Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0833: Zeitungen auf dem iPad ... mobiler Medienkonsum unter inhaltlichem Vorbehalt (SB)



Von der Verbreitung des Apple iPad versprechen sich die Zeitungsverlage wahre Wunder. Endlich biete sich die Möglichkeit, bislang kostenlos verfügbaren Content auf einer Plattform anzubieten, mit der das Bezahlen redaktioneller Inhalte wieder attraktiv werde. Dies sei zum einen Folge der leichten Bedienbarkeit des Geräts, wodurch auch Kreise des Publikums, die das Lesen am Computer bisher ablehnten, für die elektronischen Lektüre zu gewinnen seien. Zum andern biete die von Apple kontrollierte Distribution die Gewähr, daß die Verwertungsbedingungen eingehalten würden.

Um den Schritt zum Paid Content vollziehen zu können, sind die Verlage neben dem Abführen eines nicht unbeträchtlichen Anteils an den Erlösen an Apple bereit, das Vorrecht des Konzerns zu akzeptieren, mißliebige Inhalte unterdrücken zu können. Die Verfügungsgewalt Apples über die eigene elektronische Infrastruktur geht so weit, daß sie Angebote ohne vorherige Konsultation des Anbieters von einem Augenblick auf den andern entfernen kann. So mußte Stern.de hinnehmen, daß sein App, über das sein Angebot auf dem iPhone verfügbar gemacht wird, aufgrund einer erotischen Fotostrecke kurzerhand gelöscht wurde. Rechtlich scheint dagegen nichts einzuwenden zu sein, akzeptiert ein Verlag, der diese Vertriebsplattform wählt und dazu ein App entwickelt, doch die Geschäftsbedingungen Apples. Darin wird unter anderem verfügt, daß sittenwidrige Abbildungen oder anderes Material, das die Nutzer beanstanden könnten, nicht gestattet sind. Das hat etwa dazu geführt, daß das App eines Entwicklers abgelehnt wurde, weil es das Kamasutra, ein klassisches indisches Werk zum Thema der erotischen Liebe, verfügbar machen sollte.

Der von den Verlagen geschätzte Vorteil, mit dem System der Apps über ein vertikal integriertes, umfassend kontrolliertes Distributionssystem nach Art des klassischen Zeitungsverkaufs zu verfügen, bringt mithin den Nachteil mit sich, daß der Anbieter der Vertriebsplattform praktisch in der Redaktion mitregiert. Seine Einwände müssen sich nicht auf moralisch anstößige Darbietungen beschränken, sondern können von Kunstwerken, die womöglich als obszön empfunden werden, über Artikel, die gegen die Praktiken dieses IKT-Konzerns gerichtet sind, bis hin zu politischen Außenseitermeinungen alles betreffen, was nach dem Dafürhalten der Apple-Zentrale eher nicht veröffentlicht werden sollte.

Dementsprechend dürften auch Browseranwendungen für das iPad nicht frei von Filtersoftware oder anderen Zensurmaßnahmen sein. Um die Kommerzialisierung redaktioneller Inhalte und den Verkauf anderer Apps, die beispielsweise Spiele, Bücher oder Kinofilme anbieten, zu sichern, muß der Zugriff auf das Internet so reguliert werden, daß die kostenpflichtigen Vertriebskanäle nicht einfach umgangen werden können. Hat der Besitzer der elektronischen Distributionsplattform - sei es im angeblichen Interesse der Nutzer oder Anbieter, aufgrund der Haftbarkeit bei der Verbreitung rechtswidriger Inhalte oder aus politischer Rücksichtnahme gegenüber den Regierungen bestimmter Länder - erst einmal Bewertungparameter und Ausschlußskriterien definiert, dann kann er diese bei der Anwendung eines Internetbrowsers auf seinen Geräten schwerlich ignorieren.

Sollte sich das iPad oder ein ähnliches System tatsächlich zur wichtigsten Verbreitungsform für Verlagsangebote entwickeln, dann dürfte dies für die Gewährleistung der Pressefreiheit völlig neue Fragen aufwerfen. Für die Möglichkeiten informationstechnischer Systeme, die Verfügbarkeit und Verbreitung digitaler Inhalte auf eine Weise zu kontrollieren, zu beschränken oder zu unterbinden, die der Nutzer nicht einmal bemerkt, geschweige denn verhindern kann, gibt es kein historisches Vorbild. Wenn die Geschäftskonditionen eines IKT-Konzerns, der nicht nur Endgeräte entwickelt und verkauft, sondern auch die Infrastruktur des über sie angebotenen Contents zur Verfügung stellt und kontrolliert, schon im Anfangsstadium des jederzeit möglichen mobilen Medienkonsums strikte Grenzen publizistischer Freiheit einziehen, läßt das nicht gerade auf die Fortsetzung der bislang im Internet vorherrschenden Freizügigkeit schließen.

7. April 2010