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PROPAGANDA/1483: Der Boulevard, auf dem die neue Rechte marschiert ... (SB)



Der Tonfall wird schärfer, denn es geht auch in der Bundesrepublik ans Eingemachte. "Nein - keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen", titelte die angebliche Zeitung mit den vier Buchstaben am Freitag pünktlich zur Verlängerung der sogenannten Griechenland-Hilfen im Bundestag. Aufgezogen als Mitmachaktion für besonders bekenntniseifrige Leser, die mit einem Selfie unter dieser Schlagzeile auf der Titelseite kundtun konnten, was sie von säumigen Schuldnern im allgemeinen und griechischen Nutznießern deutscher Staatskredite insbesondere halten, toppt dieses Bezichtigungsformat die "Pleitegriechen"-Kampagne vor fünf Jahren mit Leichtigkeit. Man darf schon einmal gespannt darauf sein, welche unternehmernahe Stiftung den Einsatz des Blattes für Staat und Kapital dieses Mal mit einem Preis honoriert, hatte BILD doch 2011 den Herbert-Quandt-Medien-Preis für seinen unermüdlichen Einsatz an der Krisenfront erhalten.

Die immer gleiche Leier, daß der südländische Schlendrian auf Kosten der bienenfleißigen Deutschen geht, stimmt heute so wenig wie damals, daher wird mit dem Begriff der Gier nachgerüstet. Geht ein Land pleite, dann könnten Umstände im Spiel sein, für die die Bevölkerung nichts kann, wie etwa die Finanz- und Wirtschaftskrise. Wird sie pauschal als gierig verunglimpft, dann wird ein unverschämter Nationalcharakter unterstellt, der die Urheber dieses Vorwurfs in die moralisch überlegene Position manövriert. Auf diese Weise wird vergessen gemacht, daß in der Bundesrepublik Millionen Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht genügend verdienen, um ihre Grundbedürfnisse befriedigen zu können, und daß für Millionen weitere schlichtweg keine Lohnarbeit vorhanden ist, mit der sie ähnlich gelagerten Diffamierungen wie dem des Sozialbetrugs entkommen können.

Funktionierte das attestierte Raubverhältnis tatsächlich so, daß ein levantinisches Piratenvolk gutgläubige Deutsche ausplündert und nur noch BILD helfen kann, um sich dieses heimtückischen Griffs in die eigene Kasse zu entledigen, dann ist doch sehr die Frage, wieso im Bundestag die Fortsetzung des 2012 beschlossenen Refinanzierungsprogramms mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Auch dies sei "mit großem Unbehagen", ja "mit der Faust in der Tasche", erfolgt, so zwei der vielen Medienkommentare, die das Geschehen mit der üblichen Ambivalenz aus uneingestandener Sachzwanglogik und nationalchauvinistischer Verächtlichkeit begleiteten. Hätten die Abgeordneten doch nur auf BILD gehört und die Griechen tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit entlassen! Dann hätten sie zumindest eingelöst, was die Regierung in Athen zwar als Druckmittel mobilisierte, doch offenkundig nicht aus eigener Kraft realisieren kann oder will.

Indem sie dies nicht taten und viel von Solidarität schwadronierten, als ob die Wirtschafts- und Währungsunion auch in besseren Zeiten jemals etwas anderes als eine neoliberale Disziplinar- und Zwangsanstalt gewesen wäre, legten sie Zeugnis davon ab, daß das vermeintlich so solide erarbeitete Fundament eigener Zahlungsfähigkeit auf nur unwesentlich dünnerem Eis steht als das der EU-europäischen Krisenstaaten. Indem die griechische Bevölkerung nun auch in Zukunft am langen Arm verhungern soll, wird das Kreditsystem des Euro auf doppelte Weise in seiner Glaubwürdigkeit bestätigt. Zum einen dadurch, daß das informelle Direktorium der Eurozone in Berlin den bislang härtesten Gegner in Athen zur Räson eigener Reform- und Sparpolitik gebracht hat, zum andern dadurch, daß die Zweckmäßigkeit des neoliberalen Krisenmanagements einmal mehr als erwiesen erscheint, und sei es nur deshalb, weil es keine Alternative gibt.

Mit der Weigerung, der griechischen Regierung weitere Finanzmittel zu gewähren, hätte nicht nur ein Staatsbankrott in Athen und der Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern auch eine Erschütterung der EU-europäischen Banken gedroht. Da niemand weiß, wie hoch die Wellen geschlagen hätten, die das Implodieren mit griechischen Schulden angefüllter Kreditblasen erzeugte, zog man es im Bundestag vor, das Austrittsszenario zu verhindern. Das dient nicht etwa dazu, der griechischen Bevölkerung Mindeststandards sozialer und kultureller Art zu gewähren, sondern allein der Verteidigung eines Kreditgeldes, dessen Bestand den Erfolg der in der Krise prosperierenden transnationalen und deutschen Kapitaleliten sichert. Ob in Griechenland Menschen verhungern oder an vermeidbaren Krankheiten sterben, ob griechische Nazis marschieren und bürgerkriegsartige Eskalationen drohen, ist den Sachwaltern dieses Geldes so gleichgültig wie das Motiv, aus dem sich ein Mensch bei ihnen Geld leiht.

Das gleiche trifft auf die eigene Bevölkerung zu, die mit immer neuen Feindbildern daran gehindert werden muß zu erkennen, daß ihr Feind im eigenen Land und nicht in Griechenland steht. BILD verrichtet das notwendige Werk einer Propaganda, die noch von neuen Ufern tönt, wenn das Wasser bis zum Hals steht, nur um Zeit zu gewinnen, die Beute sicher an Land zu bringen. Unterstützt wird sie dabei von der nationalkonservativen Rechten in CSU und AfD, die nur die eine Sorge treibt, die Opfer der eigenen Prosperität könnten am Ende doch ein gutes Geschäft auf ihre Kosten machen.

Das Pochen auf Schuldendienst, ganz egal, ob dabei ganze Länder zugrunde gehen, markiert den qualitativen Unterschied zwischen rechter und linker EU-Kritik, dessen Existenz SPD-Politiker seit jeher bestreiten, um allen Kritikern pauschal Nationalpopulismus anlasten zu können. Bei ersterer handelt es sich um nationalistisches Vorteilsstreben in einer Staatenkonkurrenz, die auch zum Preis ihrer kriegerischen Durchsetzung unter keinen Umständen aufgegeben werden soll, während letztere die internationalistische Forderung nach Solidarität der Lohnabhängigenklasse in allen Ländern zwecks Überwindung der ihnen aufoktroyierten Klassenherrschaft erhebt.

Daß diese nicht erst jetzt mit rassistischer und sozialdarwinistischer Demagogie befestigt wird, ist kein Ergebnis ausgeklügelter Psychologie, sondern der ihrer Verwertungslogik inhärenten Mangelproduktion. Um die Millionen Menschen, die in der hochproduktiven Güter- und Dienstleistungwirtschaft nicht mehr benötigt werden und am Finanzmarkt ausschließlich als wettbewerbsschädliche Kostenfaktoren in Erscheinung treten, dorthin zu schicken, wo Griechenland als Staat noch nicht hin soll, weil man ihn aus geostrategischen und EU-politischen Gründen noch braucht, muß ihr Lebensrecht bestritten und beschnitten werden. Der Mensch, der nicht positiv zu Buche schlägt, weil ihm nichts mehr zu nehmen ist, wird im Soziallabor der Spar- und Reformpolitik auf ein Mindestmaß an Verbauch und Existenz reduziert, das zu bestimmen Sinn und Zweck der am griechischen Exempel statuierten Mangelregulation ist.

Wenn hierzulande einmal nicht mehr geglaubt werden wird, daß Griechenland weit weg und das Sparkonto sicher ist, wenn die Menschen erkennen, daß die Solidität der schwäbischen Hausfrau in der zuverlässigen Kapitulation gegenüber Akteuren besteht, die als "die Märkte" höchst unzureichend und irreführend beschrieben sind, dann merken sie vielleicht, daß die Fratze der Gier immer dort ihr Haupt erhebt, wo das Eigentumsrecht nicht in Frage gestellt, sondern gegen andere Menschen gewendet wird. Eine bürgerliche Moral, wie von BILD serviert, kann überhaupt nur funktionieren, wenn die sie für sich reklamierenden Menschen so bewußtlos sind, daß sie gar nicht merken, wie ihnen PEGIDA auf den Leib geschnitten wird, während sie noch hören, daß der Standort Deutschland keine Fremdenfeindlichkeit verträgt. Ohne Feindbilder geht es nun einmal nicht, und ihr Wechsel nach den Farben der Saison macht nur zu deutlich, daß Gleichgültigkeit - als Ignoranz gegenüber den Problemen anderer ebenso wie als Vergleichbarkeit des Menschen zwecks optimierter Spalt- und Verwertbarkeit - ein anderer Name für Beherrschbarkeit ist.

1. März 2015


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