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HERRSCHAFT/1872: Frauentag - Kampf mit offenem Blick ... (SB)



Unser Erbe sind die unterschiedlichsten feministischen Strömungen, Kämpfe und Bewegungen, die sich gegen Ausbeutung und das Patriarchat gerichtet haben. Wir fühlen uns einer Situation ausgesetzt, in der Ungerechtigkeit, Armut, Rassismus, imperialistische Kriege und eine patriarchale Weltordnung immer noch unser Leben bestimmen. Uns ist bewusst, dass uns die Definition Frau* keineswegs in unserer Diversität darstellen kann. Uns ist bewusst, dass uns das patriarchale System als Frauen* sozialisiert und uns die unbezahlte Reproduktionsarbeit aufzwingt. Uns ist aber auch bewusst, dass wir mehr sind als das Geschlecht, dem wir zugeschrieben werden und dass das, was uns ausmacht, auch von unserem politischen und sozialen Bewusstsein abhängt.
Aus dem Manifest der Gruppe kali [1]

Befreit vom historischen Vermächtnis der sozialistischen Frauenbewegung, die das kämpferische Anliegen der Frauenemanzipation mit der revolutionären Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft wie selbstverständlich zusammendachte, und an die Beliebigkeit des Tages der Sparkassen oder des Waldes gemahnend wurde mit dem Frauentag ein begrifflicher Kompromiß geschaffen, der fast niemandem wehtut. Wenn schon Drogerieketten und Bekleidungsgeschäfte zum 8. März mit Rabattaktionen und besonderen Angeboten aufwarten [2], die mit Gender-Marketing klassische Geschlechterstereotypien bedienen, dann ist es nicht mehr weit bis dahin, daß der Frauentag wie Mutter- oder Valentinstag als Ritual der Belohnung für die klaglose Unterwerfung unter all das gehandelt wird, was Frauen an erster Stelle genommen wurde.

Aus gutem, streitbarem Grund benennen die Bündnisse, die die Demonstrationen am 8. März vorbereiten, diesen Tag als Internationalen Frauenkampftag oder widmen ihn dem Feministischen Frauenstreik, mal mit, mal ohne Genderstern. Wie anders sollten sich Frauen und dritte Geschlechter in einer patriarchalen Gesellschaft positionieren, die vermeintlich männliche Qualitäten und Verhaltensweisen nach wie vor favorisiert und belohnt? Diese Auseinandersetzung, die menschliche Vergesellschaftungspraktiken seit mindestens 5000 Jahren bestimmt, läßt sich nicht einfach per Dekret oder Gesetz beilegen.

Selbst wenn es nicht so wäre, verwahren sich große Teile der Gesellschaft dem Anliegen der Frauenemanzipation, wie die Beibehaltung des Abtreibungsverbotes und die strukturelle Benachteiligung von LGBTIQ-Menschen belegt. Die administrative Kontrolle über die biologische Reproduktion der Gesellschaft greift auf unmittelbar physische Weise auf die Körper von Frauen zu, indem sie medizinischen Maßnahmen und sozialen Einschränkungen zu dem einzigen Zweck ausgesetzt werden, neue Menschen für Staat und Nation, für Fabrik und Armee auf die Welt zu bringen. Die patriarchale Ordnung steckt nicht etwa in den Genen, wie die vermeintlichen Herren der Schöpfung behaupten, sondern stützt sich auf die Verinnerlichung einer sozialdarwinistischen Überlebensdoktrin, die im schlimmsten Fall Staatenkriege und genozidale Vernichtung hervorbringt. Sie drückt sich aus im Anspruch auf die rücksichtslose Ausbeutung der Natur als sogenannte Ressource eigenen Verbrauches und ist daher auch Gegenstand der Kritik sozialökologischer und ökofeministischer Bewegungen.

Was bei den regierungsamtlichen, am Frauentag als gesellschaftliche Errungenschaft gefeierten Gleichstellungspolitiken herauskommt, ist sicher besser als gar nichts, bewegt sich jedoch am empfindlichen Punkt der Überwindung patriarchaler Herrschaft gezielt vorbei. Führende Positionen in Großkonzernen paritätisch mit Frauen zu besetzen, ohne die neokolonialistische Ausbeutung des Globalen Südens zum Problem zu erheben, unter der insbesondere Frauen zu leiden haben, ist ein Beispiel für patriarchal bedingte Gleichstellungspolitik, die Bundeswehr in allen Bereichen weiblichen und LGBTIQ-SoldatInnen zu öffnen, die dem deutschen Imperialismus mit verheerenden Folgen für die in den Zielgebieten deutscher Kampfflugzeuge lebenden Menschen zum Erfolg verhelfen, ein anderes. Wenn eine Hillary Clinton als Feministin bejubelt wird, deren Außenpolitik zahllose Menschenleben kostete und die zugunsten ihres Ehemannes Bill Clinton in den 1990er Jahren einen der brutalsten Angriffe auf die EmpfängerInnen von Sozialtransfers befürwortet hat, ist das Ausdruck eines von neofeudalen Attributen zur Herrschaftsform entwickelten Elitenfeminismus, dem Frauenemanzipation und die Anerkennung nichtbinärer Geschlechter ein willkommenes Legitimationsvehikel ist.

All das läßt sich in den Frauentag integrieren, doch stößt es bei den Bewegungen für emanzipatorische und sozialrevolutionäre Geschlechtergerechtigkeit auf Widerstand. Wo das universale Gleichheitsprinzip hochgehalten wird, gilt es nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern für alle Geschlechter, die Menschen für sich in Anspruch nehmen. Ob unter dem Akronym LGBTIQ oder FLINT versammelt, ob mit Binnen-I grammatisch zusammengefaßt oder mit Genderstern Inklusivität und Diversität einfordernd, ist die Aufhebung der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit zumindest für diese Bewegung unumkehrbar. Warum auf das biologische Geschlecht bestehen, wenn das soziale Geschlecht hauptsächliches Angriffsziel maskuliner Gewalt gegen Frauen, Schwule und Lesben, Trans- und Inter-Menschen ist? Als Katalysator tradierter Rollenvorstellungen zur Überwindung jeglicher Fremdverfügbarkeit durch Kategorien und Normen, durch Vergleichsparameter und Stigmatisierungen ist der Kampf gegen binäre Geschlechtervorstellungen längst kein Privileg der Industriegesellschaften Nordamerikas und Westeuropas mehr, sondern auch im Trikont ein viele Menschen aus schmerzlicher Betroffenheit tief bewegendes Thema.


Unumkehrbare Vielfalt der Geschlechter

Wie sehr die Frauenbewegung gerade in dieser Hinsicht im Umbruch ist, belegt der Streit zwischen der zweiten und dritten Generation feministischer Aktivistinnen um das Verhältnis von biologischem und sozialem Geschlecht. Wo sich Frauen, die das biologisch bestimmte Kriterium des Geschlechtes gegen die vermeintliche Mißachtung ihrer spezifischen Unterdrückung durch die Aufhebung der binären Geschlechterordnung verteidigen, will der Queerfeminismus die soziale und gesellschaftliche Rollenzuweisung, die Menschen in ihrer jeweiligen Geschlechtlichkeit identifizierbar und verfügbar macht, im Ganzen überwinden [3]. Das wiederum negiert Geschlechtlichkeit nicht, aber löst sie von einer praktisch zum Seinszweck erhobenen Biologie, die als Hebel maskuliner Machtausübung so bewährt ist, daß der Anspruch auf naturgegebene Festlegung unter anderem im Antifeminismus der Neuen Rechten massiv verteidigt wird.

Der Streit um das Verhältnis von Sex und Gender, von biologischem und sozialem Geschlecht setzt feministische Bewegungen einer großen Belastungsprobe aus. Das ist aufgrund der massiv gegen "Genderwahn" hetzenden AfD und der weltweit eskalierenden antifeministischen wie trans- und interphoben Gewalt auch ein Problem notwendiger Verteidigung erreichter Emanzipationsschritte gegen den Rollback, mit dem die Neue Rechte Frauen zurück in die Pflicht klagloser Arbeit im Haushalt und für den Nachwuchs drängen will. Dieser Angriff richtete sich darüber hinaus gegen alles, was andere an dieser Welt für liebens- und erhaltenswert erachten, weil es dem Erhalt und Schutz des Schwachen und Verletzlichen, des Unscheinbaren und Unsichtbaren gewidmet ist.

So ließ Judith Butler, die mit ihrem epochalen Werk "Gender Trouble" vor 30 Jahren die alternativlos erscheinende Herrschaft der Zweigeschlechtlichkeit erschütterte, bei einem Vortrag Ende Januar in Berlin erkennen, daß ihr Werteuniversalismus auch die nichtmenschliche Welt einschließt. Für sie würden in den Gender Studies, die im Mittelpunkt des antifeministischen Feindbildes der Neue Rechten stehen, nicht nur Geschlechterfragen verhandelt, sondern es ginge allgemein darum, "eine Welt größerer Gleichheit und Freiheit vorstellbar zu machen, aber auch eine der sozialen Würde und des lebenswerten Lebens; die Verbindung zwischen sozialen Kämpfen und dem Kampf für die Erde zu verstehen, deren Existenzrechte nicht die Form menschlichen Rechts annehmen, sondern diesem übergeordnet sind" [4].

Einig sind sich die am Internationalen Frauenkampftag protestierenden Menschen zweifellos darin, daß sie, wenn sie nicht dagegen angehen, Gefahr laufen, maskuliner Gewalt und rechtem Haß auf alle sich nicht unterwerfenden Frauen und abweichenden Formen sexueller Orientierung zum Opfer zu fallen. Schon von daher wäre die Besinnung auf den gemeinsamen Kampf, der auch Ausdruck im internationalen Anspruch des Frauenkampftages findet, ein dringliches Ziel.


Aus der Perspektive des Globalen Südens die Kämpfe erweitern

Das sollte um so leichter fallen, als die Lebensverhältnisse in anderen Teilen der Welt für Frauen und heterosexuell orientierte Minderheiten nach wie vor so grausam und brutal sind, daß es niemals genug Solidarität mit den dort ausgetragenen Kämpfen geben kann. Die hohe Zahl von Femiziden und Morden an Trans-Menschen in Mexiko, Argentinien, Brasilien, Indien wie anderen Ländern des Globalen Südens; die ohnmächtige Situation von Vergewaltigungsopfern in manchen islamischen Gesellschaften, wo, wie zum Beispiel für die Türkei geplant, die Vergewaltigung selbst von Minderjährigen straffrei bleiben soll, wenn die Vergewaltiger ihr Opfer heiraten; die in Osteuropa trotz allem Anspruch auf offene Gesellschaften grassierende Homophobie; die massive Benachteiligung weiblicher Gewaltopfer in Rußland; die zur Rettung ihrer erstrittenen Errungenschaften mit der Waffe in der Hand gegen islamistische Frauenhasser, die von der Türkei direkt und von Deutschland mittelbar unterstützt werden, kämpfenden Kurdinnen ... die Liste der Anlässe, sich mit Frauen, Migrantinnen, und Arbeiterinnen in aller Welt zu verbünden, ist schier endlos.

Und sie endet nicht dort, wo das unreformierte Patriarchat den Ton angibt. Wenn zum Beispiel afroamerikanische Frauen in den USA innerhalb feministischer Gruppen von weißen Aktivistinnen diskriminiert werden oder schwarze Frauen in der Bundesrepublik angegriffen werden, weil sie lesbisch sind und keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, dann handelt es sich um Formen der Mehrfachunterdrückung, zu deren Bekämpfung das Konzept der Intersektionalität entwickelt wurde. Um race, class und gender gruppierte, aber nicht auf die Trias von Ethnie, Klasse und Geschlecht beschränkte Formen einander überschneidener Diskriminierungen zusammenzudenken ist das beste Mittel, um das unter einigen Linken immer noch als unvereinbar betrachtete Verhältnis von Klassen- und Identitätskämpfen zugunsten einer komplementären Verstärkung aufzuheben, die im Endeffekt auch nichtmenschliche Lebewesen einschließen könnte.

Zum Internationalen Frauenkampftag erklären immer mehr feministische Gruppen [5] [6] den Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Kriege wie die prinzipielle Solidarität mit flüchtenden und von Rassismus betroffenen Menschen zum integralen Bestandteil ihres Anliegens. Das macht Mut und läßt eine Zukunft erstehen, in der die Solidarität aller von Kapital und Patriarchat beherrschten Menschen so haltbar und kraftvoll wird, daß die diese Welt beherrschenden und zu Grunde richtenden Individuen und Interessen wirksam in ihre Schranken gewiesen werden.


Fußnoten:

[1] https://kalifeminists.wordpress.com/ueber/

[2] https://www.br.de/puls/themen/welt/weltfrauentag-kein-werbegag-100.html

[3] https://www.akweb.de/ak_s/ak657/23.htm?fbclid=IwAR2tZLOqCqYLjecv4h7AffeEDTlgtUXVgk8yxgQHsk-NKOf3FImwqb8_RM4

[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/30-jahre-gender-trouble-von-judith-butler-explosiver.2162.de.html?dram:article_id=471344

[5] https://www.klassegegenklasse.org/rassistische-und-sexistische-spaltung-ueberwinden-fuer-einen-feminismus-der-arbeiterinnen/

[6] https://www.viewpointmag.com/2020/03/04/transborder-call-for-a-feminist-strike-on-march-8th-and-9th-2020/?fbclid=IwAR2JLCNMdHycTdowt48cKit_qnet29I-jrPrXWIcjGHI0uky9DIUH4V7i9U

7. März 2020


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