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PROPAGANDA/1409: Geert Wilders zeigt Gespür für neokonservative deutsche Befindlichkeiten (SB)



Wenngleich die Geschichte allzu oft die bittere Lehre bereitgestellt hat, daß den Ausgeplünderten, Mißachteten und Ausgegrenzten im Zweifelsfall das nationale Hemd näher als der Rock weltweit in Stellung gebrachter Antagonismen war, konnte der Streit der Systeme doch nicht umhin, die Frage der Gesellschaftsordnung aufs Tablett zu bringen. Sich von dieser restlos zu entkoppeln, hat sich die neokonservative Offensive zum Ziel gesetzt, die im Innern den gesellschaftlichen Grundwiderspruch vollständig ausblendet und nach außen im Islam ein neues Feindbild kreiert hat, um die bellizistisch vorgetragenen Raubzüge ideologisch von ihrem Fundament der gewaltsamen Aneignung und strategischen Sicherung der Ressourcen zu emanzipieren. Der vom stärksten Militärbündnis der Welt proklamierte permanente Krieg und die forcierte Verelendung wachsender Teile der heimischen Bevölkerung sind zwei Seiten derselben Medaille künftiger Überlebenssicherung einer elitären Minderheit, die sich den unanfechtbaren Anspruch auf die schwindenden Restbestände verstoffwechselbarer Kräfte und Substanzen auf die Fahnen geschrieben hat.

Islamfeindlichkeit als verbindende Klammer ideologischer Verschleierung dieses Raubgefüges schwört nach innen und außen auch die bundesdeutsche Gesellschaft auf eine fiktive Gefahrenabwehr ein, die mit dem Kampf der Kulturen jeden Gedanken an Klassenverhältnisse für obsolet und anachronistisch erklärt. Offen vorgetragener Rassismus und Sozialdarwinismus sind längst keine Domäne rechtsradikaler Marginalität mehr, sondern brechen sich in der gesellschaftlichen Mitte Bahn, um die Existenzsicherung auf dem Schlachtfeld zugeteilter oder entzogener Portionen dessen, das nicht für alle reicht, zu begründen und zu entscheiden.

Im Streit um die Deutungshoheit auf diesem zentralen Feld ökonomischer, sozialer und ideologischer Verfügung balgen sich die politischen Fraktionen und ihre Stichwortgeber um die Meinungsführerschaft und deren Repräsentanz in Wahlerfolgen, Medienwirksamkeit, Pfründen und Machtgewinn. Mit sicherem Instinkt für Opportunität und Rückenwind kämpft man um die Mitte des Stroms, deren Fahrwasser die Sieger in die Führungsposition mitzureißen verspricht, während man zugleich die Konkurrenz wegzurammen und in die randnahen Untiefen abzudrängen versucht.

Der erste große Auftritt des niederländischen Islamgegners Geert Wilders in Deutschland vor begeisterten Anhängern im Hotel Berlin gleich gegenüber der CDU-Bundeszentrale reizte die einheimischen Platzhirsche denn auch zu empörten Ausfällen, die eine klammheimliche Übereinkunft mit dem Geschmähten doch nicht verhehlen konnten. Die CDU spreche nicht mehr für die Mehrheit der Deutschen, Islamkritik komme aus der Mitte der Gesellschaft, verkündete René Stadtkewitz, der aus seiner Fraktion geflogene ehemalige Hinterbänkler im Berliner Abgeordnetenhaus und Gastgeber des holländischen Regierungsdulders von der Freiheitspartei. Damit hatte Stadtkewitz das Ärgernis auch schon beim Namen genannt, will man doch bundesdeutsche Bürgerlichkeit nicht von dem mediengewandten Blondierten verprellen lassen. Am gleichen Strang zu ziehen, heißt noch lange nicht, sich zum eigenen Schaden mit ihm ins selbe Bett zu legen.

Wer von Wilders ein wildes Einprügeln auf seinen Intimfeind erwartet hätte, unterschätzte sein Gespür für mehrheitsfähige deutsche Befindlichkeiten. Ruhig dozierend grenzte er sich von der Bundeskanzlerin ab, da er nicht wie Frau Merkel die Islamisierung akzeptiere. Deutsche Identität müsse "ohne Schuldgefühle gegen einen politisch-aggressiven Islam" verteidigt werden, da Appeaser keine Kriege gewönnen. Schließlich sei ein Deutschland "voller verschleierter Frauen und Moscheen" nicht mehr "das Deutschland von Goethe, Schiller und Bach". Doch wie die Debatte um Sarrazin zeige, komme Deutschland mit sich ins Reine. (www.taz.de 03.10.10)

Das war nun wirklich ärgerlich, zwang es doch die hiesige parteipolitische Führungsriege zu verbalakrobatischer Pseudokritik, um das gehegte und gepflegte Kind der Islamfeindlichkeit nicht mit dem Bade der Distanzierung von dem "Populisten" auszuschütten. "Ratschläge von zwielichtigen Figuren aus den Niederlanden laufen unserem Bemühen zuwider, die Integration muslimischer Mitbürger zu fördern", wetterte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Rechtspopulistische Angriffe zielten auf eine Spaltung der Gesellschaft. Damit unterstellte die Ministerin kurzerhand, daß die deutsche Gesellschaft keineswegs gespalten sei, obwohl das Niedriglöhner oder Hartz-IV-Empfänger vermutlich anders sehen. Auch verortete sie mit dem erklärten Ziel, es gelte die Integration der Muslime zu fördern, das Kernproblem bei deren angeblicher Resistenz gegen die Segnungen der westlichen Kultur.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) warf sich auf einer Veranstaltung der Jungen Union in Berlin mit der Forderung ins Zeug, die Politik müsse bestehende Probleme in einer Gesellschaft offen ansprechen und aufgreifen: "Ich sage das mit Blick auf jene Scharlatane, die dieser Tage herumturnen. Diese Typen sind alle gleich, ob sie Le Pen heißen, Wilders heißen oder Haider heißen." In Europa schlage die Stunde dieser Rechtspolitiker "relativ schnell und relativ gewaltig". Ausdrücklich warnte Guttenberg davor, angesichts der berechtigten Kritik an dem umstrittenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin dessen Thesen zu leicht abzutun. Von einem dahergelaufenen Wilders in die Suppe spucken lassen will sich die Union nicht - aber ein bißchen Sarrazin darf's schon sein.

Dieser Meinung ist auch Armin Laschet, ehemals Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen und heute ambitionierter Kandidat für den Landesvorsitz der CDU. Er greift Kanzlerin Angela Merkel wegen ihres Umgangs mit Thilo Sarrazin an: "Ich halte es nicht für hilfreich, wenn man ein Buch verurteilt und gleichzeitig sagt, man habe es nicht gelesen. Vor allem, wenn es ein Buch ist, das viele Millionen Menschen in Deutschland bewegt." Sarrazins Buch sei ein "wichtiger Diskussionsbeitrag", der sich innerhalb des zulässigen Meinungsspektrums bewege. "Er ist kein Rechtsradikaler oder Verfassungsfeind oder was auch immer. Ich würde mich mit ihm intellektuell und klar auseinandersetzen. Das ist kein Geert Wilders, es ist auch keine extremistische politische Position." (www.spiegel.de 02.10.10)

Dabei hat Geert Wilders, dessen Partei am 9. Juni von 1,5 Millionen Niederländern gewählt und zur drittstärksten politischen Kraft des Landes geworden ist, deren Duldungsvertrag mit den Christdemokraten soeben auf einem Sonderparteitag abgesegnet wurde, in seinem Berliner Vortrag doch einiges gesagt, was deutsche Politiker reizen könnte. Ein Gespenst gehe um in Europa, und das Gespenst heiße Islamisierung, dozierte er. Der Islam sei keine Religion, sondern eine Ideologie, und bedrohe die Freiheit der Demokratie. Kurzerhand setzte Wilders Nationalsozialismus mit Kommunismus und Islamismus gleich und warnte, die Fehler der Weimarer Republik dürften sich nicht wiederholen: "Auch damals wurde die Gefahr für die Freiheit nicht gesehen - mit verheerenden Folgen." (www.welt.de 03.10.10)

Wer es wie der forsche Niederländer versteht, Geschichte so unverfroren zu verwursten, daß nach Vergangenheitsbewältigung und Antikommunismus am Ende Antiislamismus als Doktrin deutscher Feindverortung dabei herausspringt, müßte dem Gedränge um die neokonservative Mitte hiesiger Politik eigentlich aus der Seele sprechen.

3. Oktober 2010