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PROPAGANDA/1380: Islamophobie ... zweckdienliche Bezichtigung als Antwort auf soziale Not (SB)



Als "die Geißel unserer Zeit" bezeichnete Ottmar Breidling, Richter des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf, den militanten Islamismus bei der Urteilsverkündung im Sauerlandprozeß. Die wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, der Verabredung zum Mord und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu Haftstrafen bis zu zwölf Jahren verurteilten, umfassend geständigen Mitglieder der sogenannten Sauerlandgruppe, konnten, da ihnen keine konkreten Anschlagsplanungen nachgewiesen werden konnten, nicht einmal für die Vorbereitung eines Attentats verurteilt werden. So wird mit dem Urteil ein Exempel statuiert, das der Verortung der Tat in einer die Menschheit bedrohenden Entwicklung entspricht.

Über diese Bewertung läßt sich allerdings trefflich streiten. So wird der Frage danach, wie der ebenfalls dem Kampf gegen diese "Geißel" gewidmete Angriff auf zwei Tanklaster am 4. September 2009, bei dem bis zu 142 Personen starben, darunter zahlreiche Zivilisten, vor diesem Hintergrund in strafrechtlicher Hinsicht zu bewerten ist, bislang nicht nachgegangen. Die Kriegführung des Westens im Globalen Krieg gegen den Terrorismus hat allein im Irak hunderttausende Opfer gefordert, ohne daß gegen die dafür verantwortlichen Politiker und Militärs ermittelt wird. Die dem Terrorkrieg zugrundeliegenden geostrategischen Interessen belasten das moralische Konto der im Mittleren Osten kriegführenden Staaten um ein weiteres. Gleichzeitig werden große Teile der Welt von einer Hungerkatastrophe heimgesucht, deren Permanenz nur scheinbar verbietet, sie als solche zu bezeichnen und die Frage aufzuwerfen, wie eigentlich versucht wird, gegen die Verelendung der Länder des Südens seitens der Staaten, die ihren Reichtum auf kolonialistischen Raubzügen errichtet haben, vorzugehen.

In den Staaten der Europäischen Union wird derweil ein Feindbild genährt, das zwischen dem von Breidling gemeinten militanten Islamismus respektive Jihadismus und dem Islam als Religion immer weniger unterscheidet. Fast zeitgleich zur Düsseldorfer Urteilsverkündung konnte der islamophobe niederländische Politiker Geert Wilders, der etwa den Koran verbieten lassen will, in zwei Städten seines Landes bis zu einem Fünftel der Wähler hinter sich bringen. Ihn als Rechtspopulisten zu bezeichnen verharmlost die Tendenz, daß auf Muslime ausgerichtete Fremdenfeindlichkeit längst im gesellschaftlichen Mainstream angekommen ist. Der soziale Notstand wachsender Verarmung wird nicht zur Klassenfrage gemacht, sondern auf rassistische Weise kanalisiert, und das ist keine Spezialität am äußersten rechten Rand stehender Politiker.

Nicht der Terrorismus fanatisierter Muslime ist die "Geißel unserer Zeit", sondern die soziale Spaltung der Gesellschaften. Das Unrecht gewaltsamer Angriffe auf Menschen, die sich nicht aus eigener Entscheidung aktiv im Krieg befinden, wird durch das Unrecht räuberischer Ausbeutung im globalen Maßstab keineswegs geringer. Die eine Seite mit aller Härte zu strafen und dies auch noch mittelbar in den Dienst einer Kriegführung zu stellen, die die Not der betroffenen Bevölkerungen vergrößert, weist jedoch auf eine Widerspruchslage hin, die nicht zu beheben zu weiteren gewaltsamen Eskalationen führen wird. Wenn sich junge Bundesbürger im Namen einer Religion so weit radikalisieren lassen, daß sie zur Durchführung von Anschlägen bereit sind, die sich auch noch zur Rechtfertigung der Kriege westlicher Staaten in Ländern mit mehrheitlicher islamischer Bevölkerung verwenden hätten lassen, dann läßt das einen kaum mehr zu durchblickenden Komplex gegenseitiger Bezichtigung erkennen, der nichts mehr bedarf als die Fäden seines Zustandekommens auseinanderzudividieren, um weiteren Unabsehbarkeiten entgegenzuwirken.

Arbeitet man dem Feindbild Islam weiter zu, sei es in Form der Verallgemeinerung individueller Straftaten zu kulturell generierten Fehldispositionen, sei es in Form der chauvinistischen Suprematie der eigenen zivilisatorischen Entwicklung, wird man an negativen Folgewirkungen des Rassenhasses keinen Mangel haben. Da kapitalistische Gesellschaften mit Bewältigungsstrategien arbeiten, die den zentralen sozialen Konflikt weiträumig umschiffen, sind die Chance auf eine Korrektur aufklärerischer Art nicht gerade groß.

7. März 2010