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PROPAGANDA/1473: BND-Blüten - Handreichungen für Aggressoren (SB)




Die Stichhaltigkeit der "Plausibilitätsanalyse" [1] des BND, laut der die syrische Regierung Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt habe, begründete der sogenannte Terrorismusexperte Rolf Tophoven im Deutschlandfunk [2] neben angeblicher Informationsquellen in den oberen Rängen der libanesischen Hisbollah mit dem bereits beschädigten Ansehen, das der Verwicklung des deutschen Auslandsgeheimdienstes in die NSA-Spähaffäre geschuldet sei. Das ramponierte Image des BND, dem die Überwachung von Bundesbürgern untersagt ist, was ihn nicht davon abhält, aufs engste mit hierzulande aktiven ausländischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, in einen Beleg seiner Glaubwürdigkeit umzufunktionieren, demonstriert, daß die Geheimexekutive keiner Gewaltenteilung unterliegt. Wenn sie ihre angebliche Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht erfüllt, dann wird die Forderung laut, ihre Befugnisse und Bemittelung zu erweitern. Wenn es zu keinen Anschlägen kommt, dann gilt das ebenfalls als Beleg für ihre Unentbehrlichkeit. Sie wird direkt durch die Staatsräson ermächtigt und ist damit gegen demokratische Interventionen immun.

Der Knackpunkt, auf nur symbolpolitisch kontrollierte Weise im Geheimen operieren zu können, gewährt diesem Teil der Exekutive das Vorrecht, die politische Legitimation seiner finanziellen Ausstattung und institutionellen Existenz in eigener Regie zu produzieren. Das gilt nicht nur für die Plutoniumaffäre des Jahres 1994, bei der der Bundesnachrichtendienst seine Abwehrbereitschaft auf exemplarische Weise inszenierte, sondern auch für die Erwirtschaftung von Kriegsgründen. Dabei kommt dem unter Geheimdiensten üblichen Tauschhandel mit Informationen, die etwa auch den internationalen Verkehr mit Daten vor der Ausspähung durch den eigenen Auslandsgeheimdienst geschützter Bürger betreffen, eher nachrangige Bedeutung zu. So war die operative Unterstützung der US-amerikanischen Kriegführung im Irak durch den BND zweifellos von höchster Stelle abgesegnet worden, kompensierte die rot-grüne Bundesregierung doch die militärische Nichtbeteiligung an diesem Feldzug durch zahlreiche logistische und nachrichtendienstliche Handreichungen, die von den US-Streitkräften dementsprechend gelobt wurden.

Von daher lohnt es sich auch hinsichtlich der Bewertung aktueller Enthüllungen des BND, einen Blick auf dessen Rolle bei der Vorbereitung des Irakkriegs zu werfen. Die medienstrategische Verdichtung bloßer Mutmaßungen zu an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeiten erfolgen üblicherweise durch die informelle Zusammenarbeit mit staatstragenden Presseorganen. Der häufig irreführende und instrumentelle Charakter von Geheimdienstinformationen zeigte sich im Falle des Iraks schon im Vorfeld des Angriffs auf das Land.

So meldete die Bild-Zeitung am 25. August 2000 die angeblich sensationelle Entdeckung der "geheimen" Raketenfabrik Al Mamoun durch den BND. Postwendend erklärten die UN-Waffeninspekteure, daß die Fabrik ihnen seit Jahren bekannt sei und die Anlage "jahrelang routinemäßig überwacht" wurde. In dem gleichen Beitrag wurde eine BND-Sprecherin mit der Anschuldigung zitiert, der Irak stelle "Studien für irakische Raketen mit Reichweiten bis zu 3000 Kilometern" an, von denen nach Einschätzung des BND die "sehr reale Gefahr" ausgehe, "daß auch Deutschland eher früher als später in die Reichweite dieser Waffen gerät." Damit gingen Spekulationen über atomare, biologische und chemische Waffen einher, die aus dem am Boden liegenden Irak eine ernsthafte Bedrohung der Bundesrepublik machten. Doch auch die durch Bild unter Berufung auf den BND verbreitete Behauptung, daß die Feststoffrakete Ahabil-100 mit einer Reichweite von 150 Kilometern "jetzt so aufgerüstet werden (soll), daß sie Mitteleuropa erreicht", konnte wie alle anderen Angaben niemals verifiziert werden.

Im Februar 2001 ließ der BND verbreiten, der Irak könne innerhalb von drei Jahren in der Lage sein, eine eigene Atombombe herzustellen. Diese Behauptung wurde sogar von israelischen Sicherheitsexperten und Geheimdienstlern dementiert. Sie bezeichneten die Angabe des BND in der Tageszeitung Haaretz vom 26. Februar 2001 als übertrieben und verkündeten ihrerseits, der Irak benötige mindestens sieben bis acht Jahre, bevor er wieder in den Stand gelangte, sich am Bau einer Atombombe zu versuchen. Davon unbeeindruckt meldeten diverse deutsche Zeitungen im Januar 2002, der Irak könne nach Einschätzung des BND in "drei bis fünf Jahren" bei der Atomrüstung wieder den Stand von 1990 erreichen und habe bereits "nuklearrelevante Basischemikalien" eingekauft. Die BND-Agenten hätten auch Hinweise dafür gefunden, daß der Irak sein "Bio-Toxin-Programm fortführt" und "eine mobile B-Waffenkapazität aufbaut".

Am 31. Juli 2002 wählte Bild als Aufmacher die Titelzeile "Saddam Hussein bildet Bin-Laden-Kämpfer aus". Was durch die rot markierte Zeile "Geheimdienste sicher" von allen gebotenen Zweifeln befreit wurde, war eine der zentralen Kriegslügen der US-Regierung, die niemals auch nur in die Nähe ihrer Verifikation geriet. Welcher Geheimdienst genau für die Behauptung verantwortlich war, wurde nicht mitgeteilt, doch mußte der Leser einmal mehr den Eindruck erhalten, mit der Springer-Presse direkt an der Quelle aufregender Geheiminformationen zu sitzen.

Als Bild am Sonntag am 15. September 2002 unter Berufung auf eine "vertrauliche Unterrichtung von Bundestagsabgeordneten" durch "BND-Chef August Hanning" behauptete, der Irak plane Angriffe auf westliche Staaten mit ferngesteuerten Kampfjets, brauchte der BND einen halben Tag, um seine Urheberschaft für diese Information zu bestreiten. Da war die Meldung jedoch schon über alle Nachrichtensender gegangen und hatte den Eindruck hervorgerufen, vom Irak gehe die Gefahr aus, Anschläge nach dem Muster des 11. September durchzuführen. Dem Dementi wurde nicht annähernd so viel Raum gegeben wie der Kriegsmobilisierung, zudem wurde nie klar, ob BamS tatsächlich gedichtet oder in Kooperation mit dem BND desinformiert hatte.

Anfang Februar 2003 meldete der Focus unter Berufung auf den BND, daß der Irak über in LKWs untergebrachte Labors zur Entwicklung und zum Bau von Kampfstoffen verfüge und diese auch nutze. Das wurde vom BND nicht dementiert, der es auf Nachfrage anderer Zeitungen lediglich ablehnte, zu der Behauptung Stellung zu beziehen. Es handelte sich um jene rollenden Labors, die US-Außenminister Colin Powell zu einem Kriegsvorwand aufbauschte, für deren Zustandekommen der BND von der US-Regierung später mitverantwortlich gemacht wurde.

Dabei ging es um den BND-Informanten mit dem Codenamen Curveball, auf den sich Powell am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bezog, als er erklärte, die US-Regierung verfüge über Beschreibungen von Biowaffenfabriken auf Rädern und Schienen aus erster Hand. Der vorgebliche irakische Chemieingenieur Rafid Ahmed Alwan al-Janabi bestätigte 2011 in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian [3], daß seine Angaben, die eine zentrale Rolle bei der Legitimierung des Angriffskrieges gegen den Irak spielten, erfunden waren. Was Curveball dazu verhalf, als Flüchtling in der Bundesrepublik bleiben zu können, wurde vom BND bereitwillig aufgegriffen, um in wohldosierten Portionen an die US-Partnerdienste weitergereicht zu werden, denen man keinen direkten Zugriff auf diese angebliche Topquelle gewährte. Im Vorfeld des Irakkrieges im Jahr 2002 soll der BND den Iraker zudem zu vermeintlichen Enthüllungen über irakische Massenvernichtungswaffen genötigt haben, indem er die Einreise seiner schwangeren marokkanischen Frau nach Deutschland von der Kooperation Curveballs abhängig machte. Einen Monat vor Powells Auftritt bei den Vereinten Nationen sei er noch einmal nach den rollenden Laboren gefragt worden, berichtete der BND-Informant im Guardian und behauptete zudem, mit seinen deutschen Gesprächspartnern vereinbart zu haben, daß nichts von dem, was er ihnen offenbart, an Regierungen anderer Staaten weitergegeben werde.

Aus Aussagen diverser Beteiligter wie dem ehemaligen Leiter der CIA-Europaabteilung, Tyler Drumheller, ging später hervor, daß auf beiden Seiten des Atlantiks von Anfang an Zweifel an der Verläßlichkeit dieses Informanten bestanden. Dennoch bediente man sich seiner Angaben, um einen Krieg zu entfesseln, dessen katastrophale Folgen bis heute nicht ausgestanden sind. So erfüllte der BND neben seinen operativen Maßnahmen im Irak auch an dieser Stelle unverzichtbare Dienste für einen Aggressor, der sich später darüber beschwerte, von seinen deutschen Partnern aufs Glatteis geführt worden zu sein. Daß diese in der Bundesrepublik bezeichnenderweise publizistisch nur randläufig aufgearbeitete Affäre ein Ergebnis des institutionellen Eigenlebens der Dienste war, bestätigte der ehemalige BND-Agent Norbert Juretzko im Gespräch mit dem Schattenblick [4].

Im April 2005 lancierte der BND im Monatsmagazin Cicero die Nachricht, der angebliche Topterrorist Mussab al Zarqawi plane einen Terroranschlag mit chemischen Kampfstoffen in Europa. Zwar wisse man nichts Näheres, vermute aber, daß Zarqawis Bemühungen, chemische Kampfstoffe herzustellen und zu vertreiben, im Nordkaukasus und in Georgien vorangetrieben würden. Auch die schillernde Figur dieses angeblichen jordanischen Terroristen hielt Einzug in die legendäre Präsentation Powells, fungierte Zarqawi doch als Kronzeuge für die Verbindung Saddam Husseins zu Al Qaida. Dabei handelte es sich um ein niemals verifiziertes Kernstück der Bezichtigung der US-Regierung, der irakische Präsident Saddam Hussein habe mit den Anschlägen des 11. September 2001 zu tun gehabt. Wichtig für den aktuellen Aufmarsch gegen Syrien ist die damals vom BND unterstellte Fähigkeit Al Qaidas, Chemiewaffen einsetzen zu können. Dies wird von Vertretern der syrischen Opposition wiederum im Sinne des BND, der allein die syrische Regierung verdächtigt, bestritten.

Deutlich wird an alledem die hochgradige politische Zweckgebundenheit nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung und -produktion. Angebliche Erkenntnisse werden nicht nur instrumentalisiert, sie werden zu einem Gutteil zu nichts anderem geschaffen denn als legitimatorische Mittel in den Händen von Regierungen.

Wenn Tophoven behauptet, gerade weil der BND so unglaubwürdig sei, müsse er jetzt als glaubwürdig gelten, dann drängt sich die umgekehrte Schlußfolgerung geradezu auf. Werden anhand abgehörter Telefongespräche von Akteuren außerhalb der syrischen Regierung, mithin aus bloßem Hörensagen, Plausibiltäten postuliert und Kriegsgründe gezimmert, dann ist es mindestens so plausibel, den Verzicht auf die unwiderlegbare Gewißheit der unterstellten Täterschaft Baschir al-Assads dahingehend zu deuten, daß die Möglichkeit eines zweckdienlichen Provokationsaktes aus Gründen der Parteilichkeit unterschlagen wird.

Allein die angeblich vom BND abgehörte Behauptung, Assad "seien die Nerven durchgegangen", so daß er mit dem Befehl für den Giftgaseinsatz "einen großen Fehler" [1] begangen habe, unter die laut Tophoven vom BND "möglicherweise" erbrachten "flüssigen Beweise und veritablen Ergebnisse" [2] zu subsumieren, läßt die Handschrift propagandistischer Irreführung erkennen. Das Geschäft internationaler Politik mit Hilfe angeblicher Bösewichte, die bestrafen zu wollen den moralischen Absolutismus der Personalunion von Ankläger, Richter und Henker voraussetzt, zu personalisieren und pathologisieren gehört zum klassischen Einmaleins demagogischer Propaganda auf dem tumben Niveau kriegsverherrlichenden US-Kinos. Purer Machiavellismus regiert die manipulativen und intriganten Manöver der Geheimdienste, die in der Ermächtigung der Exekutive zu unangreifbarer Herrschaft fruchtbar gemacht werden.

Wie schon die Entsendung eines Spionageschiffs der Bundesmarine vor die syrische Küste vor einem Jahr [5] und die Unterstützung der bewaffneten syrischen Opposition durch das deutsche Außenministerium gezeigt haben, ist die Bundesrepublik in diesem Krieg Akteur. Die jüngste Schützenhilfe des BND paßt ins Bild einer Bereitschaft zum Kriege, zu der die Bundesregierung im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahl nicht ganz so offen stehen mag, wie sie es nach deren Vollzug voraussichtlich tun wird. Die Bedrohung jedes Menschen durch geheim operierende Behörden ist auch deshalb viel relevanter als die diesen zugeschriebene Produktion von Sicherheit, weil die Interessen, denen sie sich andienen, stets die von Staat und Kapital sind. Der Widersinn, man müsse die Demokratie einschränken, um sie zu schützen, dementiert die den herrschenden Funktionseliten unterstellte Verfassungstreue durch die damit in Anspruch genommen Logik des Ausnahmezustands. Wem die Entrechtung, Verschleppung und Folterung sogenannter Terrorverdächtiger, die sogenannten extralegalen Hinrichtungen durch Kampfdrohnen, die Verfolgung der radikalen Linken durch eine politische Justiz, die zunehmenden Einschränkungen des Demonstrationsrechtes und die absehbar totale Überwachung jedes Menschen nicht ausreicht, um eine Bedrohung dort zu erkennen, wo sie am gefährlichsten ist, der hat offensichtlich ein Interesse an der Abschaffung verbliebener Autonomie und Freiheit.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/syrien-bnd-faengt-beleg-fuer-giftgaseinsatz-durch-assad-regime-ab-a-919965.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2238209/

[3] http://www.theguardian.com/world/2011/feb/15/defector-admits-wmd-lies-iraq-war

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0042.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1576.html

3. September 2013