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PROPAGANDA/1438: Blitzsiege und Jubelkriege ... die "vierte Gewalt" schießt scharf (SB)



Was feiern deutsche Zeitungen mit den Jubelberichten über die angebliche Befreiung Libyens?

Sie feiern den Tod von 50.000 Menschen, die laut dem Rebellenkommandanten Oberst Hischam Buhagiar in diesem Krieg ums Leben gekommen sein sollen [1]. Wie vage diese Zahl auch immer sein mag, ist sie doch schon allein aufgrund der über 7000 Kampfeinsätze der NATO-Bomber plausibel. Buhagiar würde sich über die Zugehörigkeit der Toten sicherlich nicht ausschweigen, wenn es sich um Opfer der libyschen Regierungstruppen handelte. Wo gehobelt wird, fallen Späne, gibt die machiavellistische Ratio der Kriegspresse zu verstehen, wenn sie den Sieg der NATO völlig von den dabei entstandenen Leiden und vollzogenen Zerstörungen entkoppelt.

Sie feiern den Sieg einer bereits um die Pfründe der Ölrente und um künftige Machtpositionen streitenden Rebellenarmee, zu der unter anderem Kommandanten mit Al Qaida-Vergangenheit wie Abdelhakim Belhadj gehören [2]. Zahlreiche hochrangige Mitglieder der Gaddafi-Regierung sind auf die Seite der Rebellen gewechselt, wobei ihre Zugehörigkeit zum Unterdrückungsapparat der libyschen Regierung weder für die Aufständischen noch für deren NATO-Unterstützer ein Problem war. Ganz im Gegenteil, die Planer in den NATO-Regierungen sind längst darin übereingekommen, sich die repressive Kompetenz des bisherigen Sicherheitsapparates bei der Neuordnung des Landes nutzbar zu machen, um die Interessen westlicher Investoren schnellstmöglich schützen zu können.

Sie feiern die rassistische Hatz auf schwarzafrikanische Arbeitsmigranten, über die schon zu Beginn des Krieges berichtet wurde und die nun das Ausmaß eines Kesseltreibens auf nichtarabische Menschen angenommen hat. "Libyer mögen keine Leute mit schwarzer Hautfarbe, auch wenn einige von ihnen unschuldig sein könnten", erklärt ein Rebell dem Journalisten Patrick Cockburn, der aus Tripolis berichtet, wie Schwarze in den Straßen der Stadt wie Freiwild gejagt werden und den Tod riskieren, wenn sie nicht belegen könnten, nicht für Gaddafi gekämpft zu haben [3]. Die Wertegemeinschaft NATO wirft Bomben für die Freiheit, rassistische Pogrome begehen zu können.

Sie feiern die Zerstörung einer der wohlhabendsten Gesellschaften Afrikas, deren Mitglieder von sozialen Privilegien befreit werden, die trotz bereits erfolgter neoliberaler Reformen wesentlich mehr Versorgungsgarantien boten, als etwa die Armutsbevölkerung der Vereinigten Staaten in Anspruch nehmen kann. Libyens Bürgern "fehlten grundlegende Freiheitsrechte, aber dank des Ölreichtums glaubten sie, einen relativ höheren Lebensstandard als ihre regionalen Nachbarn zu genießen", erklärt die New York Times [4] die Loyalitätsbekundungen besiegter Gaddafi-Anhänger. Die führende Tageszeitung der USA will nicht eingestehen, daß es sich nicht um einen Glauben, sondern um objektive soziale Vergünstigungen handelte, mit denen Gaddafi sich die Zustimmung vieler Bürger des Landes zu seiner Politik verschaffte. Sie will nicht eingestehen, daß die Millionen US-Bürgern gewährte Freiheit, obdachlos zu sein, nicht satt zu werden und nicht zum Arzt gehen zu können, ein Zwangsverhältnis darstellt, dessen Opfer für den Fall revolutionärer Widerständigkeit das Gewaltmonopol des Staates nicht anders zu spüren bekämen als libysche Aufständische.

Wenn ein Blatt wie die taz unter dem Titel "Die schönste Krise, die es je gab" [5] mit fröhlichen Libyern aufwartet, während die NATO die Stadt Sirte sturmreif schießt, nimmt der Zynismus sich links gerierender Interventionisten eine neue Qualität der Menschenverachtung an. Indem Grüne und Sozialdemokraten einem Außenminister der FDP unzureichende Kriegsbereitschaft vorhalten, empfiehlt sich der rot-grüne Bellizismus dem transnationalen Kapital, dessen Zentralorgan, das Wall Street Journal, voller Sorge über die Behinderung des Zugriffs auf das libysche Öl durch um diesen Reichtum konkurrierende Rebellen berichtet, als aggressiverer Sachwalter. Hier wächst zusammen, was zusammengehört, wie nicht nur die fruchtbare Zusammenarbeit der taz mit der Bild-Zeitung belegt.

Mit der Unterstützung der NATO-Aggression gegen Libyen durch die deutschen Massenmedien dokumentieren diese, wes Geistes Kind der antikommunistische Feldzug gegen die linke Tageszeitung junge Welt und gegen den linken Flügel der Linkspartei ist. Nach 30 Jahren neoliberal forciertem sozialen Krieg befinden sich Staat und Kapital in einer tiefen Legitimationskrise, sind doch sämtliche Versprechungen zur sozialen Tragfähigkeit des kapitalistischen Akkumulationsregimes auf gegenteilige Weise wahr geworden. Die Elimination des sozialrevolutionären Impulses, der von den Revolten in Tunesien und Ägypten hätte ausgehen können, durch die Restauration neokolonialistischer Verhältnisse in Libyen und womöglich in Syrien unter dem Banner eines buntrevolutionären Demokratismus verschiebt auch die Achse demokratischer Willensbildung in der Bundesrepublik und EU scharf nach rechts. Autoritäres Krisenmanagement wohin das Auge schaut - in der Formation eines staatlich administrierten Zentralismus des Kapitals auf EU-Ebene, in der drakonischen Abstrafung des Aufbegehrens revoltierender Jugendlicher gegen eine den größten Räubern zu Füßen liegende Eigentumsordnung, im Aufstieg einer neuen, auf die Linie imperialistischer Kulturkrieger eingeschworenen europäischen Rechten in die Zentralen der Regierungsmacht und in der Bereitschaft, die immer prekärer werdenden sozialen Widersprüche mit kriegerischer Gewalt auf eine neue Ebene herrschaftlicher Regulation zu heben. Dieser Bedrohung für die Interessen aller davon betroffenen Menschen stellt die angeblich vierte Gewalt der bürgerlichen Massenmedien nicht nur nichts entgegen, als maßgebliche Produzentin der dafür noch erforderlichen Legitimation hat sie unmittelbar an ihr teil.

Fußnoten:

[1] http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE77T0D620110830

[2] http://www.wsws.org/articles/2011/aug2011/liby-a31.shtml

[3] http://www.independent.co.uk/news/world/africa/libyans-dont-like-people-with-dark-skin-but-some-are-innocent-2345859.html

[4] http://www.nytimes.com/2011/08/30/world/africa/30loyalist.html

[5] http://www.taz.de/Krieg-in-Libyen/!77119/

31. August 2011