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PROPAGANDA/1416: Ein Herz für Soldaten ... Kerner und die Guttenbergs machen mobil (SB)



Es ist Bestandteil gutgemachter PR, im Wissen darum, daß jeder weiß, daß es sich um solche handelt, das Gegenteil zu behaupten. Wenn die parlamentarische Opposition die Reise des Ehepaars Guttenberg nach Afghanistan als durchsichtige Inszenierung zur weiteren Steigerung der hohen Popularitätswerte des Verteidigungsministers geißelt, dann tut sie dies aus nicht minder vordergründigen Motiven. Lautstarke Kritik an diesem Krieg ist zweifellos geboten, doch SPD und Grüne haben die Beteiligung der Bundeswehr mitzuverantworten. Sich daran abzuarbeiten, daß die fabelhaften Guttenbergs einmal mehr die Klaviatur der massenmedialen PR-Maschinerie bedienen, um sich für Höheres zu empfehlen, erscheint als schlecht geführtes Rückzugsgefecht, mit dem verborgen werden soll, daß die eigenen Hände nicht minder blutbefleckt sind als die der Bundesregierung.

So bleibt das Feld der PR-Schlacht ganz dem Minister und seiner Frau überlassen. Mit der telemedialen Jagd nach Kinderschändern hat Stephanie zu Guttenberg bewiesen, daß sie der Bevölkerung den Puls fühlen und Abhilfe für die Unpäßlichkeit der kognitiven Dissonanz schaffen kann. "Das ist kein spaßiger Ausflug, das ist bitterer Ernst" - derartige Entschlossenheit im Angesicht des Feindes trägt der Ministergattin postwendend den Titel der "mutigsten Baronin Deutschlands" ein. Auch wenn die von Bild.de gewählte Vergleichsgruppe denkbar klein sein dürfte, kann der Guttenbergsche Spähtrupp an den Hindukusch schon jetzt als Sieg an der Heimatfront gewertet werden. Zwar wird in diversen Zeitungen getönt, mit dieser PR-Aktion habe der Minister die Grenze vertretbarer Eigenwerbung überschritten, doch wenn Stephanie nichts anderes will, als den Soldaten "als Bürger dieses Landes Danke zu sagen", dann vertreibt ihre Bescheidenheit auch letzte Zweifel an der Lauterkeit der Baronin.

Wie bereits frühere Besuche Guttenbergs in Afghanistan gezeigt haben, als der Minister beim kameradschaftlichen Gespräch mit einfachen Soldaten oder in starker Pose hinter einem schweren Maschinengewehr zu brillieren wußte, machen sich Auftritte in Helm und Splitterweste weit besser als die üblichen Kurzkommentare an den Mikrofonen der Hauptstadtpresse. Wenn der ehemalige Gebirgsjäger in martialischer Aufmachung zu Protokoll gibt, daß die moralische Unterstützung der Truppe gerade zu Weihnachten "eine Frage des Herzens" sei, wenn er bekundet, daß der Besuch mit seiner Frau zeigen solle, "daß der Einsatz der Soldaten nicht nur politisch getragen wird, sondern darüber hinaus", dann wirkt es ob dieses Beweises persönlichen Mitgefühls für die kämpfende Truppe auf den Zuschauer nur noch peinlich, wenn die politische Konkurrenz Fragen zu den Reisekosten der Ehefrau stellt.

Personalisierung und Emotionalisierung komplexer politischer Sachverhalte sind seit jeher zentrales Legitimationsmittel herrschender Kräfte, das gilt für die sogenannte Mediendemokratie in besonderem Maße. Wie die vielen Leser der Bild-Zeitung, die sich ihre tägliche Dosis Indoktrination in bekundetem Wissen um deren Haltlosigkeit zuführen, zeigen sich die vielen Bundesbürger, die die fabelhaften Guttenbergs zu ihren Idolen erklärt haben, völlig unbeeindruckt von Widersprüchen wie dem, daß das Gros der Afghanen unter der Anwesenheit der NATO schwer zu leiden hat und daß die Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet im Norden des Landes inzwischen auf besonders große Ablehnung der einheimischen Bevölkerung stößt. Um sich am Anblick deutscher Soldaten, die zerrütteten orientalischen Gesellschaften Ordnung und Sicherheit bringen, erwärmen zu können, glauben sie die Propaganda von der angeblichen Unerläßlichkeit ihrer Anwesenheit selbst dann noch, wenn Behauptungen über den humanitären Charakter der "Mission" durch mit Landserromantik und -jargon abgesättigte Frontberichterstattung verdrängt werden.

Es ist kein Zufall, daß der Auftritt der Guttenbergs im Doppelpack zwar den deutschen Soldaten, nicht jedoch ihrem Feind ein Gesicht verleiht. Die Bedrohung ist so allgegenwärtig wie unsichtbar, das macht sie so gefährlich. Der Kontrast könnte nicht augenfälliger sein - junge deutsche Soldaten mit offenen Gesichtern, deren zivilen Pendants man zu jeder Minute über den Weg läuft, wirken vor der fremdländischen Kulisse wie Vorposten einer Zivilisation, über deren Bedrohung durch verschlagene Orientalen und fanatische Muslime man kein weiteres Wort und Bild verlieren muß. Die von ihnen ausgehende Gefahr ist durch den alltäglichen Kampf gegen den Terror hinlänglich dokumentiert und bedarf entschiedener Bekämpfung etwa durch "die neue Wunderwaffe gegen die Taliban" aus dem deutschen Hause Heckler & Koch.

Was man auf Bild.de erfährt, wenn die titelgebende Frage "Woher nimmt sie diesen Mut?" [1] beantwortet und der Link zu diesem Spitzenprodukt deutscher Waffentechnik betätigt wurde, erfüllt den Bürger mit neuer Siegeszuversicht: "Anstatt beim Aufschlag explodiert das Projektil direkt über dem Feind und streut seine tödlichen Splitter. Der Vorteil der neuen Waffen: Taliban, die sich hinter den landestypischen Lehmmauern, hinter Häuserecken oder in Gräben verschanzen, können effektiv bekämpft werden - auch dann, wenn sie ihre Deckung nicht aufgeben. Die neuen 'intelligenten Granaten' können auch durch Fenster fliegen und dann im Haus detonieren." [2] Ob die Schrapnellwirkung der 25-Millimeter-Granaten am Ende bewaffnete Besatzungsgegner oder Frauen und Kinder zerfetzt, soll die Sorge des Publikums nicht sein.

Wenn dessen Herz, wie das des Ministers, am rechten Fleck schlägt, dann ist dort kein Platz mehr für die Millionen Afghanen, die ganz andere Sorgen haben als die Frage, welche Regierung in Kabul wessen Interessen vertritt, weil sie schlichtweg hungern und frieren. Auch ist es nicht das Problem des blaublütigen Schutzengels kindlicher Unschuld, wenn in Afghanistan täglich 850 Kinder verhungern. Ob ein Zusammenhang zwischen der bald zehn Jahre währenden Besatzung des Landes durch die NATO, die europäische und nordamerikanische Hegemonialinteressen unter dem Mäntelchen des humanitären Interventionismus mit massiver militärischer Gewalt durchsetzt, und dem Elend einer Bevölkerung, die mit einer Lebenserwartung von etwa 45 Jahren im Spitzenbereich globaler Mangelproduktion rangiert, existiert, gehört nicht zu den Fragen, die Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner für seine Sondersendung von der äußersten Front der zivilisierten Welt vorgesehen hat.

Was am Donnerstag in der Kulisse eines mit Militärflugzeugen dekorierten Hangars über den Sender gehen wird, steht unter dem ministeriellen Imperativ, die deutsche Bevölkerung müsse verstehen, "was dieser Einsatz bedeutet". Sie erfährt dies aus dem Munde des mit der Kriegführung in Afghanistan betrauten Regierungspolitikers. An seiner Seite sollen einige Soldaten zu Wort kommen, die kaum etwas anderes als die vielbeklagten Mängel an ihrer Ausrüstung und die unzureichende Anerkennung für ihren Kriegseinsatz zu monieren haben werden. Gäste, deren Aussagen das Ansehen der Bundeswehr beschädigen könnten, wie etwa die Angehörigen der Opfer von NATO-Luftangriffen, Vertreterinnen der den Abzug der NATO fordernden afghanischen Frauenorganisation RAWA oder deutsche Kriegsgegner wurden allem Anschein nach nicht eingeladen.

Während die vier im Bundestag sitzenden Kriegsparteien die Grenzen erlaubter Propaganda ausloten, nicht ohne daran zu denken, daß die Einschränkung des anderen auch das eigene Arsenal an medialen Blendgranaten schwächt, während Guttenberg aus berufenem journalistischen Munde die "politische Instinktlosigkeit" [3] vorgeworfen wird, sich im Angesichte gefallener deutscher Soldaten zu inszenieren, macht der Talkshow-Zirkus mobil und stimmt die Bevölkerung darauf ein, Tod und Zerstörung als ganz normale Mittel der Politik zu akzeptieren. Die dabei eingenommene Perspektive einer Protektoratsmacht, der die einheimische Bevölkerung ein Buch mit sieben Siegeln ist, das man lieber verbrennt, als in ihm etwas über die eigene Arroganz und Aggressivität zu lesen, fungiert als mentale Grundausstattung einer bürokratischen Intelligenz, die am Schreibtisch über Leben und Tod von Millionen befindet.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/12/13/stephanie-zu-guttenberg-in-afghanistan/deutschlands-mutigste-frau.html

[2] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/12/11/afghanistan-das-ist-die-neue-wunderwaffe/im-kampf-gegen-die-taliban-heckler-und-koch.html

[3] http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentar-politik/inszenierung-die-fragwuerdige-show-des-pr-ministers;2711267

13. Dezember 2010