfragewerte vage Rettungshoffnungen nähren, ohne ein katastrophales Desaster beim Urnengang auszuschließen. Deshalb setzt die Parteiführung auf das Kalkül, daß die bloße Idee, man könne ausnahmsweise die Superreichen ein wenig mehr schröpfen, auf breite Zustimmung in der Bevölkerung trifft, was sich womöglich in dem einen oder anderen Kreuz für die SPD auf dem Wahlzettel niederschlagen könnte.

Was sieht das Konzept vor? Geht es nach dem Präsidium und dem Interimsvorsitzenden der Partei, Thorsten Schäfer-Gümbel, sollen möglichst bald "besonders reiche Teile der Bevölkerung" ein Prozent Steuern auf Vermögenswerte wie Grundstücke, Immobilien, Unternehmensanteile und Bargeld zahlen. Bei besonders hohen Summen seien auch 1,5 Prozent denkbar, so Schäfer-Gümbel. "Wir wollen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen wieder stärker in den Mittelpunkt stellen." Jährlich sollen auf diese Weise rund zehn Milliarden Euro in die Haushalte der Bundesländer fließen, es handelt sich um eine Ländersteuer. Wenngleich von üppigen Freibeträgen die Rede ist, legt sich die SPD vorerst nicht auf genaue Summen fest. "Wir sprechen von Multimillionären, also geht es mindestens um zwei Millionen Euro", erklärte Schäfer-Gümbel lediglich nebulös. [3] Außerdem solle es für Betriebsvermögen "Verschonungsregeln im Krisenfall" geben. Die zwei Millionen Euro Freibetrag sind genau die Zahl, die von einigen SPD-geführten Bundesländern bereits im Jahr 2012 in einem Entwurf eingebracht wurde. [4]

Wenngleich es sich also um eine alte Kamelle handelt, die schon reichlich folgenlos abgelutscht ist, versichert Schäfer-Gümbel, man greife damit ein "wirkliches Gerechtigkeitsthema" auf. Die ungleiche Verteilung des Vermögens in Deutschland sorge für ein ausgeprägtes "Ungerechtigkeitsgefühl". Auch gehe es um einen "substanziellen Teil unseres Profils". Der SPD sei immer wieder vorgeworfen worden, Gerechtigkeitsfragen nicht zu beantworten. Der Vorstoß zur Vermögenssteuer solle "die Dynamik in der Debatte erhöhen". Zugleich weist er Kritik zurück, wonach die Steuer zu bürokratisch sei und die Wirtschaft zu stark belaste. Der bürokratische Aufwand sei "beherrschbar", da laut Experten mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand von fünf bis acht Prozent des Steueraufkommens zu rechnen sei. Auch würden Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze "überhaupt nicht" gefährdet.

Nachdem die SPD somit klargestellt hat, daß sie wirklich niemandem wehtun will, außer vielleicht ein paar Superreiche zaghaft zu kitzeln, und man ohnehin davon ausgehen kann, daß sich das Vorhaben in einer Profilpolitur als Wahlkampfmanöver erschöpfen wird, wäre damit beinahe schon alles Erwähnenswerte über diese sozialdemokratische Scheindebatte gesagt. Wohl wissend, daß es sich um viel mehr auch nicht handelt, setzt es dennoch herbe Schelte. Daß die SPD überhaupt an diesem Thema rührt, wo doch das deutsche Wachstum einbricht und die Rezession um die Ecke lugt, kommt in Wirtschaftskreisen wie auch beim Koalitionspartner überhaupt nicht gut an. Da hilft es auch nicht, daß Schäfer-Gümbel betont, das Projekt sei "nicht auf den aktuellen Koalitionsvertrag gerichtet".

Gegenwind kommt prompt aus der Union: Ihr gehe es nicht darum, Steuern zu erhöhen, sondern um die Frage, "wo wir entlasten und anreizen können", so die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. "Die Vermögenssteuer ist das falsche Instrument zur falschen Zeit", meint CSU-Chef Markus Söder. Nötig sei stattdessen eine Steuerreform, die den Mittelstand entlaste. Und Hans Michelbach, CSU-Finanzpolitiker im Bundestag, legt noch einen drauf: Der Plan sei die "versuchte Wiederbelebung eines sozialistischen Dinosauriers". Die SPD vergifte damit das gesellschaftliche Klima in Deutschland und knüpfe "nahtlos an die SED-Ideologie an". [5] Besser kann allenfalls noch die bereits eingangs zitierte F.A.Z. erklären, was hierzulande Sache ist: "Der folgende Satz klingt im ersten Moment paradox, er ist aber wahr: Eine hohe Vermögensungleichheit ist ein Indiz dafür, dass der Wohlfahrtsstaat in einem Land gut ausgebaut ist."

Folgt man dieser These, könnte es uns kaum besser gehen, ist Deutschland doch ein Steuerparadies für Superreiche. Der Spitzensteuersatz ist über die Jahre von 53 auf 42 Prozent gesunken, die Erbschaftssteuer ist vergleichsweise niedrig und die Vermögenssteuer seit mehr als 20 Jahren abgeschafft. Nach den Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verfügen die 45 reichsten Familien über so viel Vermögen wie die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Was will man mehr?


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vermoegenssteuer-forderung-wie-die-spd-reichtum-falsch-versteht-16349698.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/361597.keine-gefahr-für-reiche.html

[3] www.welt.de/wirtschaft/article199198211/Vermoegenssteuer-Internationaler-Vergleich-erklaert-Steuer-Debatte.html

[4] www.n-tv.de/politik/SPD-macht-Ernst-mit-der-Vermoegensteuer-article21230901.html

[5] www.tagesspiegel.de/politik/spd-plant-vermoegensteuer-ein-prozent-auf-alles-fuer-multimillionaere/24943320.html

28. August 2019


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