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PROPAGANDA/1462: Besinnungslos im Farbenkarussell - Mythos US-Demokratie (SB)




Den Verfechtern demokratischer Rechtstaatlichkeit wird es nicht eben leicht gemacht, ihre politische wie ideologische Orientierung an dem angeblichen Leuchtfeuer der Freiheit, den USA, nicht in Widerspruch zu diesem Bekenntnis geraten zu lassen. Rhetorisch auf das Rußland Vladimir Putins einzudreschen und seine Regierung als quasidiktatorische gelenkte Demokratie zu diffamieren geht so leicht von der Hand wie das Syrien Bashir al Assads als menschenfeindliche Diktatur zu brandmarken. Die Relevanz derartiger Kritik bemißt sich jedoch stets an dem angeblich erreichten Stand demokratischer Partizipation dessen, der sie äußert. Geht sie konform mit den hegemonialen Zielen der Bundesrepublik und EU, dann wird das vernichtende Urteil absolut gesetzt, gerade weil die eigene Regierungsform nicht der Überprüfung ausgesetzt werden soll. So verbietet sich Fundamentalkritik am demokratischen Anspruch neoliberaler Gesellschaften, selbst wenn, wie es bei den USA der Fall ist, menschen- und völkerrechtswidrige Praktiken gang und gäbe sind. Steht die transatlantische Achse im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wird fast ausschließlich deren Haltbarkeit unter dem Anspruch beschworen, nur so ließen sich Freiheit und Demokratie sichern.

Wer im US-amerikanischen System der Zwei-Parteien-Demokratie, deren Spitzenfunktionäre mehr noch als in Deutschland der Klasse der Reichen und Superreichen angehören, bei einer wichtigen Wahl triumphiert, ist so sehr eine Frage der finanziellen Bemittelung und massenmedialen Unterstützung, daß der Sieger die Herrschaft einer einzigen, beide Lager übergreifenden Klasse zementiert. Daher handelt es sich, wenn deutsche Journalisten das die Diskrepanz zwischen Demokraten und Republikanern meinende Wort von der "geteilten Nation" oder den "Divided States of America" [1] rezitieren, um eine durchaus die eigene Beteiligung an dieser Herrschaftsform sicherende Form der groben Irreführung.

Die in der US-Gesellschaft etablierte Einkommens- und Vermögensungleichheit hat eine massenhafte Verelendung bewirkt, die längst in die Mittelschichten vorgedrungen ist, wo Menschen, die stets hart gearbeitet haben, aus ihren enteigneten Häusern in die Obdachlosigkeit getrieben werden und ihre Kinder hungrig zur Schule schicken zu müssen, wenn sie überhaupt noch Unterricht bekommen. Wer den als subaltern ausgegrenzten ethnischen und religiösen Minderheiten angehört, macht mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Strafvollzug des Landes Bekanntschaft. Er hat sich längst zum sozialrassistischen Archipel für Millionen der politisch unzuverlässigsten Bürger des Landes verwandelt, für diejenigen, die am meisten Grund zum Aufbegehren haben.

Gespalten ist diese Gesellschaft - und das hat die Occupy-Bewegung zu Recht in ihre proportional allerdings unzutreffende Formel von dem einen und den 99 Prozent gefaßt - auf der Basis eines Klassenwiderspruchs, der in Anbetracht eines fest in der Hand der Herrschenden befindlichen politischen und administrativen Systems nurmehr revolutionär zu überwinden wäre. Gegenüber den politischen, ideologischen und kulturellen Unterschieden, anhand derer die Wahl zwischen Barack Obama und Mitt Romney zur "Richtungsentscheidung" [1] hochgeschrieben wird, sind die sozialen Unterschiede dieser Gesellschaft so unüberbrückbar geworden, daß die Suggestion, der Bürger habe dennoch eine Wahl, um so höheren Legitimationswert hat. Die mehr als sechs Milliarden Dollar, mit denen die mediale Massenmanipulation zur Präsidentschaftswahl zu Buche schlägt, sind das Preisschild für die Glaubwürdigkeit dieser Autokratie.

Die Unterstellung, von der Wahl zwischen rot und blau hänge mehr ab als ein Wechsel der Tapete, verhindert zudem durch die Gefahr einer möglichen Entwertung der eigenen Stimme den Aufstieg einer dritten Partei, die es durchaus gibt, deren Kandidaten aber mit allen Mitteln daran gehindert werden, etwa bei Wahldebatten im Fernsehen in Erscheinung zu treten. The winner takes it all - das Mehrheitswahlrecht reflektiert die Erfolgs- und Leistungsideologie des Wirtschaftsliberalismus so sehr, wie es seine Dominanz sichert. Die im Präsidialsystem besonders hervorgehobene Personalisierung der Regierungsmacht tut das seinige dazu, die realen Gewaltverhältnisse ungreifbar zu machen, die im Wahlkampf als finanzielle Alimentierung der Kandidaten durch Parteispenden in Erscheinung treten. Gekauft sind die Wahlen allemal, und das nicht von derjenigen Hälfte der US-Bürger, die nicht zur Wahl geht und weitgehend identisch ist mit den Verlierern im Verfassungsziel des "pursuit of happiness".

Was durch das Wahlverbot für Millionen Strafgefangene und Ex-Häftlinge, durch die strategische Grenzziehung von Wahlkreisen und das Wahlmännersystem der Bundesstaaten nicht strukturell vor der Gefahr einer tatsächlichen Veränderung via Wahlurne geschützt ist, wird durch die Vorauswahl in Frage kommender Kandidaten innerhalb des sich ausschließlich aus den Eliten des Landes rekrutierenden Parteienduopols so arrangiert, daß Überraschungen lediglich als machtopportune Inszenierungen stattfinden. Gespalten ist der US-amerikanische Staat weder als imperialistischer Aggressor noch ideeller Gesamtkapitalist, gespalten ist seine Bevölkerung als eine nach ökonomischen, rassistischen kulturalistischen und patriarchalischen Kriterien auseinanderdividierte Klassengesellschaft.

Daran nicht zu rühren liegt hierzulande im Interesse einer nach wie vor transatlantisch orientierten Hegemonialpolitik, die weder auf die militärische Schlagkraft noch das ökonomische Gewicht der USA verzichten möchte. Zwar steht gerade die Bundesrepublik in einem Konkurrenzkampf mit den USA um Marktanteile im weltwirtschaftlich enger gewordenen Verteilungskampf wie um administrative Verfügungsgewalt in der globalen Ordnungspolitik. Geht es jedoch um den Bestand der etablierten Ordnung, ist man sich diesseits wie jenseits des Atlantik einig - im Zweifelsfall für die Suprematie der eigenen Klasse. Dies zu ignorieren und Barack Obama als kleineres Übel zu empfehlen frönt der Logik einer Schadensbegrenzung, die nur denjenigen dient, die ohnehin den geringsten Schaden haben, während sie diejenigen ausverkauft, die sich in ihrer Ohnmacht nach jedem rettenden Zweig strecken.

Fußnote:

[1] "Das Parlament", 8. Oktober 2012

4. November 2012