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PROPAGANDA/1332: Köhler schützt Respekt für DDR-Bürger vor (SB)



Wie gut, daß nicht jedes Jahr ein neuer Bundespräsident gewählt wird. Sonst würden die Bürger ständig mit wohlklingenden Vorsätzen und angeblich tiefstem Mitempfinden der Kandidaten mit der Armut und Not der Menschen in diesem unseren Land belästigt. Da sieht die SPD-Kandidatin für das höchste Amt im Staat, Gesine Schwan, plötzlich die Gefahr explosiver sozialer Unruhen heraufziehen, wobei sie um den Eindruck bemüht ist, sie nähme mit solchen Erkenntnissen die Sorgen der Menschen vor der schweren Wirtschaftskrise wenigstens ernst, während andere ja nur zu beschwichtigen versuchten. Wohingegen der CDU-Kandidat und bisherige Amtsinhaber Horst Köhler mal wieder die Ostdeutschen entdeckt und sie mit einer Handvoll vielversprechend bunter Lollies abzuspeisen bemüht. Im quasi-offiziellen Verlautbarungsorgan der Bundesregierung, der "Bild-Zeitung", würdigte Köhler die "individuelle" Lebensleistung der "meisten" Ostdeutschen, die nach dem Mauerfall "vielleicht" nicht genügend respektiert wurde.

Köhler betonte das jahrzehntelange Improvisationsvermögen der Menschen in der "Mangelwirtschaft" der DDR und konstatierte schullehrerhaft, daß man diesen Menschen nicht einfach sagen dürfe, daß ihr Leben wertlos war, "weil eure Wirtschaft am Ende" ist. "Auf diese Gefühle, jenseits aller nüchternen Zahlen" sei "vielleicht nicht genug achtgegeben worden", schob er nach.

Satz für Satz verstärkt sich der Eindruck, daß Köhler nicht über Menschen spricht, sondern über Bedienstete, deren Würde man nicht mit Füßen treten dürfe (auch nicht, wenn man's gerne täte). Ein Trostpflaster für zwanzig Jahre lang von den Wessis getriezte Seelen. Der gute Hirte Köhler räumt in einem Boulevardblatt in professionell vorgebrachter Selbstkritik ein, daß die Einwohner der Deutschen Demokratischen Republik hier und da auch was geleistet haben! Das hält zwar offenbar in der Köhlerschen Lesart den Vergleich mit den Errungenschaften des Westens nicht im mindesten stand, aber das hätte man den Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht so deutlich spüren lassen sollen. Schließlich braucht man sie noch. Nicht, um den Bundespräsidenten zu wählen, denn dafür ist die Bundesversammlung zuständig, doch um sich für die weitere Verwertung ihrer Arbeitskraft bereitzuhalten und, falls seitens der Kapitaleigner daran kein Interesse besteht, gefälligst keinen Ärger zu machen.

Köhler war es, der 2004 in einem "Focus"-Interview konstatierte, daß es "nun einmal überall in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen" gibt, und der behauptete: "Wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf. Wir müssen wegkommen vom Subventionsstaat. Worauf es ankommt, ist, den Menschen Freiräume für ihre Ideen und Initiativen zu schaffen." (http://www.bundespraesident.de/dokumente/-,2.95207/Artikel/dokument.htm)

Der damals frisch gekürte Bundespräsident argumentierte mit einem Ist-Zustand, der keineswegs naturgegeben, sondern als Folge der faktischen Angliederung der DDR an die Bundesrepublik entstanden war. Nach dem Fall der Mauer 1989 hatte es durchaus andere Möglichkeiten der "Wiedervereinigung" gegeben als die praktizierte Plünderung alles Brauchbaren und systematische Zerstörung des gesellschaftlich jahrzehntelang Gewachsenen in der DDR.

Das hatte Köhler mit einem Federstrich beiseite gewischt, indem er faktisch das Schicksal beschwörte, indem er behauptete, daß es nun mal "große Unterschiede" zwischen Ost und West gibt. Mehr noch: Vor dem Hintergrund der Dauerdebatte um den Solidaritätszuschlag kam zudem der Eindruck auf, daß in Köhlers Bezeichnung "Subventionsstaat" eine pauschale Diskriminierung der Ostdeutschen als Empfänger von Zuwendungen mitschwang. Und die beschworene Eigeninitiative wird heute noch typischerweise von Politikern immer dann vorgebracht, wenn sich der Staat aus der Verantwortung für Verhältnisse, die er selbst geschaffen hat, stehlen will.

"Ich bin mir ganz sicher: Das Land und die Deutschen wollen die Einheit. Sie ist ein großes Glück für uns alle", schrieb jetzt der Bundespräsident in der "Bild". Eben dieses "Uns" darf in Zweifel gezogen werden. Nach wie vor werden die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern als minderwertig behandelt, was sich unter anderem in einem durchschnittlich geringeren Lohnniveau ausdrückt.

Wie gut, daß nicht jedes Jahr ein neuer Bundespräsident gewählt wird, sonst könnte man sich glatt über das Salbadern der Kandidaten ärgern.

28. April 2009