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PROPAGANDA/1337: Mit dem Obama-Faktor siegen? (SB)



Die Bundeskanzlerin präsentiert sich in einem "Townhall Meeting" auf RTL den Bürgern und liefert eine Stunde harmloses Geplänkel ab, dem man man nicht nachsagen kann, daß es irgendeine Bedeutung für die sozialen Problemen der Bevölkerung gehabt hätte. Die Parteien setzen auf verstärkte Internetpräsenz und scheinen dabei einen Wettbewerb um die größte Annäherung an die Webseite des US-Präsidenten auszutragen. Insbesondere die vermeintliche Bürgernähe des US-Präsidenten hat es ihnen angetan, und so werden allerorten Angebote zum Chatten mit Politikern oder eben zum telemedialen Townhall Meeting geschaltet. Daß es dabei immer nur um symbolische, durch die Vielzahl der Teilnehmer als Echtzeit-Werbespot verwendbare Kontakte geht, ergibt sich schon aus der physischen Unmöglichkeit, Tausende von Anfragen in einer Stunde zu bewältigen.

Entscheidend für den Obama-Faktor ist die glaubwürdige Inszenierung eines wie auch immer gearteten Wechsels. Dabei kommt es desto weniger auf die konkreten politischen Inhalte an, als die Kandidaten in der Lage sind, dem Publikum einen gefühlten Aufbruch zu suggerieren, der allein daraus resultiert, daß die Kontinuität etablierter Herrschaft rückstandslos vergessen gemacht wird. Obama hat mit der Formel "Change we can believe in" recht deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er von seinen Anhängern eine Glaubensleistung erwartet, die sie allerdings auch mit dem Gewinn einer neuen Identität als Teilhaber der kommenden politischen Kraft belohnt.

Wenig Glamour strahlt in dieser Hinsicht Frank-Walter Steinmeier aus, und auch die Bundeskanzlerin kann bei allen Versuchen, sich neu zu erfinden, kaum ihrer Haut entschlüpfen. Gerade die Spitzenkandidaten der Regierungsparteien haben es jedoch nötig, alle Register des Phänomens Obama zu ziehen, wollen sie nicht in unerfreulichen Rechtfertigungslamentos zur Politik der letzten Legislaturperiode versinken. Naturgemäß leichter haben es Vertreter der Oppositionsparteien, die denn auch keine Mühe scheuen, frisch und unverbraucht darüber hinwegzutäuschen, daß sie, wie im Fall der Grünen, an politischen Entscheidungen beteiligt waren, die sie heute verwerfen, oder daß sie, wie im Fall der FDP, mit neoliberalen Ladenhütern wie dem von der Arbeit, die sich wieder lohnen muß, und zwar, was nicht dazugesagt wird, für den Käufer der Arbeitskraft anderer, hausieren gehen. Mit griffige Kurzformeln aufmunitioniert nötigt man sich hier und da ein "Yes we can" ab, auf daß ein wenig Glanz des Washingtoner Hoffnungsträgers auf seine Kopisten abfärbt.

Der Wahlkampf hat zwar gerade erst begonnen, doch der Obama-Faktor stellt schon jetzt alles, was bislang an Adaption US-amerikanischer PR-Techniken in der Bundesrepublik erfolgt ist, in den Schatten. Als ob es sich um eine wunderwirkende Rezeptur für politischen Erfolg handelt, wird der Wahlkampf Obamas, völlig losgelöst von den spezifischen Bedingungen der US-Gesellschaft, auf deutsche Verhältnisse übertragen. Zwar kann man mit einiger Sicherheit vermuten, daß die Bundesbürger eine hochgradige Affinität zur US-Kulturindustrie aufweisen, doch könnte der Versuch, sich über wohlinszenierte Auftritte in Szene zu setzen und problematische Auseinandersetzungen mit der politischen Materie nach Kräften zu umschiffen, auch nach hinten losgehen.

Indem Obama wie ein unsichtbarer Geist über seinen deutschen Epigonen schwebt, binden diese sich auch an sein künftiges politisches Schicksal. Ob die große Beliebtheit des US-Präsidenten noch bis zur Bundestagswahl Ende September anhält oder sich sein zu einem Gutteil dem Ansehensverlust seines Vorgängers geschuldeter Ruf bis dahin abträgt, ist keineswegs gesichert. Sollte das Markenzeichen Obama zum Synonym für gezielte Irreführung der Bevölkerung verkommen, dann hätten diejenigen Politiker, die von Anfang an nicht auf sein Ticket gesetzt haben, einen deutlichen Vorteil.

18. Mai 2009