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PROPAGANDA/1488: Tsipras sieht Griechenland auf einem guten Weg (SB)



Kann man das glauben? Nach den schlimmen Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs sei in Griechenland alles auf einem guten Weg. Bis Ende des Jahres werde eine Reduzierung der Schuldenlast erreicht sein, denn dazu hätten sich die internationalen Geldgeber verpflichtet. Dies verkündete Regierungschef Alexis Tsipras auf einer mehr als zweistündigen vom Staatsfernsehen übertragenen Pressekonferenz. Die meisten Anforderungen der Gläubiger habe die Regierung bereits erfüllt, weshalb ihm die jetzt anstehende Bewertung des griechischen Reformprogramms keine Sorgen bereite, zumal die Kontrollen von Mal zu Mal weniger schwierig würden. "Die Regeln müssen eingehalten werden. Von unserer Seite haben wir die Anforderungen erfüllt." Jetzt müßten aber auch die Partner ihre Versprechen erfüllen, so Tsipras.

Auch bei der Eröffnung der Konsummesse in Thessaloniki, wo griechische Ministerpräsidenten traditionell eine Rede zur wirtschaftlichen Lage halten, stieß Tsipras ins gleiche Horn ungetrübter Zuversicht. Sehe man sich in der Region um, sei Griechenland trotz seiner Probleme eine "Oase der Stabilität und des Friedens". Ein Wirtschaftsaufschwung kündige sich an und auch auf internationaler Bühne werde Griechenland ein immer stärkerer Akteur: "Auch bei der strategischen Ausrichtung Europas und bei der Überwindung der ökonomischen und strukturellen Ungleichheiten, die zwischen Ost und West herrscht. Und auch dabei, der gescheiterten Sparpolitik ein Ende zu bereiten, die nur Armut und soziale Ausgrenzung bewirkt hat." Um die bedeutende Rolle seines Landes zu unterstreichen, verwies er auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs südlicher EU-Mitgliedsstaaten am vergangenen Freitag in Athen. Die Regierung werde die Erlöse aus der Versteigerung der Fernsehlizenzen in Höhe von 250 Millionen Euro vollständig für soziale Zwecke ausgeben. Tsipras versprach 10.000 neue Stellen in den staatlichen Krankenhäusern, ein Schulspeisungsprogramm und sowie mehr Kindergartenplätze. [1]

Aus Anlaß der Rede in Thessaloniki hatten Gewerkschaften zu Demonstrationen aufgerufen, bei denen rund 15.000 Menschen gegen die Politik der Regierung auf die Straße gingen. Sie forderten ein Ende der Sparpolitik, da unter anderem die Zusatzrenten gekürzt und viele Steuern erhöht würden. Die Gewerkschaft GSEE kündigte Streiks gegen die Arbeitsmarktreformen an, und aus Protest gegen die bevorstehende Schließung von vier der bislang sieben landesweit ausgestrahlten privaten Fernsehsender sind griechische TV-Journalisten in einen 24stündigen Streik getreten. Auf einer Kundgebung warf der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbands, Jiorgos Mylonas, Tsipras vor, mit Hilfe der Gewerkschaften Ministerpräsident geworden zu sein, dann aber nur Lügen und Illusionen verbreitet zu haben. Das sei nun vorbei: "Wir werden auf die Straße gehen, so lange das nötig ist und wir werden starken Widerstand leisten. Die Leute haben gemerkt, dass sie getäuscht wurden, und sie werden mit aller Macht kämpfen." [2]

Vor zwei Jahren hatte Tsipras ebenfalls in Thessaloniki verkündet, er werde Schluß machen mit der Spar- und Reformpolitik der internationalen Geldgeber. Wie er damals unter anderem versprach, werde er die 13. Rente erhalten und die Immobiliensteuer abschaffen. So ändern sich die Zeiten, Worte und Taten zumindest für diejenigen, die den Sprung auf den Regierungssessel geschafft haben und fest im Sattel zu sitzen glauben.

Griechenland hängt seit 2010 am Tropf internationaler Geldgeber und stand 2015 am Rande eines Ausschlusses oder aber eines selbstgewählten Austritts aus der Eurozone. Tsipras verhinderte dies und verwandelte den Erfolg des damaligen Referendums gegen die Auflagen des Gläubigerregimes umgehend in eine Unterwerfung unter deren Forderungen, die dabei sogar noch verschärft wurden.

Die Verschuldung des Landes wird derzeit auf 328 Milliarden Euro geschätzt. Im November 2012 hatten die Gläubiger zugesagt, den griechischen Schuldenstand zu reduzieren, sobald das Land im Haushalt einen Primärüberschuß (ohne Schuldenbedienung) erreicht habe. Das sei seiner Regierung inzwischen gelungen, erklärt Tsipras. Er forderte die Gläubiger auf, ihren Streit beizulegen, da die anhaltende Kontroverse zwischen der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) das Wirtschaftswachstum behinderten und das dringend benötigte Vertrauen von Anlegern hinausgezögerten. Der IWF, auf dessen Beteiligung insbesondere die Bundesregierung besteht, hegt jedoch Zweifel an den von Athen vorgelegten Finanzstatistiken.

Im Mai hatten sich die Kreditgeber grundsätzlich darauf verständigt, Griechenland 10,3 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, worauf im Juni eine Tranche in Höhe von 7,5 Milliarden Euro ausgezahlt wurde. Ob die restlichen 2,8 Milliarden Euro im Herbst folgen, hängt davon ab, ob die geforderten Maßnahmen bis Ende September umgesetzt werden. Griechenland müsse die erforderlichen Maßnahmen schneller umsetzen, forderte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem in Bratislava. Im Laufe des Sommers sei zu wenig geschehen. Zu den noch offenen Spar- und Reformmaßnahmen gehören demnach unter anderem weitere Privatisierungen und ein Umbau des griechischen Energiesektors.

Auch EU-Währungskommissar Pierre Moscovici mahnte raschere Fortschritte an und erklärte, von 15 ausstehenden "Meilensteinen" seien erst zwei erfüllt. Der griechische Finanzminister Efklidis Tsakalotos habe jedoch zugesagt, daß die entsprechenden Schritte bis Ende des Monats vollzogen würden. In der kommenden Woche würden Vertreter der Geldgeber zu weiteren Gesprächen nach Athen reisen, zeichneten die Repräsentanten auf Gläubigerseite ein wesentlich problematischeres Bild, als es Tsipras glauben machen will.

Der vom griechischen Regierungschef als Signal eines "Kurswechsels in Europa" ausgewiesene Südeuropagipfel scheint die Bundesregierung kaum zu irritieren. Im Februar 2015 hatte die Syriza-Regierung versucht, ein Bündnis der südlichen EU-Staaten zu schaffen, das ihm zu Hilfe kommen könnte. Als Tsipras jedoch in Paris und Rom vorstellig wurde, erteilten ihm François Hollande und Matteo Renzi unter dem Strich eine Abfuhr. Die aktuellen Bilder des Südeuropagipfels, auf denen Tsipras inmitten der Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Italiens, Portugals, Zyperns und Maltas zu sehen ist, wurden vom zeitgleichen Treffen der Finanzminister der Eurogruppenstaaten in Bratislava konterkariert, wo man Athen aufforderte, das Reformtempo zu beschleunigen. [3]

Alexis Tsipras hat seinen Landsleuten versprochen, sie aus der Misere zu führen, jedoch die Auflagen der Gläubiger reibungsloser durchgesetzt, als es eine konservative Regierung vermocht hätte. Er hat damit der damaligen Kampfbereitschaft eine schwere Niederlage zugefügt, von der sich der Widerstand nur langsam erholen konnte. Heute gehen viele Menschen gegen die Syriza-Regierung auf die Straße, in Umfragewerten ist die Zustimmung für Tsipras auf dürftige 17,5 Prozent gesunken, womit sich seine Wählerschaft innerhalb eines Jahres halbiert hätte. So steht zu erwarten, daß Syriza nach Erfüllung ihrer Funktion bei den nächsten Wahlen abgestraft wird und ein um so stärkerer Konter rechter Kräfte einsetzt.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/ausland/griechenland-tsipras-109.html

[2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1025090.tsipras-fordert-schuldenreduzierung-bis-zum-jahresende.html

[3] https://www.jungewelt.de/2016/09-12/036.php

11. September 2016


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